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In Bestform: »Der Knochen braucht mechanische Belastung«

»Use it or lose it.« Das gilt für Muskeln und Knochen gleichermaßen, sagt Wolfgang Kemmler, Direktor am Osteoporose-Forschungszentrum der Universität Erlangen-Nürnberg. Im Interview erklärt er, welche Art Sport vor Osteoporose und Knochenbrüchen schützt.
Beine einer Joggerin beim Treppenlaufen

Osteoporose ist der Fachbegriff für Knochenschwund und eine der wichtigsten Ursachen von Knochenbrüchen im Alter. Wie kann man beidem vorbeugen? »Lebenslang Sport machen«, empfiehlt Wolfgang Kemmler, Direktor am Osteoporose-Forschungszentrum der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er berichtet aber auch, dass bestimmte Sportlerinnen und Sportler eher an porösen Knochen leiden. Im Interview erläutert er, woran das liegt und wie das passende Training aussieht.

»Spektrum.de«: Muskeln müssen beansprucht werden, sonst bauen sie sich ab. Gilt das auch für Knochen?

Wolfgang Kemmler: Definitiv. Use it or lose it – das gilt für Muskeln und Knochen gleichermaßen. Dass sich Knochen bei geringer mechanischer Belastung abbaut, sieht man beispielsweise bei Astronauten. In der Schwerelosigkeit verlieren sie pro Monat bis zu ein Prozent ihrer Knochenmasse.

Sie erforschen Osteoporose. Welche Personen untersuchen Sie dabei hauptsächlich?

Männer ab 50 Jahren und Frauen nach der Menopause, also auch ab etwa 50 Jahren. Wir konzentrieren uns derzeit allerdings mehr auf die Männer.

Warum?

Wolfgang Kemmler | Der Sportwissenschaftler leitet das Osteoporose-Forschungszentrum am Lehrstuhl für Medizinische Physik und Mikrogewebetechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Sie werden in solchen Studien selten adressiert. Häufig wird Osteoporose als typische Frauenkrankheit abgetan. Nach der letzten Regelblutung sinkt der Spiegel des Geschlechtshormons Östrogen, das Knochenaufbau und -abbau im Gleichgewicht hält. Folglich nimmt die Knochendichte vieler Frauen ab. Aber auch Männer sind betroffen. Ihr Hormonschutz endet etwas später als der weibliche, weshalb die Krankheit bei Männern meist etwas später auftritt. Sie kommen erst ab dem 60. Lebensjahr in eine vergleichbare Situation wie Frauen nach der Menopause.

Also sind die Hormone die Hauptschuldigen?

Darauf führt man es meistens zurück. Aber fehlende mechanische Belastung ist aus meiner Sicht genauso zentral. Auch die Ernährung kann eine Rolle spielen. Vitaminmangel ist hier zu Lande eher selten, außer bei Vitamin D, das für den Knochenstoffwechsel wichtig ist. Besonders ältere Menschen haben hier häufig ein Defizit. Neben der Zufuhr über die Ernährung wird das Vitamin hauptsächlich mit Hilfe von Sonnenlicht über die Haut hergestellt. Mit zunehmendem Alter kann der Körper nicht mehr so viel produzieren, zudem gehen viele Leute nicht mehr so oft nach draußen. Allein über die Nahrung ist es schwierig, genügend Vitamin D aufzunehmen. Da können Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sein.

»Sie können sich den Knochen vorstellen wie eine gotische Kathedrale«

Was ist mit Kalzium? Viele Menschen nehmen das Spurenelement ein, um Osteoporose vorzubeugen.

Das hilft genau wie die Vitamin-D Einnahme nur dann, wenn man tatsächlich einen Mangel hat. Wenn ich mich einigermaßen ausgewogen ernähre, kann ich meinen Kalziumbedarf relativ einfach decken. Eine ausreichende Versorgung an Vitamin D und Kalzium bildet quasi das Fundament. Zusätzlich braucht der Knochen aber auch mechanische Belastung.

Warum macht Sport meine Knochen stabiler?

Stellen Sie sich den Knochen vor wie eine gotische Kathedrale. Durch äußere Einflüsse wie das Wetter oder Menschen, die den Turm besteigen, entstehen kleine Risse im Bauwerk. Der Baumeister entdeckt die Risse, lässt sie sofort reparieren und das Mauerwerk verstärken. Dadurch bleibt das Gebäude stabil und kann Jahrhunderte überdauern. So ähnlich ist es mit dem Knochen. Ausgelöst durch mechanische Belastung und damit verbundene Mikrofrakturen finden darin ständig Reparaturarbeiten und Verstärkungen statt.

Kann ich mir durch viel Sport einen Puffer an Knochendichte aufbauen, so dass ich später keine Osteoporose bekomme?

Wenn man zu wenig tut, ist es schlecht – in jedem Lebensalter. In Wachstumsphasen erzielt man allerdings die größten Effekte. Danach wird es deutlich schwieriger, die Knochenfestigkeit positiv zu beeinflussen. Wenn ich als Jugendlicher oder Heranwachsender geeigneten Sport treibe, erreiche ich wahrscheinlicher die Knochenmasse, die für mich persönlich mit meiner genetischen Komposition erreichbar ist. Diese »peak bone mass« erreiche ich nicht automatisch, sondern nur, wenn ich meinen Nährstoffbedarf decke und Sport treibe.

Und dann geht es auch langsamer bergab?

Ja. Stellen Sie sich vor, Ihre Knochendichte ist heute im Alter von 30 Jahren 20 Prozent höher als die Ihrer weniger sportbegeisterten Zwillingsschwester. Selbst wenn Sie beide im Lauf der Zeit gleichermaßen Knochendichte verlieren würden: Sie hätten trotzdem immer 20 Prozent mehr. Folglich kommen Sie erst viel später in einen kritischen Bereich. Und auch dann können Sie noch etwas tun. Idealerweise machen Sie lebenslang Sport.

Wie lässt sich Muskelkater vermeiden? Wie viel sollten Sportler trinken? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die Biochemikerin Annika Röcker in ihrer Kolumne »In Bestform«. Mit Expertinnen und Experten aus der Sportmedizin diskutiert sie, was beim Sport im Körper vorgeht und wie ein gesundes Training aussieht.

Es gibt aber auch Medikamente gegen Osteoporose. Helfen die nicht?

Doch. Studien zeigen sehr eindrucksvoll, dass sich zum Beispiel mit Bisphosphonaten, Antikörperpräparaten oder Hormonen Knochenbrüche deutlich reduzieren lassen. Der große Nachteil einer rein medikamentösen Therapie ist, dass sie sich allein auf den Knochen konzentriert.

Auf was muss man noch abzielen?

Im höheren Alter entstehen die meisten Frakturen durch relativ einfache Stürze, oft sogar aus dem Stand. Die Knochendichte spielt dabei häufig gar keine große Rolle mehr. Anders gesagt: Wenn Sie ungünstig fallen, kann der Knochen immer brechen – egal, ob er fünf Prozent mehr oder fünf Prozent weniger dicht ist. Klassischerweise trifft es den Oberschenkelhals. Es geht also darum, Stürze von vornherein zu vermeiden.

»Wir wissen, dass exzessiver Radsport eher zu einer Reduktion der Knochendichte führt«

Und dafür braucht es Sport?

Ganz genau. Neben dem positiven Effekt auf die Knochenfestigkeit kann Sport die Sturzhäufigkeit mehr als halbieren. Das erklärt, weshalb ein gut abgestimmtes körperliches Training die Zahl der Frakturen ähnlich stark reduzieren kann wie eine medikamentöse Therapie. Um den Knochen effektiv zu stärken, muss das Training allerdings ziemlich intensiv sein. Zur Sturzprophylaxe braucht es viel weniger. Darum ist selbst sehr alten Menschen eine Kombination zu empfehlen: Medikamente gegen Osteoporose und körperliches Training, um Stürze zu vermeiden. Dann hat man gut vorgesorgt. Eine rein medikamentöse Therapie halte ich für suboptimal, besonders bei älteren Menschen mit erhöhtem Sturzrisiko.

Wie viel Sport?

Mindestens zwei Einheiten pro Woche. Trainieren Sie weniger als zweimal pro Woche, hat das keine Effekte auf die Knochendichte – wohl aber auf das Sturzrisiko. Das ist das Ergebnis einer Metaanalyse, die wir zu dieser Frage durchgeführt haben.

Wie lange sollte man jeweils trainieren?

Das kommt ganz darauf an, welche Art Training Sie betreiben. Insgesamt ist die Dauer für die Knochen weniger wichtig als für das Herz-Kreislauf-System. Hier zählt die Intensität: Wenn Sie zehnmal vom Stuhl auf den Boden springen, reicht das aus, um Ihren Knochen den nötigen Reiz zu geben. Es kommt zu einer positiven Anpassung. Natürlich entspricht das nicht dem ganzheitlichen und sicheren Training, das wir älteren Personen empfehlen würden.

Wie sähe ein solches Training aus: eher Kraft- oder Ausdauersport?

Diese klassische sportwissenschaftliche Einteilung greift hier nicht. Auf einem Fahrrad oder Ergometer zu fahren, bedeutet keine hohe mechanische Belastung. Ein solches Training hilft also nicht, die Knochenfestigkeit zu verbessern. Im Gegenteil: Wir wissen, dass exzessiver Radsport eher zu einer Reduktion der Knochendichte führt. Laufen oder Aerobic – was ja auch zum Ausdauersport zählt – stellt dagegen meist eine mechanisch überschwellige Belastung dar. Die Knochen werden also gestärkt.

Sie sagten eben, Radfahren könne den Knochen schaden. Weshalb?

Das trifft eigentlich nur auf den Hochleistungsbereich zu. Geben Sportler und Sportlerinnen ihrem Körper nicht genügend Zeit zu regenerieren, gelangen sie in einen Zustand wie dem bei einem Übertraining. Das hormonelle Milieu ist negativ verändert, und die mechanischen Reize, die beim Radfahren ohnehin unterschwellig sind, wirken nicht mehr optimal. Folglich baut der Körper keine Muskeln auf, sondern ab. Genauso Knochen.

Also haben Profiradlerinnen und -radler oft Osteoporose?

Zumindest haben sie im Mittel eine niedrige Knochendichte. Ambitionierte Radlerinnen oder Radler, die jeden Tag trainieren, schneiden im Vergleich oft schlechter ab als Personen, die gar keinen Sport treiben. Dasselbe kann man übrigens auch beim Leistungsschwimmen beobachten.

Man hört manchmal von Marathonläufern, denen plötzlich das Wadenbein bricht. Hat das mit Osteoporose zu tun?

Eher nicht. In solchen Fällen handelt es sich in der Regel um eine so genannte Marschfraktur. Dazu kann es kommen, wenn man den Knochen überlastet. Ist die Knochendichte besonders niedrig, geht das natürlich schneller, ursächlich ist aber meist eine mechanische Überlastung.

Wie merke ich denn, dass ich Osteoporose habe?

Im schlimmsten Fall: wenn der Knochen bricht, obwohl es kein traumatisches oder zumindest kein schwer traumatisches Ereignis gab. Dann ist es natürlich schon zu spät, um vorzubeugen. Besser ist es, sich rechtzeitig medizinisch untersuchen zu lassen.

Ab welchem Alter?

Etwa ab dem 50. Lebensjahr, beziehungsweise bei Frauen dann, wenn sie in die Wechseljahre kommen. Da ist es sinnvoll, sich einmal beim Arzt vorzustellen und gegebenenfalls die Knochendichte messen zu lassen. Zwar ist man dabei Röntgenstrahlung ausgesetzt. Die Dosis ist aber sehr gering, und die Messung wird maximal einmal pro Jahr durchgeführt.

Muss ich die Knochendichtemessung selbst bezahlen?

Wenn keine Krankheitsanzeichen vorliegen und es allein der Früherkennung dient: ja. Das zählt dann als Individuelle Gesundheitsleistung, kurz IGeL. Besteht auf Grund bestimmter Vorerkrankungen oder Medikamente ein erhöhtes Osteoporose-Risiko, bezahlen die Krankenkassen. Hat ein Arzt oder eine Ärztin bereits Osteoporose festgestellt, haben Patienten alle fünf Jahre Anrecht auf eine kostenlose Knochendichtemessung.

Diagnose: Osteoporose

Eine Osteoporose liegt vor, wenn die Knochendichte einen bestimmten Wert unterschreitet. Ein T-Score von 0 entspricht der Knochendichte eines gesunden jungen Erwachsenen, und bis –1 gilt der Wert als normal. Zwischen –1 und –2,5 liegt eine Vorstufe der Osteoporose vor, genannt Osteopenie. Ein T-Score von kleiner als –2,5 zeigt Osteoporose an. In einer großen deutschen Gesundheitsstudie gaben rund 24 Prozent der Frauen und knapp 6 Prozent der Männer ab 65 Jahre an, im Jahr zuvor unter Osteoporose gelitten zu haben. Wie viele Menschen in Deutschland tatsächlich betroffen sind, lässt sich nicht sagen. Oft wird die chronische Erkrankung erst festgestellt, wenn ein Knochen gebrochen ist.

Wenn ich bereits eine geringe Knochendichte habe: Sollte ich aus Angst, dass ein Knochen bricht, lieber auf Sport verzichten?

Nein. Ein geführtes Krafttraining an Geräten geht eigentlich immer – oder Wassergymnastik, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Fraktur tatsächlich sehr hoch ist. Auch andere Gymnastik, Tanzen oder Aerobic können Erkrankte sicher und effektiv durchführen. Erst kürzlich haben wir eine Studie mit rund 40 Männern zwischen 73 und 91 Jahren mit niedriger Knochendichte und wenig Muskelmasse abgeschlossen. Sie haben 18 Monate lang zweimal pro Woche ein hochintensives Training an Kraftgeräten absolviert. Es gab keinerlei Verletzungen, und wir konnten positive Effekte auf die Knochen verzeichnen. Man muss aber immer die jeweilige Situation der Menschen betrachten und sie entsprechend anleiten. Mit dem flächendeckend etablierten Rehabilitationssport haben wir in Deutschland ideale Voraussetzungen dafür.

Was meinen Sie mit Rehabilitationssport?

Rehasport gibt es für eine Vielzahl von Indikationen, darunter die Osteoporose. Das Training findet immer in Gruppen unter Anleitung von zertifizierten Übungsleitern statt und kostet nichts, wenn es ärztlich verordnet ist. Die Krankenkassen kommen dafür auf, zumindest bei gesetzlich Versicherten.

Gibt es Sportarten, die bei Osteoporose überhaupt nicht geeignet sind?

Wenn Sie eine hochgradige Osteoporose haben, womöglich mit Wirbelkörperfrakturen, sollten Sie jegliche Form von Sprüngen meiden.

Was ist mit Joggen?

Das ist normalerweise unproblematisch, denn die Kräfte, die der Boden dabei auf den Körper ausübt, sind deutlich geringer als bei einem Sprung. Besonders, wenn ich vorher schon gelaufen bin, kann ich das weiterhin tun. Da werde ich mir keine Fraktur holen – es sei denn, ich stürze. Wenn ich generell etwas unsicher unterwegs bin, würde ich auf Sportarten mit geringerem Sturzrisiko umsteigen.

Von Sportler zu Sportlern

Wolfgang Kemmler fährt häufig Rennrad und macht regelmäßig Kraft- und Fitnessübungen. Für sein Alter sei seine Knochendichte überdurchschnittlich hoch, berichtet er. Das führt der Sportwissenschaftler darauf zurück, dass er schon im Kindes- und Jugendalter viel Leichtathletik gemacht hat und immer »drangeblieben« ist. Davon zehre er noch heute.

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