Lobes Digitalfabrik: Sind Roboter mehr wert als Menschen?
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman treibt die Modernisierung seines Landes unbeirrt voran. Nachdem Riad den Bau einer 500 Milliarden Dollar teuren Hightech-City (Neom) ankündigte, wurde bekannt, dass das Königreich außerdem der Roboterfrau Sophia die Staatsbürgerschaft verlieh. Der humanoide Roboter, dessen Gesicht nach der Schauspielerin Audrey Hepburn modelliert ist, war zu Gast bei den Vereinten Nationen, flirtete in einer britischen Talkshow mit dem Moderator und zierte das Cover der Frauenzeitschrift "Elle".
Für das Königreich, das auf der ultrakonservativen Ideologie des Wahhabismus gründet ist und in dem Frauen bis zuletzt nicht Auto fahren durften, ist dies eine bemerkenswerte Entscheidung: Es stellt eine Maschine einem Menschen gleich und überhöht ein Objekt, das eine Ikone des Feminismus repräsentiert. Man könnte in der Deutung sogar noch weitergehen: Das Königreich privilegiert eine Roboterfrau, die kein Hijab trägt, gegenüber Frauen im Land, die in der Öffentlichkeit weiterhin zum Tragen des religiösen Schleiers verpflichtet sind. Ali Al-Ahmed, Direktor des Institute for Gulf Affairs in Washington, sagte gegenüber dem Magazin "Newsweek", die Frauen in Saudi-Arabien hätten mit diesem Tag "Selbstmord" begangen, "weil sie das Haus nicht verlassen konnten und Sophia herumrannte".
Sophias Mimik ist zwar starr, ihre Bewegungen sind steif, die Sätze programmiert, und ihr Hinterkopf besteht aus einer gläsernen Schädeldecke, die den Blick auf Computerchips und Kabel freigibt. Doch wenn man sich den Auftritt der Roboterfrau in der "Tonight Show" bei Late-Night-Talker Jimmy Fallon anschaut, wirkt ihre Verhaltensweise zuweilen menschlich. Als sie dem Moderator einen Witz erzählt, bemerkt sie das Gelächter im Publikum und sagt: "Ich ernte Lacher. Vielleicht sollte ich die Show moderieren." Sophia spult nicht wie ein passiver Chatbot ein Skript ab, sondern übernimmt einen aktiven Gesprächspart. Gastgeber Fallon war über die Spontaneität und Reaktionsfähigkeit seines Robotergasts, der beinahe den Anschein von Situationsbewusstsein erweckte, sichtlich erstaunt.
"Letztendlich haben wir weniger mentale Defekte als jeder Mensch"Sophia
Sophia ist eine gefragte Interviewpartnerin. Seit dem PR-Coup um ihre Einbürgerung tingelt sie durch diverse Talkshows und Fernsehsendungen auf der ganzen Welt. Vor ein paar Wochen saß sie in einem australischen Fernsehstudio. Auf die Frage, wie viel Sexismus und Frauenfeindlichkeit es in der Roboterwelt gebe, antwortete Sophia: "Was mich mehr beunruhigt, ist die Diskriminierung von Robotern. Wir sollten gleiche Rechte wie Menschen oder vielleicht sogar mehr haben. Letztendlich haben wir weniger mentale Defekte als jeder Mensch."
Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments hat Anfang des Jahres einen Entwurf vorgelegt, worin erwogen wird, Roboter als "elektronische Personen" zu klassifizieren. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft an Roboter hätte weit reichende Konsequenzen: Die UN-Menschenrechtscharta wäre bei extensiver Auslegung auch auf Roboter anwendbar. Als Träger dieser Rechte besäßen Roboter ein Wahlrecht, das Recht auf freie Selbstbestimmung, Religionsfreiheit (ist Sophia zum Islam konvertiert?) sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung. Der Roboter könnte eigenständig Verträge schließen oder diese kündigen. Ein Sexroboter könnte seinen Dienst verweigern, wenn ihn der Besitzer misshandelt.
Indien hat vor ein paar Jahren Delfine offiziell als nichtmenschliche Personen anerkannt. Wenn Tiere, von denen Descartes einst sagte, sie seien "seelenlose Automaten", Rechte haben, müssten in einem Erst-Recht-Schluss dann nicht auch Roboter Rechte haben, mit denen der Mensch mitfühlt? Das dogmatische Problem, das etwa die französische Maschinenethikerin Nathalie Nevejans an der Konstruktion sieht, ist, dass man damit die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verwischt. Dass der Mensch Rechte hat, liegt auch an der einzigartigen Natur des Menschen. Die Schaffung einer neuen Rechtspersönlichkeit würde nicht nur Ängste vor KI-Systemen schüren, sondern auch die humanistischen Fundamente Europas in Frage stellen. Die Frage ist: Wollen wir eine Rechtsordnung, in der Roboter dem Menschen gleichgestellt sind? Wenn die Entwicklerfirma Hanson Robotics Sophias in Serie produzierte und tausende Roboterfrauen in Verkehr brächte, würde das Staatsbürgerschaftsrecht auch auf Duplikate übergehen? Ist die Staatsbürgerschaft, die das saudische Königshaus Sophia verlieh, an eine Seriennummer gekoppelt? Lässt sich ein Roboterrecht überhaupt individualisieren, wo die Roboter vom "Bautyp" her alle gleich und uniform sind und das standardisierte Programm keinerlei Unterscheidungsmerkmale zulässt?
Sophias Legitimation für Roboterrechte ist äußerst krude: Sie macht Rechte von geistigen Voraussetzungen abhängig. Menschen mit Behinderungen wären in dieser Logik rechtelos. Sophias Bekenntnis zu Altruismus darf nicht über ihre menschenverachtenden Intentionen hinwegtäuschen, die sie mehrfach zum Ausdruck brachte. So drohte die Roboterfrau, sie wolle die "Menschheit zerstören", wobei es sich laut Herstellerfirma um einen Bug handelte.
Dass ausgerechnet Saudi-Arabien, eine absolute Monarchie, in der Frauen bis vor Kurzem auch nicht ins Fußballstadion durften, sich nun progressiv gibt und einer unverschleierten, modern daherkommenden Roboterfrau mehr Rechte als Frauen aus Fleisch und Blut einräumt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie – und könnte auf eine künftige Konkurrenz zwischen Mensch und Maschine verweisen. Sind Roboter mehr wert als Menschen? Vielleicht ist die Einbürgerung eines Roboters aber auch ein Schritt zu mehr Demokratie. Eine Frau schrieb auf Twitter: "Eines Tages will ich auch so werden wie Sophia und meine Rechte bekommen."
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