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Ein Quantum Wahrheit: 1971 und ich

Warum viele Menschen ihre Namensinitialen schön finden – nur nicht unser Psychologie-Kolumnist. Der hat dafür eine verdächtig emotionale Bindung zu einer bestimmten Jahreszahl.
Eine große Menschenmenge in einem Fußballstadion hält rote Banner mit der weißen Aufschrift »1972« hoch. Um die Zahlen herum sind rote und weiße Fahnen und Schals zu sehen. Die Fans jubeln und schwenken rote und weiße Luftballons. Im Hintergrund sind weitere Fans und Fahnen zu erkennen.
Knapp daneben, lieber Kolumnist. Bei diesem Anblick schlagen die Herzen anderer höher!
Irren tun immer die anderen. Man braucht etwas nur oft genug zu hören, um es zu glauben. Und wer sein Gegenüber imitiert, wirkt sympathisch. Der Wissenschaftsjournalist und Bestsellerautor Steve Ayan stellt in seiner Kolumne »Ein Quantum Wahrheit« die wichtigsten Effekte und Verzerrungen der menschlichen Psyche vor.

In der letzten Kolumne stellte ich Ihnen eine bahnbrechende Arbeit der Psychologen Tversky und Kahneman vor, laut der wir die Aussagekraft kleiner Stichproben überschätzen – eine wichtige Erkenntnis mit Blick auf psychologische Studien. Im Nachhinein beschlich mich allerdings der Verdacht, ich könnte diese Arbeit aus einem anderen, gar nicht so sachlichen Grund für bedeutsam halten: weil sie im selben Jahr das Licht der Welt erblickte wie ich: 1971!

Eine solche Bevorzugung aus privaten Gründen entspräche einer menschlichen Tendenz, die nicht so abwegig ist, wie sie zunächst klingt: Die Rede ist vom »name letter effect« oder Namensinitial-Effekt beziehungsweise seinem Pendant auf numerischem Gebiet, dem »birth date effect« (Geburtsdatumseffekt).

(Übrigens will ich der Frage, warum psychologische Effekte fast nur unter ihren englischen Bezeichnungen geläufig sind, auch einmal ein »Quantum Wahrheit« widmen – doch zurück zum Thema …) Wie diverse Experimente zeigten, bevorzugen Menschen messbar ihre eigenen Initialen sowie ihr Geburtsdatum, wenn man sie bittet, die Attraktivität von Buchstaben oder Zahlen zu bewerten.

Man mag das für ein künstliches Szenario halten, das Geschmacksurteile produziert, die man sonst nie hätte – wer pflegt schon eine leidenschaftliche Beziehung zu A, O und W oder irgendeiner bestimmten Jahreszahl? Andererseits beweist Unwissen noch längst nicht, dass etwas nicht wirksam ist – denn wie der gewiefte Psychologe weiß: Erstens bist du anders und zweitens als du denkst!

Die Präferenz wächst mit dem Selbstwertgefühl

Zudem verteilen sich die so gewonnenen Präferenzen keineswegs beliebig, sondern folgen einem Muster. Die Liebe zum eigenen Initial wächst nämlich im Schnitt mit dem Selbstwertgefühl der Person. Sprich: stolzes Ego = große Vorliebe für die Insignien des Ichs.

Wie das? Nun, die meisten Menschen finden sich selbst ziemlich dufte. Klug, gut aussehend, hilfsbereit, beliebt – you name it! Dieses positive Image färbt offenbar leicht auf Dinge ab, die wir mit uns in Verbindung bringen, wie etwa Name, Initialen oder Geburtsdatum. Und je dicker das Ego aufträgt, desto mehr färbt es ab.

Seit der Erstbeschreibung des »name letter effects« durch den belgischen Psychologen Jozef Nuttin Mitte der 1980er Jahre meldeten Skeptiker Bedenken an: Tritt der Effekt vielleicht nur auf, wenn man Menschen zwingt, Buchstaben oder Zahlen zu bewerten, ohne dass dies im Alltag auch nur irgendwie relevant wäre? Dagegen spricht, dass durchaus konkrete Kaufentscheidungen dem subtilen Charme des Initials unterliegen: Martin greift demnach eher zum Mars, Sabine zu Snickers. Zudem erwies sich der Effekt in Replikationen als erstaunlich stabil quer über Alter, Kultur und Geschlechter hinweg.

Ein weiterer Einwand: Ist die Vorliebe womöglich bloß Folge dessen, dass man den Personendaten schlicht schon oft begegnete, öfter als anderen Zahlen oder Buchstaben?

Alle bisherigen Effekte der Psychologie in dieser Kolumne
- Der fundamentale Attributionsfehler
- Die Normalitätsverzerrung
- Der Rückschaufehler
- Der Halo-Effekt
- Das Gesetz der kleinen Zahl
- Der Geburtsdatums- und der Namensinitial-Effekt

Mit meinen Initialen stehe ich persönlich ja aus sicher nachvollziehbaren Gründen eher auf Kriegsfuß – »SA« weckt nicht unbedingt positive Assoziationen. Doch ja, mir sind S und A sowie 1971 schon recht geläufig, ich habe sie zigmal in Formulare und behördliche Anträge eingetragen oder in Briefen von allen möglichen Behörden gelesen. Mag ich mein »annus mirabilis« 1971 also nicht deshalb, weil ich es mit mir verbinde, sondern weil es mir, nolens volens, schon oft unterkam?

Dass wir häufig auftretende Ereignisse und Objekte mit der Zeit regelrecht lieb gewinnen und ihnen mehr Attraktivität zuschreiben, gilt ebenfalls als gut belegt. Man nennt das – englisch, wie sonst? – den »mere exposure effect« (»bloße Begegnung«). Doch das ist bereits das Thema der nächsten Kolumne!

  • Quellen
Nuttin, J. M. Jr.: European Journal of Social Psychology 10.1002/ejsp.2420150309, 1985

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