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Mäders Moralfragen: Oma zeigt den Weg

Bei Smartphone & Co sind ältere Frauen skeptisch und manchmal auch hilflos. Ihre Kompetenzen sollten wir stärken, doch ihre berechtigten Vorbehalte nicht vom Tisch wischen.
Oma nutzt einen Computer

Meine Studierenden sind sich unsicher. Sie sammeln Geld für einen Film über ein vorbildliches Inklusionsprojekt und haben dafür eine Crowdfunding-Seite und Accounts auf Facebook und Instagram eingerichtet. Aber erreicht man auf digitalen Wegen spendenbereite Menschen, die wohlhabenden älteren Semester beispielsweise? Die sind doch alle offline. Natürlich nicht alle, es gibt allerdings einen markanten Effekt, der in vielen Studien auftaucht: In der Gruppe der Frauen ab 65 Jahren sind die Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung groß. Diese Frauen schätzen sich im Durchschnitt selbst als weniger digital-kompetent ein – und von dieser Selbsteinschätzung hängt es oft auch ab, wie man die künftige Entwicklung beurteilt.

Diesen Effekt habe ich vor einem Jahr kennen gelernt, als ich den Abschlussbericht des Technikradars 2018 redigierte, einer repräsentativen Umfrage der Akademie acatech und der Körber-Stiftung. 47 Prozent der Seniorinnen sagen, dass Technik mehr Probleme schaffe, als sie löse. 52 Prozent von ihnen besitzen weder Smartphone noch Tablet oder nutzen es nie. Und 73 Prozent lehnen die Aussage ab, es sei schick, die jeweils neuesten technischen Geräte zu nutzen. Diese Werte weichen sowohl von denen der gleichaltrigen Männer als auch von denen der jüngeren Frauen deutlich ab. Die Abweichung ist in den östlichen Bundesländern weniger stark ausgeprägt – ebenso wie in den meisten europäischen Staaten. Das entnehme ich einer weiterführenden Analyse, dem Technikradar 2019, in das auch Umfragen der Eurobarometer-Reihe eingeflossen sind.

Lieber plaudern als chatten

In den 1990er Jahren war das noch anders: In einer Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 1996 waren nicht nur die älteren Frauen, sondern auch die älteren Männer skeptisch, berichten die Autoren des Technikradars. Männer und Frauen unter 35 Jahren sagten damals mit großer Mehrheit (rund 80 Prozent), dass die Computertechnik das Leben verbessern werde. Bei den Männern ab 65 Jahren waren es jedoch nur 48 Prozent, und bei den Frauen dieser Altersgruppe nur 35 Prozent. Damals wurde kein Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern beobachtet.

Es könnte sein, dass die älteren Frauen in ihrer Jugend besondere Erfahrungen gemacht haben, die sie skeptisch werden ließen – Erfahrungen, die jüngere Frauen nicht mehr machten. Sollte diese Hypothese stimmen, müsste sich die distanzierte Haltung zu digitalen Technologien verringern, wenn Frauen in die Altersgruppe der Seniorinnen nachrücken, die anders aufgewachsen sind.

Das wird erst in den nächsten Jahren zu klären sein, doch die Studienautoren setzen schon heute auf eine andere Erklärung: Im Ruhestand hat man weniger Verpflichtungen und ist weniger darauf angewiesen, sich digital zu organisieren. Stattdessen hat man mehr Zeit zum Einkaufen und zum Plaudern. In ihrem Bericht schreiben die Autoren: »Diese analogen Fähigkeiten werden … vor allem von älteren Frauen – dank ihrer höheren sozialen Sensibilität und Kompetenz – mehr genutzt als von Männern.«

Empfehlungen für eine bessere digitale Welt

Die Basis für diese Hypothese ist zugegebenermaßen schmal: Die Sozialwissenschaftler stützen sich auf eine ausführliche Diskussion mit zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Auswertung solcher Gespräche führt zwar zu keinen belastbaren Statistiken, dafür kann man einen Eindruck davon bekommen, was die Menschen bewegt. Die Seniorinnen erzählten, dass ihnen oft ihr Mann mit dem Smartphone helfen müsse. Aber sie kritisierten nicht nur, dass die Geräte schwer zu bedienen seien, sondern auch die für sie unverständliche Logik und die mangelnde Fehlertoleranz. Berichte über Sicherheitslücken, Internetkriminalität und Datenskandale ließen sie zudem an der Sicherheit der digitalen Dienste zweifeln. Aber aufhalten wollten sie die Digitalisierung nicht – die wird auch von fast allen Befragten des Technikradars als unvermeidlich gesehen.

Trotz der dünnen empirischen Basis: »Die Herausforderung liegt auf der Hand«, schreiben die Autoren als Fazit. »Es gilt, Zuverlässigkeit bei Datenschutz und -sicherheit unter Beweis zu stellen und auf diese Weise das Vertrauen der älteren Nutzer zu gewinnen.« Das würde nebenbei auch allen helfen, die zahlreiche Onlinedienste nutzen, obwohl sie ahnen, dass ihre Daten dort nicht in den besten Händen sind. Weil Oma ihr Smartphone nicht so dringend braucht wie ihre Kinder und Enkel, hat sie einen klareren Blick auf so manche Dinge.

Profitieren nur die Unternehmen?

Wenn wir schon bei der Kritik sind, könnte man noch hinzufügen, dass die Deutschen die Digitalisierung in erster Linie als Erfolg für die Wirtschaft sehen: 82 Prozent rechnen mit positiven Auswirkungen auf die Unternehmen – mit der Digitalisierung kann man demnach Geld verdienen. Wenn es um die Gesellschaft geht, erwarten hingegen nur 54 Prozent einen positiven Einfluss. Bei diesen Antworten macht sich womöglich bemerkbar, dass die vermeintlich sozialen Netzwerke den gesellschaftlichen Austausch gar nicht so sehr voranbringen, wie sich das viele erhofft hatten. Trotzdem sind 54 Prozent eine stattliche Zustimmung, auf der die Anbieter digitaler Produkte aufbauen könnten – wenn es sie denn interessieren würde.

Meinen Studierenden scheint ihre suchtartige Onlineaffinität übrigens selbst suspekt zu sein. Im Semesterspecial unserer Lehrredaktion mit dem Titel »Connect« beschäftigen sich gleich mehrere Beiträge damit. Eine Studentin schließt zum Beispiel ihr Handy weg und gesteht hinterher, sie habe die wenigen Tage genossen. Eine andere empfiehlt in einem Kommentar, »sich lieber glücklich zu lachen, als glücklich zu liken«. Und eine dritte Studentin spricht mit ihrer Oma darüber und stellt anschließend fest: »Es geht nichts über ein persönliches Treffen.«

Die Moral von der Geschichte: Menschen beurteilen neue Technologien durchaus differenziert – diese Einschätzungen sollten Informatiker, Ingenieure und Politiker nutzen, um die Produkte besser zu gestalten.

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