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Springers Einwürfe: Mäßigung im Schlaraffenland

Die Güter der Erde sind begrenzt, wir sollen sie nachhaltig nutzen. Leichter gesagt als getan – denn wer ist »wir«?
In den aufgerissenen Mund eines Mannes fahren mehrere kleine Häppchen wie Schiffe in eine Grotte
Wenn diejenigen, die im größten Überfluss leben, sich nur ein wenig einschränken, wäre allen bereits geholfen.
Ist die Energiewende sauber durchgerechnet? Kann die Forschung wirklich die Zukunft voraussagen? Und widerspricht die Quantenphysik sich selbst? In seinen Kommentaren geht der Physiker und Schriftsteller Michael Springer diesen und anderen Fragen am Rande des aktuellen Wissenschaftsgeschehens nach. Seit 2005 erscheint seine Kolumne »Springers Einwürfe«.

Wir alle kommen aus dem Land, wo Milch und Honig fließen. Ein Säugling braucht bloß zu schreien, schon werden Hunger und Durst gestillt. Als Große müssen wir uns schon mehr ins Zeug legen. Das beschreibt die biblische Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies. Nur im »Schweiße unseres Angesichts«, durch Arbeit, können wir unsere Bedürfnisse befriedigen.

Alles dafür Nötige liefert die Natur scheinbar im Überfluss. Unsere Vorfahren behauten Steine, sammelten Früchte, jagten Tiere. Dann lernten sie, die natürlichen Güter zu bewirtschaften, mit Ackerbau und Viehzucht, Industrie und Internet. Lange schienen die Ressourcen dafür unerschöpflich.

Damit ist es jetzt vorbei. Nicht einmal saubere Luft und trinkbares Wasser gibt es mehr umsonst. Unser Planet erweist sich als ein endliches System. Dem muss sich der globale Konsum fügen.

Das kann doch nicht so schwer sein! Wenn wir die Menschheit als eine Person betrachten, die sich vernünftig, das heißt nachhaltig, innerhalb der natürlichen Grenzen einrichtet, müssten die Probleme bald zur allgemeinen Zufriedenheit gelöst sein.

Der Haken an der Sache: Die Menschheit existiert nur als abstrakter Begriff. Real zerfällt sie in diverse Gesellschaften, deren unterschiedliches Konsumniveau die planetaren Ressourcen höchst ungleich belastet. Das macht die Frage, wo eine nachhaltige Umweltpolitik ansetzen soll, so knifflig.

Um das Problemfeld einer global wirksamen Konsumsteuerung abzustecken, hat eine Gruppe vorwiegend chinesischer Forscher um Peipei Tian und Honglin Zhong von der Shandong-Universität im November 2024 insgesamt 201 Konsumentengruppen in 168 Ländern auf deren ökologischen Fußabdruck hin untersucht. Dabei zeigten sich nicht nur enorme Unterschiede zwischen armen und reichen Weltregionen, sondern auch innerhalb der einzelnen Industrie- beziehungsweise Entwicklungsländer: Überall gibt es Wohlhabende, die relativ luxuriös konsumieren, und Habenichtse, die von der Hand in den Mund leben.

So beuten die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung in wohlhabenden Ländern wie den USA die Umwelt geradezu skandalös stark aus, während das Entwicklungsland Burundi im subsaharischen Afrika eine vergleichsweise egalitäre Umweltbelastung ausübt. Je reicher ein Land, desto extremer der relative Luxuskonsum der Gutgestellten.

Darum konzentrierten die Forscher ihr Augenmerk auf möglichst effektive Verhaltensänderungen bei den Wohlhabenden dieser Erde. Sie rechnen vor, dass die obersten 10 Prozent der globalen Verbraucher, ob sie nun aus Industrie- oder Entwicklungsländern stammen, für rund 30 bis 70 Prozent der nicht nachhaltigen Umweltbelastung verantwortlich sind. Fasst man gar 20 Prozent der weltweiten Topkonsumenten ins Auge, steigt der von ihnen angerichtete Schaden auf 50 bis 90 Prozent der Gesamtbelastung.

Der Löwenanteil dieser ökologischen Überlastung stammt von der mit dem Wohlstand wachsenden Vorliebe für tierische Nahrung sowie von den für urbanes Leben typischen Dienstleistungen. Lässt sich daran etwas ändern?

Die chinesische Studie gibt eine optimistische Antwort: Ja; wenn die Verbraucher in den oberen 20 Prozent ihr Konsumniveau senken, und zwar hin zu der innerhalb »ihres« Fünftels geltenden Untergrenze, lassen sich dadurch gigantische 25 bis 53 Prozent der globalen Gesamtbelastung vermeiden. Damit bliebe der gesamte Fußabdruck im Rahmen der planetaren Grenzen – und der Konsum würde nachhaltig.

Ein allgemeiner Verzicht auf Lebensstandard und -qualität ist also gar nicht angesagt. Freilich wird selbst eine moderate Mäßigung des Überkonsums im saturierten Teil der Welt auf politischen Widerstand stoßen. Immerhin könnte die Zunahme katastrophaler Umweltereignisse die Bereitschaft zum Einlenken steigern.

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  • Quellen

Tian, P. et al.: Keeping the global consumption within the planetary boundaries. Nature 635, 2024

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