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Schlichting!: Wie man Zylinder zum Kreiseln bringt

Kleine Zylinder, etwa Kappen von Filzstiften, kann man mit einem Fingerdruck kreiseln lassen. Wenn man es richtig anstellt, zeigen sich in der Drehbewegung sogar seltsam stationäre Muster.
Bei einer speziellen Art von Kreisel erscheinen rätselhafte ortsfeste Muster auf der bewegten Scheibe.
Bei einer speziellen Art von Kreisel erscheinen rätselhafte ortsfeste Muster auf der bewegten Scheibe. Hinter dem Trick steckt ein einfaches physikalisches Verhältnis.
Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

Schon als Kind habe ich zylinderförmige Alltagsgegenstände kreiseln lassen. Damals nahm ich etwa Pillenbehälter oder Rundhölzer dazu, heute bieten sich vor allem Filzstiftkappen an. Mich beeindruckte dabei vor allem der originelle Start dieser Zylinderkreisel. Man setzte sie nicht durch Andrehen in Gang, wie man es von üblichen Kreiseln kennt. Stattdessen musste man den Zeigefinger kräftig, aber gefühlvoll auf eines der Enden pressen und den Finger – immer noch in festem Kontakt – schließlich abrutschen lassen. Das verlieh dem Zylinder einen mehr oder weniger heftigen Drall, je nach Stärke des Drucks. Das Ergebnis: eine ebenso eindrucksvolle wie komplizierte Drehbewegung, die man den einfachen Objekten so nicht zugetraut hätte.

Jahre später begegnete ich einem solchen originellen Kreisel dann auf einem Weihnachtsmarkt. An einem Verkaufsstand waren verschiedene Zylinderkreisel an ihren Enden mit einem farbigen Punkt versehen. Überraschenderweise konnte man trotz der schnellen Drehung deutlich die Markierung auf dem rotierenden Zylinder sehen – und zwar nicht etwa als verwischten Streifen in der entsprechenden Farbe. Vielmehr erschien der Punkt stationär an mehreren festen Stellen, während der Zylinder wegen der schnellen Rotation nur als diffuse Scheibe wahrzunehmen war. Das Ganze wirkte wie eine trickreiche Zauberei.

Wie kommt es zu diesem merkwürdigen Phänomen? Um das zu beantworten, haben mein Kollege Christian Ucke und ich mit Rohrenden unterschiedlicher Länge experimentiert, die wir von einem Installationsrohr aus Kunststoff (mit einem Durchmesser von 18 Millimetern) abgeschnitten haben. Als wir in einem ersten Versuch ein vier Zentimeter langes Ende zum Kreiseln brachten, waren keine stationären Punkte zu sehen. Man muss sich offenbar genauer mit der Physik des Kreisels vertraut machen, um die Erscheinung zu verstehen und gezielt hervorzubringen.

»Ich peitsche diese Vorstellung im Kreise umher wie ein Bube seinen Kreisel!«Wilhelm Raabe, deutscher Dichter

Die Kreiselbewegung des Zylinders erweist sich als eine Überlagerung zweier Drehbewegungen. Zum einen dreht er sich parallel zur Tischplatte um seine kurze Rotationsachse senkrecht zur Länge des Zylinders (Winkelgeschwindigkeit Ω) – das ist das sichtbare Kreiseln. Zum anderen rotiert das Rohrstück um die eigene Längsachse (Winkelgeschwindigkeit ω). Dabei rollt es mit einer Seite des Rohrendes auf dem Tisch, nämlich derjenigen, die dem angestoßenen Punkt gegenüberliegt.

Details der Bewegung | Während sich der Zylinder mit der Winkelgeschwindigkeit Ω entlang des gestrichelten Kreises dreht, rollt er mit der Winkelgeschwindigkeit ω um die Mittelachse des Zylinders ab. Dabei beschreibt der rote Punkt eine Zykloide.

Kurz nach einem geglückten Start ist die Zylinderachse stark geneigt, und die Winkelgeschwindigkeit Ω um die Achse senkrecht zur Unterlage ist noch ziemlich groß. Dabei gleitet der Zylinder schnell um seine Längsachse – schneller, als es einem einfachen Abrollen entsprechen würde. Das sorgt für Gleitreibung, durch die das Gleiten rasch in ein Rollen ohne Schlupf übergeht. Daraufhin nimmt die Rotationsenergie stark ab und mit ihr der Neigungswinkel. Von oben betrachtet erscheint der Kreisel wie eine verwischte Scheibe, deren Durchmesser näherungsweise der Länge des Zylinders entspricht.

Um die Bewegungen besser getrennt voneinander betrachten zu können, ist ein rot markierter Punkt am Ende des Zylinders sehr hilfreich. Sobald dieser in eine Rollbewegung übergegangen ist, sind die beiden Drehbewegungen fest miteinander gekoppelt. Bei jeder Kreiselrunde (Umlauf um 360 Grad) rollt der Zylinder um dieselbe Gesamtstrecke ab. Wie oft er sich währenddessen um seine Längsachse dreht, hängt von seinem Umfang ab. Das legt den Gedanken nahe, die Abmessungen von Durchmesser und Länge des Zylinders so aufeinander abzustimmen, dass der rote Punkt bei jedem Umlauf immer an denselben Stellen erscheint.

Bogen für Bogen im Kreis herum

Schaut man sich die Abrollbewegung des Zylinders genauer an, so stellt man fest, dass der rote Berührpunkt eine besondere Kurve beschreibt, eine so genannte Zykloide. Ein Alltagsbeispiel für solch eine Kurve ist ein Fahrradpedal, das man während der Fahrt von der Seite betrachtet. Es bewegt sich zunächst in einem Bogen zu einer tiefsten Stelle, wo es einen Moment innezuhalten scheint, bevor es sich erneut in einem Bogen nach oben entfernt.

Zykloide | Auf einem Kreis, der entlang einer Linie rollt, beschreibt ein markierter Punkt eine charakteristische, bogenförmige Kurve.

Wenn jetzt der rote Punkt während einer vollen Runde von 360 Grad gerade dreimal seinen Umkehrpunkt erreicht, taucht er genau dreimal auf der verwischten Scheibe auf – wie bei unserem Zylinderkreisel. Das kurze Innehalten des Punkts bei den Richtungsänderungen und deren schnelle Aufeinanderfolge reichen offenbar aus, um für uns einen sichtbaren Eindruck zu erzeugen.

Zykloide im Kreis | Der rote Punkt durchläuft bei jeder vollständigen Umdrehung des Zylinderkreisels eine Zykloide, die in diesem Fall in sich selbst zurückläuft und drei Umkehrpunkte aufweist.

Mit diesem Wissen lassen sich die dafür nötigen Abmessungen leicht berechnen. Wenn der Kreisel schon sehr flach rotiert, ist der Durchmesser der scheinbaren Scheibe näherungsweise gleich der Zylinderlänge L. Während eines solchen Umlaufs rollt der Zylinder auf einem Kreis mit dem Durchmesser l ab. Der rote Punkt durchläuft daher L/l-mal seinen Umkehrpunkt. Man kann demnach von vornherein festlegen, wie oft der rote Punkt stets an derselben Stelle zu sehen sein wird. Das funktioniert vor allem in der Endphase der Kreiselrotation. In unserem Fall beträgt L/l = 3. Daher sehen wir beim Blick auf den wirbelnden Kreisel gerade ein gleichseitiges Dreieck aus stationären roten Punkten. Bei unseren Versuchen mit dem Kunststoffrohr von 18 Millimeter Durchmesser war also eine Länge von 5,4 Zentimetern nötig statt den zuerst probierten 4 Zentimetern.

Start des Zylinderkreisels | Man drückt mit einem Finger so auf das Ende eines kurzen Zylinders, dass er beim Abrutschen in eine schnelle Drehung gerät. Dann rotiert er sowohl um seine Längsachse als auch um eine Achse, die senkrecht auf der Unterlage steht und durch die Mitte des Zylinders geht.
Zylinderkreisel in Bewegung | Blickt man senkrecht von oben auf den rotierenden Zylinderkreisel, so wird der rote Punkt stationär an drei Stellen sichtbar. Der besseren Sichtbarkeit wegen wurde die Farbsättigung der Punkte etwas erhöht.

Während einer Vorführung kann man dieses Phänomen noch geheimnisvoller erscheinen lassen, indem man den Zylinder an beiden Enden mit einem andersfarbigen Punkt versieht, zum Beispiel mit einem roten und einem gelben. Wenn man dann die Bewegung wahlweise durch Druck auf die eine oder andere Seite startet, zeigt der rotierende Kreisel entsprechend mal ein rotes und mal ein gelbes Punktedreieck.

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