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Lobes Digitalfabrik: Revolutioniert Blockchain die Bürokratie?

Die Blockchain-Technologie könnte nach der Finanzbranche die Staatenwelt umkrempeln. Doch hinter der Verschlüsselungstechnik stehen einige Fragezeichen.
Die Blockchain soll das Internet und mehr revolutionieren

Ein Computerkode sorgt für Aufsehen in der Finanzwelt: die Blockchain, eine Verschlüsselungstechnologie, die verspricht, alle Zwischenlösungen überflüssig zu machen. Man kann es sich wie ein digitales Kassenbuch vorstellen, das sämtliche Transaktionen erfasst und in einer Kette von Datenblöcken speichert. Die Besonderheit an diesem öffentlichen Register ist, dass es nicht von einer zentralen Autorität – etwa einem Amt oder Notar – verwaltet wird, sondern von allen Teilnehmern, die Zugriff haben und eine Kopie der Datenbank anfertigen können. Mittels Kryptografie wird sichergestellt, dass niemand die Daten in den Blöcken verändern kann. Die Blockchain könnte Geldhäuser und Notare dereinst überflüssig machen. Selbst nüchterne Banker sprechen mittlerweile von einer Revolution im Finanzwesen.

Als neutrales und kaum hackbares Dokumentationssystem von Informationen ist das Potenzial der Verschlüsselungstechnik riesig. So will die Lufthansa mit der Blockhain-Technologie die Wartung von Flugzeugbauteilen vom Hersteller über die Fluggesellschaft bis zum Maintenance- und Repair-Dienstleister (MRO) lückenlos dokumentieren. Und auch die Politik entdeckt den Nutzen dieser revolutionären Technologie.

Estland hat im Dezember 2015 ein ambitioniertes E-Residency-Programm aufgelegt. Seitdem kann jeder Mensch auf der Welt virtueller Bürger von Estland werden und mittels einer ID-Karte auch ohne Wohnsitz Verwaltungsleistungen in Anspruch nehmen: Online-Firmengründungen, Beglaubigung von Zeugnissen, Ausstellung von Geburtsurkunden und sogar Eheschließungen. Für die E-Heirat braucht es keinen Notar, kein Standesamt und keinen Priester – die Heiratsurkunde wird einfach auf der Blockchain hinterlegt. Für das E-Residency-Programm, das ähnlich wie die Unionsbürgerschaft komplementär zur nationalen Staatsbürgerschaft ist, haben sich bereits über 10 000 Menschen auf der ganzen Welt registriert.

Derzeit laufen einige Experimente mit Datenblockketten als potenziell staatlich anerkannten Beglaubigungssystemen. Im Mai 2015 gab die Firma Factom eine Kooperation mit Honduras bekannt, bei der das staatliche Grundbuchamt auf eine Datenblockkette übertragen werden sollte (das Projekt wurde aus politischen Gründen wieder abgesetzt). Schweden prüft die Einführung eines Katasteramts. Und die Ukraine plant in Zusammenarbeit mit dem Blockchain-Start-up Distributed Lab, Versteigerungen staatlichen Grundbesitzes über das Register durchzuführen, was die Korruption bei öffentlichen Bieterverfahren reduzieren soll. Das Grundbuch könnte obsolet werden. Es gibt sogar Überlegungen, Wahlen über die Blockchain abzuhalten, um die zunehmende Gefahr von Cyberangriffen zu minimieren. Laut Prognosen des World Economic Forum wird bis 2023 der erste Staat Lohnsteuern durch eine Datenblockkette einsammeln. Bis 2027 sollen mindestens zehn Prozent des gesamten Weltbruttoinlandsprodukts auf irgendeiner Datenblockkette abgespeichert sein.

Eine Verschlüsselungstechnologie ersetzt keinen funktionierenden Staat

Der Digitalvordenker Alex Tapscott präsentierte in einem Beitrag für das Magazin "Forbes" die Idee einer "Blockchain"-Demokratie. Man könnte nicht nur Grundbucheinträge über die Verschlüsselungstechnologie erfassen, sondern auch andere Dokumente wie Führerschein, Diplome, Sozialversicherungsnummern und irgendwann vielleicht sogar Grundrechte hineinschreiben. Die Blockchain als Verfassungssurrogat? Für Tapscott schafft das dezentrale Register eine radikale Transparenz, jedes Verwaltungshandeln wäre öffentlich einsehbar.

Mit Bitnation gibt es bereits eine virtuelle, blockchainbasierte Nation, die digitale Identitäten etwa für Flüchtlinge ausstellt. Die Gründerin Susanne Tarkowski Tempelhof hat die krypto-anarchische Vision eines Staats ohne Staatsgebiet, einer virtuellen Staatlichkeit, in der sich Gleichgesinnte vernetzen. Die Blockchain soll dabei als Gesellschaftsvertrag fungieren.

Dieses Techno-Utopia hat sich zum Teil schon materialisiert, und zwar in einem sieben Hektar großen Landstück an der Donau zwischen Kroatien und Serbien. Dort hat der Tscheche Vít Jedlička die Freie Republik Liberland ausgerufen, in dem ein über die Blockchain registriertes Katasteramt automatisiert und dezentral die Verwaltung übernimmt. Steuern gibt es keine, die Währung sind "Merits", die man erwirbt, wenn man bestimmte Aufgaben erledigt und Geld investiert. Ab 100 "Merits" erhält man erste Mitgestaltungsmöglichkeiten, ab 10 000 "Merits" den Anspruch auf die Staatsangehörigkeit. Obwohl der Mikrostaat international nicht anerkannt ist, haben sich bereits hunderttausende Interessenten um eine Staatsbürgerschaft beworben. Bloß: Geht es hier wirklich um die Realisierung einer Gesellschaftsutopie oder um die Schaffung eines Steuerparadieses?

Die Frage ist: Ist mit Kryptografie überhaupt Staat zu machen? Lässt sich die Legitimationskette einer parlamentarischen Demokratie durch Datenblöcke ersetzen? Die Politikwissenschaftlerin Marcella Atzori erörtert in ihrem Paper "Blockchain Technology and Decentralized Governance: Is the State still Necessary?", warum die Idee einer egalitären, staatenlosen blockchainbasierten Gesellschaft eine Illusion ist und am Ende sogar zu neuen Hierarchien führt. "Trotz der Open-Source-Natur der Protokolle und des viel gepriesenen Egalitarismus der Peer-to-Peer-Netzwerke würde eine massive Anwendung von Blockchain-Dienstleistungen neue Oligarchien und eine starke Polarisierung in der Gesellschaft schaffen. Kraft ihrer technischen Fähigkeiten würden Kode-Entwickler, Miner, Fintech-Profis und Technopreneure eine privilegierte Position in der Gesellschaft einnehmen und die neuen Politiker werden."

Die Macht in einer solchen Krypto-Nation hätten die Programmierer und Algorithmen. So faszinierend die Notarisierungsmöglichkeiten durch die Blockchain sind – Legitimation lässt sich nicht aus irgendwelchen Datenblöcken schürfen, sondern speist sich aus Wahlen und Abstimmungen. Eine Verschlüsselungstechnologie ersetzt keinen funktionierenden Staat.

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