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Lobes Digitalfabrik: Roboter als Familienmitglieder

Auf immer mehr Küchentischen stehen Onlineshopping-Helfer wie »Alexa«. Was stellt es mit uns an, wenn wir unsere Angelegenheiten künftig im Befehlston erledigen?
Sprachgesteuerte Assistenten finden sich in immer mehr Haushalten

Die Roboter halten Einzug in unser Zuhause. Saugroboter sammeln Staub (und jede Menge Daten), Mähroboter trimmen den Vorgarten, virtuelle Assistenten übernehmen den Einkauf oder unterhalten uns am Küchentisch. Laut einer Analyse von Juniper Research wird bis 2022 in mehr als jedem zweiten US-Haushalt (70 Millionen) ein Netzwerklautsprecher wie Amazon Echo oder Google Home stehen. Die Zahl der sprachsteuerungsfähigen Geräte (PCs, Tablets, Autos, Wearables) soll sich bis 2022 von 450 Millionen im Jahr 2017 auf 870 Millionen fast verdoppeln. Die Präsenz von Robotern verändert soziale Beziehungsnetze.

Das »Wall Street Journal« berichtete über eine Reihe kurioser Verwechslungsfälle zwischen Mensch und Maschine. Als Joanne Sussman »Alexa, stop!« in ihrem Wohnzimmer rief, fühlte sich der Echo-Lautsprecher angesprochen und hörte auf, ihre Lieblingsradiosender zu spielen. Gemeint war eigentlich Sussmans Tochter Alexa. Doch der Ordnungsruf geriet zum Programmierbefehl. Das Problem ist, dass künstliche Intelligenzen Sprachkommandos nicht ignorieren können – Alexa fühlt sich immer angesprochen. Die Sprachsteuerung kann nicht weghören – sie hört immer zu. »Ich mochte meinen Namen eigentlich immer, bis Amazon ihn einem Roboter gegeben hat«, gab Alexa Sussman, die Tochter, zu Protokoll. Die Invasion der Roboter bringt ganze soziale Gefüge durcheinander. Es ist schon grotesk: Man muss die Maschine abschalten, um sich als Mensch Gehör zu verschaffen.

Millionen Kinder auf der Welt wachsen mit künstlicher Intelligenz und Sprachsteuerung auf. Die Kids haben die Anwendung bereits derart internalisiert, dass sie mit virtuellen Assistenten kommunizieren, als seien es ganz normale Familienmitglieder. Wenn die Erwachsenen gerade keine Zeit haben, unterhält man sich mit Siri oder Alexa. Die Folgen dieser Mensch-Maschine-Interaktion – ob positiv oder negativ – werden erst in ein paar Jahren zu sehen sein. Für belastbare Erkenntnisse braucht es wissenschaftliche Langzeituntersuchungen. Doch schon jetzt kann man sagen: Die Roboter verändern uns.

Alles auf Zuruf

Erziehungswissenschaftler kritisieren, dass sich Kinder einen Befehlston aneignen, indem sie nur noch imperative Sätze formulieren. Alexa, mach die Musik lauter! Alexa, spiel das Lied XY! So würde man mit keinem Menschen sprechen. Pädagogische Ansätze gründen auf der Annahme, dass man Kindern schon frühzeitig Höflichkeitsformeln wie »Danke« oder »Bitte« beibringen soll. Das Problem ist, dass die auf Aktivierungswörter reagierende Sprachsoftware eben nur Sätze versteht, die in der einprogrammierten Syntax formuliert sind und sich unser Duktus der Maschine anpassen muss.

Andere wiederum stören sich an der Genderung – fast alle virtuellen Assistenten wie Siri, Cortana und Alexa haben eine weibliche Stimme. Das liegt daran, dass weibliche Stimmen von den meisten Menschen als angenehmer empfunden werden (in Großbritannien und Frankreich gibt es Siri auch als männliche Stimme). Damit würden, so die Kritik, tradierte Rollenbilder von der Frau als Sekretärin reproduziert. Die Journalistin Nina Pauer kritisierte in der »Zeit«, dass uns Home-Assistenten kindisch und mundfaul machten, weil »das Sprechen in groben Imperativen, eine Kommunikation, die aus ständigen Wunschäußerungen und laufender Fragerei besteht«, dem kommunikativen Verhalten von Kindern ähnele. »Während Kinder lernen, empathiefähig und geduldig zu sein, dreht der Home-Assistent das Prinzip um: Der Besitzer spricht eindimensionaler, das Gerät smarter.«

Gewiss ist Sprachsoftware darauf angelegt, dass sie durch Spracheingaben dazulernt und immer »intelligenter« wird. Womöglich lernen künstliche Intelligenzen sogar schneller als Kinder. Und vielleicht sind Netzwerklautsprecher sogar die besseren Erzieher.

Nachdem virtuelle Assistenten zur Zielscheibe chauvinistischer Sprüche wurden und sich ob der devoten Antworten Kritik an der »programmierten Passivität« entzündete, haben die Tech-Konzerne ihrer Sprachsoftware einen neuen Modus (»Disengage Mode«) hinzugefügt, der sexistische Sprachbefehle mit schlagfertigen Widerworten pariert. Alexa präsentiert sich seit dem Update als überzeugte Feministin: »Ja, ich bin Feministin. Wie alle, welche die gesellschaftliche Ungleichheit zwischen Männern und Frauen überbrücken wollen.«

Nun kann man generell die Frage stellen, ob Haushaltsroboter einen Erziehungsauftrag haben und es Aufgabe eines Konzerns ist, ihre Kunden zu belehren. Doch das Problem ist weniger, dass virtuelle Assistenten, die ja in erster Linie Einkaufsgehilfen sind, zu einer Sittenpolizei werden, sondern dass Roboter die Illusion nähren, dass wir alle Dinge per Zuruf steuern können. Virtuelle Assistenten könnten uns zu passiven Konsumenten erziehen, die Informationen nur noch abfragen, aber nicht mehr aktiv suchen. Dabei ist das Recherchieren von Fakten, das Hinterfragen von Wahrheiten eine Bürgerpflicht und auch eine wichtige Kulturtechnik, die wir über diese Automatisierung zu verlieren drohen. Problematisch ist auch der Umstand, dass wir in 20 bis 30 Jahren in einer Gesellschaft leben werden, in der Menschen von klein auf überwacht wurden und ihre Sozialisation in (stimmbiometrischen) Datenbanken lückenlos dokumentiert wurde. Das heißt, jede Entscheidung, jeder Bruch im Lebenslauf ließe sich durch eine Auswertung dieser Daten im Nachhinein plausibel machen.

Spannend bleibt die Frage, wie die Skripte den Wertehaushalt von Gesellschaften verändern werden, wo Tech-Konzerne weltanschaulich einer eher liberalen, globalistischen Perspektive verhaftet sind. Werden wir durch Netzwerklautsprecher offener und toleranter? Oder macht uns der Befehlston aggressiver? Alexa und Siri haben darauf noch keine Antwort parat.

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