Grüne Landwirtschaft: Die Schattenseiten des Biolandbaus
Hier zu Lande genießt der Biolandbau einen guten Ruf: Die dadurch erzeugten Lebensmittel gelten als gesünder, nahrhafter, tier- und vor allem umweltfreundlicher produziert als vergleichbare Produkte aus der konventionellen Landwirtschaft. Nicht alles davon ist wissenschaftlich belegt. Und manchmal ist sogar das Gegenteil der Fall, wenn etwa der konventionell erzeugte, aber im Frühling aus Neuseeland per Schiff importierte Apfel eine klimafreundlichere Bilanz aufweist als der heimische Bio-Apfel, der seit der Ernte im Kühlhaus lagert.
In einem Punkt schneidet der Biolandbau aber tatsächlich in zahlreichen Studien besser ab als konventionelle Landwirtschaft: Derart bewirtschaftete Flächen weisen im Schnitt und langfristig eine deutliche höhere Artenvielfalt auf als Vergleichsflächen, die herkömmlich genutzt werden. Ökologisch bestellte Felder und Wiesen bieten demnach im Mittel 30 Prozent mehr Vogel-, Insekten- oder Wildkrautarten dauerhaft eine Heimat – sei es, weil die Bauern auf Pestizide verzichten, häufiger Fruchtwechsel auf ihren Flächen praktizieren oder sie kleinräumige Strukturen wie Hecken und Feldraine erhalten und nicht bis an den äußersten Rand des Ackers anpflanzen (siehe auch "Ackern für die Vielfalt"). Dieses durchaus wünschenswerte Ergebnis lieferte nun eine größere Metastudie von Lindsay Turnbull von der University of Oxford und ihrem Team, die 95 Arbeiten zur ökologischen Landwirtschaft unter die Lupe genommen und verglichen haben.
Freunde des Biolandbaus sollten jedoch nicht zu früh jubeln. Denn Turnbull und Co betonen, dass dieses Ergebnis tatsächlich nur für die gemäßigten Breiten Europas und den Mittelmeerraum gelte – Gebiete, in denen der Mensch teils seit Jahrtausenden Landwirtschaft betreibt. Dort siedelten sich im Lauf der Zeit viele Arten an, die mit extensiver Landwirtschaft gut zurechtkommen oder sich sogar erst durch sie entwickeln konnten, wie viele Wildkrautarten des Mittelmeerraums.
In den Tropen gilt dieser Zusammenhang hingegen nicht – im Gegenteil: Dort könnte biologische Landwirtschaft sich sogar verheerend auf die Biodiversität auswirken, warnen die Wissenschaftler anhand ihrer Arbeit. Da der Ökolandbau naturgemäß weniger intensiv stattfindet und beispielsweise auf mineralischen Dünger oder Pestizide verzichtet, benötigt er größere Flächen als konventionelle Landwirtschaft, um die gleiche Ertragsmenge zu produzieren (siehe auch "Alles Bio?"). Fast jede Flächenausweitung in den Tropen geht aber einher mit dem Verlust natürlicher Ökosysteme. Wer also davon ausgeht, dass Bio-Soja aus den Tropen umweltfreundlich ist, täuscht sich immens.
Der Grund hierfür liegt zum einen ebenfalls in der Kulturgeschichte und der – in diesem Fall fehlenden – Koevolution der Artenvielfalt: Viele intensiv genutzte Nutzpflanzen der Tropen gelangten erst in der jüngeren Vergangenheit aus ihrer ursprünglichen Heimat in andere Regionen, wo sich ihr großmaßstäblicher Anbau durchgesetzt hat – etwa Bananen aus Asien nach Südamerika oder Kakao aus Zentralamerika nach Westafrika. Dementsprechend existieren praktisch keine Insekten- oder Wildkrautarten, die sich vor Ort zusammen mit der Nutzung entwickeln konnten.
Dazu kommt, dass sich in den tropischen Ländern die Artenvielfalt weit gehend unbeeinflusst von den Eiszeiten entwickeln konnte. Wenn also strukturreiche Regenwälder durch monotone Sojafelder oder Ähnliches ersetzt werden, muss das Vielfalt kosten. Dann nützt es auch nichts mehr, die Äcker biologisch-dynamisch zu bewirtschaften. Im Gegenteil: Weitet man den entsprechenden Biolandbau aus, treibt man erst recht die Flächenumwandlung an – weil die Erträge zu gering ausfallen und man eben mehr Land benötigt. Das kann direkt wie indirekt geschehen, indem beispielsweise Sojafelder Viehweiden tiefer in das Amazonasbecken hinein verdrängen. Die steigende Nachfrage nach Bioproduktion nachhaltig durch Importe aus dem Süden zu decken, hätte fatale Folgen für die globale Artenvielfalt.
Ähnliches gilt für Bio-Erdbeeren aus China, Bio-Spargel aus Peru oder Bio-Quinoa aus Bolivien: Je stärker die Nachfrage in den Industrieländern danach steigt, desto mehr Flächen müssen hierfür bereitgestellt werden. Und manchmal ist es für die Umwelt und das Klima sogar besser, wenn man "konventionelle" Lebensmittel konsumiert statt der -vermeintlich – ökologischen: Weiderinder aus der argentinischen Pampa haben eine bessere Ökobilanz als Bio-Soja aus der gleichen Region. Denn sie erhalten ein Grasökosystem, das viel Kohlendioxid speichert und zahlreichen spezialisierten Arten eine Heimat bietet. Das kann Soja nicht leisten, selbst wenn es ohne Dünger oder Pestizide angepflanzt würde.
Doch der Konsum von Bio-Lebensmitteln aus dem Süden ist natürlich nicht per se falsch – wenn man bei den "richtigen" Produkten ansetzt. Und das betrifft viele Dauerkulturen wie Kaffee oder Kakao. Beide gedeihen am besten unter Schattenbäumen, weshalb etwa ein "guter" Kaffeewald dem natürlichen Ökosystem Regenwald ähnelt – ein sehr großer Anteil der Artenvielfalt bleibt darin tatsächlich erhalten, wie einige Studien eindrucksvoll belegen (ein willkommener Nebeneffekt ist, dass die besten Kaffeesorten auch am besten im Schatten gedeihen).
Das müssen die Käufer von Bio-Lebensmitteln also bei ihrer Kaufentscheidung berücksichtigen. Öko-Soja aus den Tropen rettet die Welt nicht – im Gegenteil: Sie könnte ihr sogar noch mehr schaden.
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