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Springers Einwürfe: Die beste Medizin

Armut ist ein eminentes Gesundheitsrisiko. Gegen die erhöhte Mortalität in Entwicklungsländern bewährt sich eine denkbar simple Sofortmaßnahme.
Blick auf die Skyline von Mumbai über Slums im Vorort Bandra
Kontrast zwischen Arm und Reich: Abseits der Wolkenkratzer der indischen Megastadt Mumbai leben viele Menschen in Elendsvierteln.

In der Novemberausgabe 1993 veröffentlichte »Spektrum« einen Artikel unter dem Titel »Lebensstandard und Lebenserwartung«. Darin erinnerte der indische Ökonom Amartya Sen – einige Jahre später mit dem Wirtschafts-Nobelpreis ausgezeichnet – an eine einfache, aber gern unterschätzte Tatsache: Für das echte Wohlbefinden eines Landes ist nicht die Höhe des Bruttoinlandsprodukts ausschlaggebend, sondern zuallererst, ob seine Menschen ein möglichst langes und angenehmes Leben führen.

Lebenserwartung und materieller Lebensstandard klaffen oft gehörig auseinander. In den reichen USA, so Sen, hätten Afroamerikaner geringere Überlebenschancen als Inder im ungleich ärmeren Bundesstaat Kerala, wo dafür Bildung, Gesundheit und Ernährung engagierter gefördert würden.

In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern grassieren Korruption und soziale Ungleichheit. Dort fristen ganze Schichten der Bevölkerung ein Leben in bitterem Elend. Ihr Dasein ist nicht nur härter als das der anderen, sondern überdies kürzer. Chronische Armut ist ein wichtiger – vielleicht der bedeutsamste – Krankheitsfaktor.

Als die übliche Langzeittherapie dient internationale Entwicklungshilfe. Sie hat gewisse Nachteile: Sie wirkt langsam, verfehlt oft das Ziel, versandet mitunter in dunklen Kanälen und verschärft oft noch die sozialen Gegensätze. Gibt es eine Maßnahme, die sich schnell und gezielt einsetzen lässt und direkt Wirkung zeigt?

In der Tat haben in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als 100 Entwicklungs- und Schwellenländer so genannte Cash-Transfer-Programme aufgelegt, die Bargeld direkt an besonders bedürftige Personen oder Haushalte ausgeben. Das umfasst bedingungslose Transfers, wie sie vor allem im subsaharischen Afrika üblich sind, oder solche, die – wie in Lateinamerika häufiger – an bestimmte Gegenleistungen der Empfänger geknüpft werden.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie nahm die Anzahl solcher Programme stark zu. Nach Schätzungen der Weltbank kamen 1,36 Milliarden Menschen – 17 Prozent der Weltbevölkerung – in den Genuss von Bargeldtransfers. Nachweislich senken Transfers die Armut, und sie verbessern wirtschaftliche Selbstständigkeit, Schulbesuch, Ernährung der Kinder, Gleichberechtigung der Frauen und die Nutzung medizinischer Einrichtungen. Schlägt sich der Erfolg auch in Amartya Sens Hauptkrite­rium nieder, der Lebenserwartung?

Das hat ein Team um den US-Mediziner Aaron Richterman von der University of Pennsylvania in Philadelphia untersucht. Die Forscher analysierten Daten von mehr als sieben Millionen Menschen zwischen 2000 und 2019, um die Wirkung der Bargeldtransfers auf die Mortalität herauszufinden.

Das Resultat: Die direkten Zahlungen erhöhten insbesondere die Lebenserwartung von Kindern unter fünf Jahren und diejenige von Frauen. Mit der Zeit sank auch die Mortalität der Männer. Es machte kaum einen Unterschied, ob das Bargeldprogramm an Bedingungen geknüpft war oder nicht.

Alle Maßnahmen wirkten sich umso stärker aus, je mehr Menschen sie erfassten, je höher die transferierten Beträge ausfielen und je schlechter der Gesundheitszustand der Bevölkerung schon von Haus aus war.

Bemerkenswert ist, dass die Mortalität der Frauen am stärksten reagierte. Anscheinend profitieren sie am meisten von den Transfers. Offenbar gab es weniger Todesfälle während der Schwangerschaft und kurz nach der Geburt des Kindes. Insofern kommen die Bargeldtransfers jungen Familien besonders zugute – und stellen damit die Weichen für eine gesündere Zukunft.

Die Covid-19-Pandemie hat die Staaten der Erde zu nie da gewesenen Anstrengungen gedrängt, menschliches Leben zu schützen. Die Pest der weltweiten Armut erfordert nicht weniger Initiative.

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