Springers Einwürfe: Vielfalt der Liebe unter Fliegen

Sobald es ums Liebesspiel geht, kann eine einzelne Mutation dafür sorgen, dass sich Arten mit völlig unterschiedlichen Vorlieben herausbilden. Ausgangspunkt für diese Erkenntnis war Drosophila melanogaster. Die Schwarzbäuchige Taufliege ist der Star unter den Modellorganismen der biologischen Forschung. Entsprechend gründlich weiß man über Entwicklung, Körperbau und Verhalten des kaum zwei Millimeter großen Insekts Bescheid. Zum Beispiel über die Brautwerbung: Den Fortpflanzungsakt bahnt das Männchen mit einem komplexen »Liebeslied« an, das es mit einer Abfolge von Flügelvibrationen erzeugt.
Hat der tremolierende Troubadour damit die Aufmerksamkeit eines Weibchens erregt, nähert er sich von hinten, um dessen Genitalien durch Klopfen und Lecken zu stimulieren. Anschließend krümmt der Liebhaber den Unterleib vorwärts und versucht zu kopulieren. Sofern das Weibchen einverstanden ist, zieht sich die Paarung eine gute Viertelstunde lang hin.
Vor allem japanische Forscher haben sich auf die genetische Grundlage des Sexualverhaltens der kleinen Fliegen spezialisiert. Sie haben ein Gen identifiziert, das für die Reifung besonderer Motoneurone sorgt, welche wiederum die für das männliche Liebesspiel nötigen Muskeln innervieren. Mutationen des »fruitless« (fruchtlos) getauften Gens bewirken ein abweichendes Balzverhalten; das reicht von generellem Desinteresse an Sex bis zur aktiven Hinwendung zum gleichen Geschlecht.
Nun hat ein japanisches Team um Ryoya Tanaka und Yusuke Hara von der Universität Nagoya sowie vom National Institute of Information and Communications Technology in Kobe untersucht, welche Rolle das fruitless-Gen bei einer verwandten Drosophila-Art namens D. subobscura spielt. Diese selbst für Taufliegen besonders unscheinbare Spezies – der lateinische Name lässt sich mit »weniger als unauffällig« übersetzen – macht zwar optisch nicht viel her, zeichnet sich aber durch ein höchst originelles Liebeswerben aus.
Drosophila subobscura ist ein Kussspezialist. Das Männchen bringt zum Liebesspiel ein im Kropf gespeichertes Klümpchen Nahrung mit, welches es, sobald sich die Gelegenheit ergibt, hervorwürgt und dem Weibchen von Mund zu Mund als Brautgabe einflößt.
Die originelle Gleichzeitigkeit von intimer Berührung und Hochzeitsgeschenk tut meist ihre Wirkung, und zwar umso mehr, je fitter das Männchen ist und je gehaltvoller sich infolgedessen sein Nahrungspaket präsentiert.
Die japanischen Forscher wollten wissen, welche genetische Grundlage die überraschende Divergenz des Sexualverhaltens bei derart nahen Verwandten wohl hat. Zu dem Zweck modifizierten sie gentechnisch das fruitless-Gen gezielt so, dass sie den Einfluss auf einschlägige Neurone, Muskeln und speichelproduzierende Zellen verfolgen konnten.
So konnte die Gruppe um Tanaka und Hara zeigen: Eine gentechnische Überstimulierung des Systems der sexuell relevanten Nerven, Muskelstränge und Speichelzellen veranlasst die Männchen der Spezies D. melanogaster, beim Lecken der weiblichen Genitalien unwillkürlich Nahrung herauszuwürgen – als wären sie desorientierte Männchen der Sorte D. subobscura. Umgekehrt hindert eine künstliche Hemmung des Nerven-, Muskel und Speichelsystems von D. subobscura solche Männchen fortan, ihren Rüssel auszufahren und die verführerischen, weil nahrhaften Küsse zu vollführen.
Daraus schließen die Forscher, dass vor 30 bis 35 Millionen Jahren, als die beiden Arten sich trennten, eine folgenreiche Mutation des fruitless-Gens stattfand, die eine der beiden Spezies mit der Möglichkeit ausstattete, die originelle Kusstechnik zu entwickeln. Das zeigt, wie dramatisch sich eine einzelne Mutation stammesgeschichtlich auswirken kann.
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