Springers Einwürfe: Schwerkraft-Quanten dringend gesucht

Die Geschichte der Physik ist eine Serie von Vereinigungen. Isaac Newton vermählte irdische Vorgänge und Himmelsbewegungen, indem er die Fernwirkung der Schwerkraft feststellte. James Clerk Maxwell brachte Elektrizität und Magnetismus unter den Hut symmetrischer Feldgleichungen. Heinrich Hertz vereinigte Elektromagnetismus und Optik: Licht ist elektromagnetische Strahlung.
Anfang des 20. Jahrhunderts versöhnte Albert Einstein durch die spezielle Relativitätstheorie die klassische Mechanik mit dem Elektromagnetismus. Seine allgemeine Relativitätstheorie vollendete die Vereinigung, als er die Gravitation als Geometrie der Raumzeit formulierte.
Parallel zur Krönung der klassischen Physik entstand die nichtrelativistische Quantentheorie. Einstein hielt sie für unfertig. Vor allem musste ihm missfallen, dass die quantenmechanische Verschränkung eine »spukhafte Fernwirkung« zuließ – hatte er doch mit seiner Theorie der Schwerkraft die newtonsche Fernwirkung zugunsten einer lokalen Feldtheorie verabschiedet.
Wenn heute über die Deutung der Quantentheorie debattiert wird, über Verschränkung und Schrödingers Katze, ist immer noch von den Problemen einer nichtrelativistischen Theorie die Rede. Es gibt aber längst einen Formalismus, der die Quantenphysik zumindest mit der speziellen Relativitätstheorie versöhnt. Die Quantenfeldtheorien beschreiben, wie sich Partikel erzeugen und vernichten und wie Felder durch den Austausch virtueller Teilchen Wechselwirkungen vermitteln.
Diese Theorien haben innerhalb der Quantenwelt die Vereinigung von Elektromagnetismus und schwacher Kernkraft ermöglicht, und beide zusammen wurden mit der starken Kraft in das Standardmodell der Teilchenphysik eingebaut. Als echter Fremdkörper bleibt die Gravitation übrig.
Warum nicht eine Quantenfeldtheorie der Schwerkraft versuchen? Die vierdimensionale Raumzeit würde im kleinsten Maßstab quasi körnig, das Schwerefeld eine brodelnde Suppe virtueller Gravitonen. Die allgemeine Relativitätstheorie wirft freilich derart große mathematische Probleme auf, dass eine quantentheoretische Formulierung – ähnlich wie bei der starken Kernkraft – nur näherungsweise möglich wäre.
Doch selbst wenn man keine Theorie findet: Ließe sich die Quantennatur der Schwerkraft nicht dennoch experimentell nachweisen?
Tatsächlich bereiten mehrere Teams solche Versuche vor. Sie folgen damit einer Idee von Richard Feynman: Man versetze eine kleine Masse in einen quantenmechanisch verschränkten Zustand und lasse sie gravitativ mit einer zweiten Masse wechselwirken. Wenn dadurch die Körper verschränkt werden, hat man die Quantennatur der Gravitation bewiesen.
Allerdings türmen sich hohe experimentelle Hürden. Nicht nur, dass der ersehnte Effekt ungemein winzig wäre. Vor allem muss der Versuch in einem perfekten Vakuum stattfinden, denn schon ein verirrtes Molekül könnte die Verschränkung zerstören. Und nun melden sich obendrein zwei Spielverderber zu Wort.
Die Theoretiker Joseph Aziz und Richard Howl von der University of London erinnern daran, dass das Experiment à la Feynman von der »alten«, nichtrelativistischen Quantentheorie ausgeht. Wenn man aber über das Gravitationsfeld hinaus zudem die beteiligten Massen nach allen Regeln der Quantenfeldtheorie beschreibt, mischen nicht nur Gravitonen beim virtuellen Teilchentausch mit, sondern auch Materieteilchen. Damit wäre das Experiment kein eindeutiger Beweis für die Quantennatur der Schwerkraft.
Der heilige Gral der Physik, die Vermählung aller Naturkräfte, ist nicht zum Greifen nah. Aus der bisherigen Erfolgsgeschichte lassen sich jedoch sogenannte effektive Theorien für ungeahnte Anwendungen gewinnen: In kleinen Bereichen erzielt man damit große Fortschritte. Man darf bloß nicht versuchen, die ganze Welt auf einmal zu beschreiben.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.