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Unwahrscheinlich Tödlich: Tod durch Vitamin D

Vitamintabletten und Nahrungsergänzungsmittel sind nicht immer gesundheitsfördernd. Wenn sie zu viel Vitamin D enthalten, können sie sogar äußerst schädlich sein.
Gelbe Kapseln, die auf einem gelben Hintergrund in Form einer Sonne angeordnet sind.
Eines ist sicher: Irgendwann geben wir alle den Löffel ab. Weniger absehbar ist das Wie. Denn es gibt eine schier unendliche Zahl an Wegen, die einen Menschen ins Grab bringen können – manche von ihnen außergewöhnlicher, verblüffender und bizarrer als andere. In der Kolumne »Unwahrscheinlich tödlich« stellen wir regelmäßig solche Fälle vor, von bissigen Menschen über giftige Reisbällchen bis hin zu lebensgefährlichem Sex.

Wer die Sonne hasst, muss Glasgow lieben: Mehr als 15 nasse Tage pro Monat, ein paar weitere unter dicker Wolkendecke und im Jahresschnitt gerade mal drei Sonnenstunden pro Tag. In den vier Jahren, die ich dort verbrachte, habe ich als Gutwettermensch sehr gelitten. Besonders im tiefen Winter, wenn die Tageslänge maximal acht Stunden beträgt und man die Sonne gelegentlich wochenlang nicht zu Gesicht bekommt. Dass die britische Regierung ihrem Volk dazu rät, vor allem in der dunklen Jahreshälfte Vitamin-D-Präparate einzunehmen, überrascht deshalb nicht. Dass manche es dann mit der Ergänzungskur derart übertreiben, dass es sie ins Grab bringt, schon etwas mehr.

Dieses Schicksal ereilte etwa einen 89-jährigen Mann in Südengland. Er hatte sich am 10. Mai 2023 im East Surrey Hospital vorgestellt, wo man ihn bis zu seinem Tod zehn Tage später behandelte. Seine Beschwerden, so fanden die Ärztinnen und Ärzte schnell heraus, gingen von einer Hyperkalzämie aus, also einer erhöhten Konzentration von Kalzium in seinem Blut. In ernsthaften Fällen führt das zu vermehrtem Wasserlassen, Flüssigkeitsverlust, Erbrechen und Fieber bis hin zu Bewusstseinstrübung, Koma und zum Tod.

Mehr ist nicht immer besser

Bald entdeckte man, wie es zu dem Elektrolytungleichgewicht gekommen war: Der Mann hatte monatelang hoch dosierte Vitamin-D-Präparate eingenommen, die er in einer Drogerie gekauft hatte. In seinem Körper hatten sich in dieser Zeit langsam gefährliche Mengen des Stoffs angesammelt. Vitamin D ist nämlich, anders als beispielsweise Vitamin C, nicht wasser-, sondern fettlöslich. Deshalb wird es nicht mit dem Urin aus dem Körper geschwemmt. Stattdessen lagert es sich längerfristig im Fettgewebe ein. Nimmt man täglich zu viel davon zu sich, steigt die Konzentration im Körper immer weiter an. Als das Krankenhauspersonal den Vitamin-D-Spiegel im Blut des Patienten bestimmte, fand es 380 Nanomol pro Liter – und damit das Maximum, das sich über die verwendete Methode nachweisen ließ. Der wahre Wert dürfte also sogar noch höher gelegen haben. Mengen bis etwa 125 Nanomol pro Liter Blut gelten als sicher, ab 150 Nanomol pro Liter geht man von negativen Auswirkungen aus.

Der Mann war nicht der Einzige, der es mit Vitaminpräparaten zu gut gemeint hat. Das britische Gesundheitssystem NHS nennt in einem 2023 veröffentlichten Report 42 Fälle in den beiden vorhergehenden Jahren, in denen Patienten zu lange zu hohe Dosen Vitamin D erhalten hatten. Einige von ihnen mussten im Krankenhaus behandelt werden. So ging es etwa einem Mann in Kent, dem ein Ernährungsberater eine Palette an Nahrungsergänzungsmitteln ans Herz gelegt hatte. Die Kur hielt er knapp vier Monate lang durch, drei davon unter Schmerzen. Sie enthielt das 375-Fache der maximal empfohlenen Tagesdosis an Vitamin D. Weitere Vitamine und Spurenelemente waren ebenfalls überdosiert, und ein Bestandteil der »Behandlung« war Borax – ein Mineral, das früher in Reinigungs- und Desinfektionsmitteln zum Einsatz kam und das in Deutschland seit 2009 nicht mehr an Privatpersonen verkauft werden darf.

Besonders tragisch ist es, wenn Kinder betroffen sind. So sollte 2016 in einer ländlichen Klinik in Indien ein Junge auf Grund seiner äußerst kleinen Statur Wachstumshormone einnehmen. Dazu kam es aber leider nicht, denn wegen eines fehlerhaften Rezepts schluckte er stattdessen 21 Tage lang sehr große Mengen Vitamin D. Als die Verwechslung auffiel, war es schon zu spät. Trotz mehrerer Behandlungsversuche verstarb er an den Folgen der Überdosierung.

In einem weiteren Fall ging der Dosierungsfehler von der Mutter aus. Sie verabreichte ihrem Kleinkind täglich ein importiertes Präparat mit hoch dosiertem Vitamin D. Doch statt der empfohlenen zwei Tropfen gab sie ihm jeweils eine ganze Ampulle. Das war etwa 300-mal mehr als die Menge, die ein Kind in diesem Alter maximal einnehmen sollte. Glücklicherweise überlebte das Kleine, obwohl es zweimal in die Klinik kommen musste, bevor das Problem richtig erkannt wurde.

Gefährliche Multivitamine, riskante Milch

Gelegentlich machen Anwender und Behandler zwar alles richtig, doch es kommt trotzdem zu einer Vergiftung. Das passiert etwa dann, wenn beim Herstellen von Produkten, die mit Vitamin D versetzt sind, Fehler passieren, wie es im Jahr 2004 in den USA geschah. Betroffen war damals ein Nahrungsergänzungsmittel, das daraufhin 90-mal mehr Vitamin D als die sichere Tagesdosis enthielt. Eine Frau, die es eingenommen hatte, musste auf Grund der Überdosierung mehrere Tage im Krankenhaus behandelt werden. Weitere Menschen hatten sich beim Hersteller wegen Nebenwirkungen beschwert. Der rief nach Tests 1600 Packungen der Kapseln zurück. Anders als Medikamente, die strengen Sicherheitskontrollen unterliegen, müssen Nahrungsergänzungsmittel nicht rigoros auf ihre Zusammensetzung getestet werden, bevor sie im Handel landen. Im Ernstfall kann man sich auf die Angaben auf den Produkten also nicht unbedingt verlassen.

Eine weitere Quelle kommt ebenfalls in Frage: In manchen Ländern gibt es Lebensmittelgruppen, die mit Vitamin D angereichert werden dürfen. In Großbritannien zählen etwa Zerealien und Margarine dazu. In den USA findet man mit zusätzlichem Vitamin D versetzte Milch. Zwischen 1987 und 1991 kam es im Umkreis von Boston zu einer Epidemie von Vergiftungen, die auf ein solches Produkt zurückgingen. Eine Untersuchung identifizierte 56 Betroffene, von denen zwei verstarben. Tests in der Molkerei ergaben dann, dass die Vitamin-D-Konzentration in der Milch 70- bis 600-fach höher lag, als es der gesetzliche Grenzwert erlaubte.

In Deutschland dürfen Hersteller nur Margarinen und Streichfetten Vitamin D zusetzen. In Hinblick auf Lebensmittel muss man sich hier zu Lande also wenig Sorgen machen. Bei Nahrungsergänzungsmitteln und Vitamintabletten aus der Drogerie sollte man zwar nicht allzu sehr auf die angegebenen Dosierungen vertrauen, doch meistens enthalten die Produkte eher weniger, als auf der Packung steht, statt zu viel. Dennoch ist es sicher ratsam, sich an die täglichen Maximaldosen zu halten und nicht ampullenweise Vitaminsaft trinken, wenn eigentlich zwei Tröpfchen pro Tag empfohlen werden.

  • Steckbrief: Vitamin D
    Sonnenvitamin | Mit Hilfe von UV-Strahlen können Zellen in unserem Körper selbst Vitamin D herstellen. In manchen Fällen reicht das aber nicht aus, um unseren Bedarf zu decken.
    Das, was wir im Alltag »Vitamin D« nennen, ist eigentlich eine Gruppe von fettlöslichen Vitaminen namens Calciferole. Die beiden gebräuchlichsten sind Vitamin D2 (Ergocalciferol) und Vitamin D3 (Cholecalciferol). Sie erfüllen wichtige Funktionen im Stoffwechsel, vor allem bei der Knochengesundheit. Mit Hilfe von UV-Strahlen kann unser Körper selbst Vitamin D herstellen. Der Großteil seines Bedarfs wird in unseren Breiten so gedeckt. Im Winterhalbjahr muss er jedoch oft auf sein Depot im Fettgewebe zurückgreifen, weil die Sonnenstrahlen dann kaum ausreichen, um den Stoff zu produzieren. Einige Lebensmittel sind von Natur aus reich an Vitamin D. Dazu zählen unter anderem Fisch, Eier und Innereien. In Zentraleuropa decken sie nur einen kleinen Teil des täglichen Bedarfs. Manche Menschen entwickeln einen Mangel an Vitamin D. Das betrifft hier zu Lande insbesondere diejenigen, die sich kaum draußen aufhalten und ihre Haut nur wenig Sonne aussetzen. Vor allem in der dunklen Jahreszeit kann die Unterversorgung so stark ausgeprägt sein, dass eine Vitaminkur ratsam ist. Vitamin-D-Werte lassen sich mittels Bluttests bestimmen, und Ärztinnen sowie Ärzte können bei Bedarf Vitaminpräparate zur Behandlung eines Mangels verschreiben. Diese sollten nur von jenen eingenommen werden, die sie tatsächlich benötigen. Außerdem sind die maximalen Dosierungen zu beachten. Erwachsene sollten nicht mehr als 100 Mikrogramm (4000 IE) pro Tag einnehmen. Für Kinder zwischen 1 und 10 gilt maximal die Hälfte dieser Menge als ratsam, für Babys ein Viertel.

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