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Durchbruch des Jahres: Dieser Solarboom sollte uns Sorgen machen

Das Wissenschaftsjournal »Science« kürt den globalen Siegeszug erneuerbarer Energien zum Durchbruch des Jahres 2025. Das ist unangemessen, kommentiert Mike Zeitz: Diese Revolution ist keine wissenschaftliche Leistung – sie ist Geopolitik mit anderen Mitteln.
Luftaufnahme eines großen Solarparks in hügeliger Landschaft. Reihen von Solarpaneelen erstrecken sich über die grünen Hügel, während im Hintergrund eine Bergkette unter einem klaren Himmel zu sehen ist.
Solarmodule ziehen sich durch die Berglandschaft beim chinesischen Nanping. Der Ausbau der erneuerbaren Energien in der Volksrepublik ist beispiellos rasant.

Seit den 1990er Jahren vergibt das Forschungsmagazin »Science« den Titel des wissenschaftlichen Durchbruchs des Jahres (»Breakthrough of the Year«). Für das Jahr 2025 wählte sie das scheinbar unaufhaltsame Wachstum der erneuerbaren Energien, insbesondere von Windkraft, Solarenergie und Batteriespeichern. Dieses werde von China angetrieben, das die Technologien auf große Skalen gebracht und sich damit als Weltmarktführer etabliert habe.

Das Jahr 2025 markiert tatsächlich eine Wende: Erstmals wurde weltweit mehr Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt als aus Kohle. Ich freue mich über diese Bilanz. Aber ich halte die Auszeichnung für unangemessen. Die Entwicklung gibt vielmehr Grund zur Sorge.

In den vorangegangenen Jahren ehrte »Science« echte wissenschaftliche Durchbrüche: hochwirksame Medikamente gegen HIV (2024) und Diabetes sowie Adipositas (2023), den erfolgreichen Missionsbeginn des JWST-Weltraumteleskops (2022), KI-gestützte Analyse von Proteinstrukturen (2021) und die rasche Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 (2020).

Beim Durchbruch des Jahres 2025 ist es anders. Nicht Wissenschaft steht hier im Mittelpunkt, sondern Politik, die von Technologie profitiert – von einer alten obendrein. Die ersten Solarzellen aus Silizium gab es bereits im Jahr 1954. Ihre modernen Vertreter sind zwar viel kleiner und effizienter, fundamental neu ist die Technik aber nicht.

Die Solarzellen symbolisieren auch, was bei dem »Science«-Durchbruch schiefläuft. Nicht etwa High-End-Zellen mit hohen Wirkungsgraden oder innovativen Materialien werden ausgezeichnet. Nein, »Science« würdigt Kennzahlen in einem globalen Summenspiel. Und dahinter steckt eine bedenkliche Entwicklung.

Module sind heute konkurrenzlos günstig, weil chinesische Hersteller ihren Preis mit einer enorm hochskalierten Fertigung und staatlichen Subventionen massiv gedrückt haben. Mit jeder Verdopplung der Produktion sank der Preis pro Modul um etwa ein Viertel. Das heißt konkret: Innerhalb von zehn Jahren kostete ein Modul nur noch ein Zehntel.

China hat die Energiewende monopolisiert

Während es noch im Jahr 2010 in Europa vollständige Wertschöpfungs- und Lieferketten gab, beherrscht inzwischen China den Markt. Das Land hat die Energiewende erfolgreich monopolisiert. In einem Jahr baut China selbst mehr Solarenergie zu als alle anderen Staaten zusammen. Die dortige Regierung will den Anteil von Solar- und Windparks an der nationalen Stromproduktion bis zum Jahr 2026 auf knapp ein Viertel steigern.

Einerseits ist das eine gute Nachricht. Überall auf der Welt stillt Solarenergie den wachsenden Energiehunger, weil sie dank dieser Entwicklungen die billigste Stromquelle ist.

Andererseits drohen der Welt neue Unsicherheiten. Kurzfristig mag die Abhängigkeit von China das Leben günstig machen, doch langfristig kommt sie uns möglicherweise teuer zu stehen. In der Vergangenheit hatten die Industriestaaten ihre Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen vielfach vor Augen, sei es bei der Ölpreiskrise der 1970er Jahre infolge eines Boykotts durch den Nahen Osten oder während der Energiekrise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Wenn wir nicht aufpassen, könnte die wünschenswerte Befreiung von Kohle, Gas und Öl nun das Tor zur nächsten großen Krise öffnen.

Module, unverzichtbare Wechselrichter und Batterien kommen vor allem aus China. Das Land kann somit in unliebsamen Staaten den Solarausbau von einem Tag auf den anderen abwürgen, wenn es das aus politischen Gründen wollte. Mehr noch: Da meist eine Elektronik zur Fernsteuerung inklusive ist, könnten Hacker sogar Hintertüren in der Software nutzen, um bestehende Netze lahmzulegen.

Was nützt Fortschritt, der auf Rückschritten anderswo baut?

Selbst, wenn man solche Gefahren ausblendet, garantiert der Solarboom noch keine Zukunft mit sauberen Energien. Weltweit darf der Erfolg der Erneuerbaren nicht darüber hinwegtäuschen, dass parallel kein Rückgang bei fossilen Energieträgern zu verzeichnen ist. Der globale Kohlebedarf war 2024 und 2025 so hoch wie noch nie. Gerade China befeuert sein Wachstum auch weiterhin mit dem schmutzigsten aller Energieträger. Die Klimaziele, die sich die Welt inklusive Chinas setzt, sind unambitioniert und werden regelmäßig nicht erreicht, was sich seit Jahren in mageren Ergebnissen bei den Weltklimakonferenzen widerspiegelt.

All das demonstriert: Der Solarboom ist das Resultat einer geopolitischen Strategie einer unberechenbaren Weltmacht, kein wissenschaftlicher Erfolg. Ihn als solchen zu feiern, verkennt gefährliche Dynamiken.

Den Solarboom als wissenschaftlichen Erfolg zu feiern, verkennt gefährliche Dynamiken

Freilich wenden auch früher ausgezeichnete Durchbrüche die Welt nicht automatisch zum Guten. Ein Mittel gegen HIV gefunden zu haben, heißt beispielsweise nicht zwangsläufig, dass auch die Menschen davon profitieren, die am meisten unter dem Virus leiden. Auch solche Zusammenhänge wurden 2025 schmerzlich offenbar. Wir müssen als Gesellschaft immer wieder verhandeln, wie wir neu dazugewonnene Fähigkeiten zum Wohl aller einsetzen und dürfen uns nicht darauf verlassen, dass der Rest zum Selbstläufer wird.

Aber die von »Science« für 2025 getroffene Wahl hat eine andere Qualität. Der Anteil der Wissenschaft an dem vermeintlichen Durchbruch ist überschaubar und betrifft eher volkswirtschaftliche Aspekte wie das Gesetz der Massenproduktion. Belohnt wird ein Brute-Force-Ansatz der globalen Dominanz.

Der Grundsatz, dass der Zweck nicht jedes Mittel heiligen darf, muss gerade auch in der Wissenschaft gelten. Insofern ist zwar begrüßenswert, dass die erneuerbaren Energien die fossilen nun am Markt schlagen. Aber am Ziel sind wir noch lange nicht. Und vor allem ist der Weg, auf dem wir dorthin gelangt sind, beschämend und gefährlich für alle Staaten der Welt außer China. Da gibt es nichts zu feiern.

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