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Springers Einwürfe: Die Zukunft der Quanten

Man muss mit ihnen rechnen – aber was sind sie? Naturbausteine oder mathematische Tricks? Wellen oder Teilchen? Die Deutungsfrage spitzt sich zu.
Eine abstrakte Darstellung von Datenströmen in Form von bunten, leuchtenden Punkten, die wellenförmig über den Bildschirm verlaufen. Die Punkte symbolisieren digitale Informationen und sind in verschiedenen Farben wie Blau, Pink und Grün dargestellt. Im Hintergrund sind unscharfe Zahlen und Zeichen zu erkennen, die auf Datenanalysen oder digitale Kommunikation hinweisen. Die Szene vermittelt ein Gefühl von Technologie und Innovation.
Welche tiefere Wahrheit verbirgt sich hinter Wellen und Teilchen?
Ist die Energiewende sauber durchgerechnet? Kann die Forschung wirklich die Zukunft voraussagen? Und widerspricht die Quantenphysik sich selbst? In seinen Kommentaren geht der Physiker und Schriftsteller Michael Springer diesen und anderen Fragen am Rande des aktuellen Wissenschaftsgeschehens nach. Seit 2005 erscheint seine Kolumne »Springers Einwürfe«.

Einerseits begegneten die Revolutionäre der Quantenphysik vor gut 100 Jahren einander mit höflicher Hochachtung. Andererseits hielten sie doch oft recht wenig von den Versuchen der Kollegen, sich einen Reim auf die neue Wissenschaft zu machen.

Niels Bohr betrachtete Einsteins hartnäckige Versuche, den lokalen Realismus zu retten, als verlorene Liebesmüh. Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger verfolgten bei der Formalisierung der Quantenmechanik gegensätzliche Strategien – auch wenn Schrödinger bald nachweisen konnte, dass seine Wellen und Heisenbergs Matrizen zum selben Ergebnis führen. Bohr gab sich wenig überzeugt von Heisenbergs erster, anschaulicher Herleitung der Unbestimmtheitsrelation. Heisenberg fand Schrödingers Erklärung der diskreten Elektronenniveaus als stehende Wellen obskur.

Der Standpunkt hing grob davon ab, ob man Teilchen oder Wellen favorisierte. Heisenberg und Max Born verorteten die physikalische Realität eher bei den subatomaren Partikeln. Für Schrödinger hingegen waren die Teilchen Wellenpakete, die zum Zerfließen neigen.

Als gemeinsamer Nenner kristallisierte sich ein Minimalkonsens heraus, der als Kopenhagener Deutung bezeichnet wird: Bohr gab mit seinem Komplementaritätsprinzip den Aspekten von Welle und Teilchen gleiches Gewicht. Obwohl sie einander klassisch ausschließen, benötigt der Quantenmechaniker alle beide.

Themenwoche »Quantenphysik neu gedacht«

Die Quantenmechanik war von Anfang an heftig umstritten. Auch 100 Jahre später ist sich die Fachwelt nicht einig: Was verraten die Formeln über die Realität? In dieser Themenwoche hinterfragen wir, was nötig ist, um die wahre Natur der Teilchen zu begreifen. Womöglich braucht es eine völlig andere Herangehensweise.

100 Jahre Quantenmechanik: Dichtung und Wahrheit hinter Heisenbergs Quantenrevolution
Realität: Warum selbst Physiker die Quantenmechanik nicht verstehen
Quanten-Holonomie-Theorie: Eine neue Verbindung von Raum, Zeit und Quantenphysik
Unwissenschaftliche Heilsversprechen: Schluss mit dem Quanten-Hokuspokus!
Nobelpreisträger 't Hooft: »Der Grund, warum es nichts Neues gibt, ist, dass alle gleich denken«
Springers Einwürfe: Die Zukunft der Quanten

Mehr zu den seltsamen Phänomenen aus der Welt der Teilchen und Atome finden Sie auf unserer Themenseite »Quantenphysik«.

So war Frieden eingekehrt, zumindest »for all practical purposes« (FAPP) – aber zu einem zunächst unterschätzten Preis. Die Quantenmechanik trifft bloß Wahrscheinlichkeitsaussagen, erst die tatsächliche Messung liefert eindeutige Werte. Für diesen Übergang, den so genannten Kollaps der Wellenfunktion, fehlte eine physikalische Erklärung. Er geschieht einfach so an der Schnittstelle von klassisch-physikalischem Messgerät und mikroskopischer Quantenwelt.

Heisenberg schrieb damals, es gebe zweierlei Sprachen: die für die Makrowelt des Labors und eine quantenstatistische für den Mikrobereich. Damit konnte man sich abfinden, solange die beiden Domänen säuberlich getrennt blieben.

Heutzutage sind die zwei Sphären gehörig durcheinandergeraten. Serge Haroche, Nobelpreisträger von 2012, konnte im Labor quasi in Zeitlupe den Kollaps der Wellenfunktion als so genannte Dekohärenz darstellen. Der Begriff bezeichnet den Übergang von der quantenphysikalischen Superposition aller möglichen Zustände zum eindeutigen Endzustand, und zwar durch Wechselwirkung mit der Umgebung. Auf kosmologischen Skalen wiederum sind Schwarze Löcher, Fluktuationen der kosmischen Hintergrundstrahlung sowie nicht zuletzt der Urknall nur quantenphysikalisch zu erfassen.

Das früher per FAPP ignorierte Messproblem bläht sich also zur unvermeidlichen Grundfrage auf: Wie könnte eine einheitliche Physik, die Quanten, Alltag und Kosmologie einschließt, überhaupt aussehen?

Dabei taucht die alte Typologie der Teilchen- und Wellenmechaniker wieder auf. Die einen berufen sich auf David Bohm; er hatte in den 1950er Jahren eine Deutung vorgeschlagen, wonach die Partikel klassisch-reale Teilchen sind, die einem quantenphysikalischen Führungsfeld gehorchen. Hingegen vertrat H. Dieter Zeh ab 1970 eine Vielwelten-Spielart der Dekohärenz-Theorie. Dieser zufolge stellt die Wellenfunktion, indem sie sich bei jeder Wechselwirkung in alle statistisch möglichen Zustände verzweigt, das einzig Reale dar.

Sogar Einsteins fixe Idee, hinter der Quantenmechanik verberge sich eine noch tiefere klassische Theorie, taucht wieder auf, vertreten von Gerard 't Hooft, Nobelpreisträger von 1999. So kreist die Hoffnung um eine künftige Physik, die Felder und Quanten zu etwas noch Fundamentalerem vereinen wird. Gesucht sind nun: mathematische Strukturen jenseits von Wellen und Teilchen.

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