Die fabelhafte Welt der Mathematik: Vergesst die 42, die Lieblingszahl von Nerds ist 1729

In der Popkultur gibt es immer wieder Anspielungen auf die 42. Sie ist die Lieblingszahl vieler Nerds, seit sie der Sciencefiction-Autor Douglas Adams in seinem inzwischen legendären Roman »Per Anhalter durch die Galaxis« verwendet hat. In diesem wird ein Supercomputer damit beauftragt, »die Antwort auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest« zu berechnen. Das ernüchternde Ergebnis: 42. Seither ranken sich allerlei Vermutungen und Mythen darum, weshalb sich Adams ausgerechnet für diese Zahl entschied. Wahrscheinlich ist es gerade das Ausbleiben einer zufrieden stellenden Antwort, das die Faszination für diese Zahl hochhält.
Auch ich finde die 42 natürlich ganz cool. Doch wahre Nerds (insbesondere Mathe-Fans) werden wohl eher eine andere Zahl verehren. Und ich meine jetzt nicht Pi, e oder √2, sondern eine natürliche Zahl, die inzwischen ebenfalls Kultstatus erlangt hat. Denn auch sie wird von einer unglaublichen Geschichte begleitet – allerdings einer, die sich wirklich so zugetragen hat.
Dazu springen wir nach England, in die Wintermonate der Jahre 1918 und 1919. Der Erste Weltkrieg wurde gerade beendet, die Welt atmet allmählich wieder auf. Der Mathematiker Godfrey Harold Hardy steigt in ein Taxi mit der Nummer 1729, um seinen kranken Kollegen Srinivasa Ramanujan im Krankenhaus zu besuchen. Die Kriegsjahre haben ihren Tribut gefordert: Nicht nur fühlte sich der aus Indien stammende Mathematiker sehr einsam und litt an Depressionen; wegen der Lebensmittelengpässe fiel es dem Vegetarier Ramanujan außerdem schwer, sich ausgewogen zu ernähren, was einen schweren Nährstoff- und Vitaminmangel verursachte. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, erwähnt Hardy die »langweilige« Nummer, die sein Taxi trug. Doch der 31-jährige Ramanujan widerspricht seinem Freund: »Es ist eine sehr interessante Zahl; es ist die kleinste Zahl, die sich auf zwei verschiedene Arten als Summe zweier Kubikzahlen ausdrücken lässt.« Inzwischen ist 1729 als Ramanujan-Zahl bekannt.
Kurze Zeit nach seinem Krankenhausaufenthalt kehrt Ramanujan nach Indien zu seiner Frau und seiner Familie zurück. Doch dort verschlechtert sich sein gesundheitlicher Zustand rapide. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1920 verfasst er weiterhin mathematische Schriften – unter anderem mehrere Formeln, die sich um die Zahl 1729 drehen. Und tatsächlich beschäftigen diese Gleichungen die Fachwelt bis heute.
»Ramanujans Arbeit entstand aus einem Höhenflug der Fantasie. Wenn man ihn fragen würde, warum er seine Arbeit gemacht hat, würde er wahrscheinlich sagen, dass er Formeln aufgezeichnet hat, die er schön fand. Und sie waren schön, weil sie ein unerwartetes Phänomen enthüllten. Und diese führten schließlich zu großen mathematischen Theorien des 20. und 21. Jahrhunderts«, sagte der Mathematiker Ken Ono von der Emory University im Jahr 2016 in einem Interview mit dem »Quanta Magazine«.
Ein ungewöhnlicher Lebenslauf
Das kurze Leben von Ramanujan hat inzwischen Legendenstatus. Er wuchs in armen Verhältnissen in Indien auf und zeigte früh ein Talent für Mathematik. So erhielt er Stipendien und konnte Universitäten besuchen. Doch seine Leidenschaft für die Mathematik wurde ihm zum Verhängnis: Er vernachlässigte alle anderen Fächer und musste daher die Universitäten verlassen. Um für seine Frau sorgen zu können, nahm er eine Anstellung an einem Hafen an. Sobald er abends von der Arbeit zurückkehrte, widmete er sich der Mathematik; nächtelang brachte er damit zu, Zahlen und Gleichungen zu studieren. Einige seiner Erkenntnisse konnte er zwar in indischen Fachzeitschriften veröffentlichen, aber die wurden in der westlichen Welt nur wenig beachtet. Und daher beschloss Ramanujan, sich direkt an britische Mathematiker zu wenden, um seine Arbeit bekannt zu machen.
Er verschickte seitenweise Briefe an verschiedene Professoren. Da er sich jedoch fast alles selbst beigebracht hatte, besaßen seine Abhandlungen einen eigentümlichen Stil; viele seiner Behauptungen enthielten keine Beweise. Einige Empfänger schickten daher kurzerhand seine Briefe zurück, empfohlen ihm weiterführende Literatur oder missachteten ihn ganz. Als Hardy einen Brief von Ramanujan erhielt, wollte er die Zuschrift zunächst auch ignorieren. Doch ein paar der Formeln erregten seine Aufmerksamkeit. Hardy beriet sich mit seinem Kollegen John Edensor Littlewood – und nach mehreren Stunden entschieden sie, dass sie diesen mysteriösen indischen Mathematiker sprechen mussten. Die Theoreme in dem Brief »haben mich völlig überwältigt; ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen«, soll Hardy gesagt haben. »Sie müssen wahr sein, denn niemand hätte die Fantasie, sie zu erfinden.«
Nach einigem Austausch war Hardy so fasziniert von Ramanujans ungewöhnlichem Talent, dass er ihm ein Stipendium an der University of Cambridge besorgte und ihn überredete, nach England zu reisen und mit ihm zusammenzuarbeiten. Und so ließ Ramanujan seine Frau und seine Mutter in Indien zurück und reiste 1914 nach England, um sich voll und ganz der Mathematik zu verschreiben. Und das tat er auch – ohne dabei auf sich selbst zu achten. Er arbeitete bis zu 30 Stunden am Stück, vergaß zu essen, vergaß zu schlafen.
Die geheimnisvollen Taxicab-Zahlen
Eine besondere Leidenschaft von Ramanujan waren Zahlen. »Jede Zahl ist ein persönlicher Freund von Ramanujan«, sagte Littlewood. So auch die 1729, die Hardy als langweilig betitelt hatte. Das konnte Ramanujan natürlich nicht einfach so stehen lassen. Tatsächlich hat die Zahl einige bemerkenswerte Eigenschaften:
- 1729 ist eine »sphenische Zahl«, das heißt, sie ist das Produkt von genau drei Primzahlen: 1729 = 7 · 13 · 19.
- 1729 ist die dritte »Carmichael-Zahl«: Für alle Zahlen a, die keinen Primfaktor mit 1729 teilen, gilt: a1728 = 1 (mod 1729). Letzteres bedeutet, dass die Division von a1728 durch 1729 immer einen Rest von eins hat.
- 1729 ist eine »Hashad-Zahl«, sie ist also durch die Summe ihrer Ziffern teilbar: 1 + 7 + 2 + 9 = 19.
Aber das, was Ramanujan an der Zahl faszinierte, war ihre Zerlegung in Kubikzahlen. 1729 lässt sich nämlich sowohl durch die Summe 13 + 123 als auch durch 93 + 103 ausdrücken. Und wie Ramanujan wusste, ist das etwas Besonderes. Es gibt zwar größere Zahlen als 1729, die sich als Summe zweier Kubikzahlen schreiben lassen, aber keine kleineren.
Solche Zahlen werden inzwischen in Anlehnung an Ramanujan und Hardy als »Taxicab-Zahlen« Ta bezeichnet. Demnach ist Ta(n) die kleinste Zahl, die sich auf n verschiedene Weisen als Summe zweier Kubikzahlen schreiben lässt. Ta(1) ist beispielsweise 2, da 2 = 13 + 13. Ta(2) ist – wie von Ramanujan erklärt – 1729. Doch dann kam lange Zeit nichts; es waren jahrzehntelang keine weiteren Taxicab-Zahlen bekannt. Aber Hardy konnte zusammen mit seinem Kollegen Edward Maitland Wright im Jahr 1938 immerhin beweisen, dass es für jedes n eine Taxicab-Zahl gibt.
Inzwischen sind auch größere Taxicab-Zahlen bekannt. John Leech erkannte 1957: Ta(3) = 87 539 319. Mehr als 30 Jahre später wurde Ta(4) gefunden, und in den 1990er Jahren entdeckten Fachleute mit massiver Computerunterstützung auch die Werte für Ta(5) und Ta(6). Für größere Taxicab-Werte gibt es zwar Kandidaten – also Zahlen, die sich als Summe zweier Kubikzahlen auf sieben oder acht verschiedene Weisen ausdrücken lassen –, aber es ließ sich bisher nicht beweisen, dass sie die kleinstmöglichen Zahlen sind. Es könnte kleinere Werte geben, welche die gleiche Eigenschaft besitzen.
Taxicab-Zahlen an sich sind für Zahlen-Nerds vielleicht ganz unterhaltsam, haben allerdings keinen unmittelbaren Nutzen. Für Mathematikerinnen und Mathematiker mag der Beweis von Hardy und Wright interessant sein, aber die siebte Taxicab-Zahl wird ihnen keine neuen Erkenntnisse bringen – außer eben die Zahl selbst zu kennen. Und doch hat die zweite Taxicab-Zahl, die sagenumwobene 1729, erstaunlich weit reichende Folgen, die die Fachwelt bis heute beschäftigen.
Von Kubikzahlen zum großen Satz von Fermat
Zunächst einmal sollte man wissen, dass es nicht Ramanujan war, der die Zerlegbarkeit in Kubikzahlen von 1729 entdeckte. Tatsächlich notierte der Mathematiker Bernard Frénicle de Bessy bereits im Jahr 1657 diese Erkenntnis. Außerdem entsteht oft der Eindruck, Ramanujan hätte diese Besonderheit der 1729 spontan bemerkt, als Hardy ihn im Krankenhaus besuchte. Aber auch das ist falsch. Aufzeichnungen des indischen Mathematikers zeigen, dass er die beiden Summen von Kubikzahlen bereits vor seine Reise nach England niedergeschrieben hatte.
Trotzdem ist Ramanujans Name inzwischen eng mit der 1729 verwoben. Das hat unter anderem mit den Berechnungen zu tun, die Ramanujan auf seinem Totenbett in Indien verfasste. »Er erwähnte darin die 1729 zusammen mit einigen Anmerkungen«, sagte der Mathematiker Ken Ono in einer 2015 erschienenen Pressemitteilung. Ramanujan notierte die Aufgabe, die ihn zur 1729 führte, auf etwas abstraktere Weise: Er suchte die kleinste ganzzahlige Lösung der Gleichung x3 + y3 = z3 + w3. Und wie sich herausstellt, spielt diese Gleichung in der Mathematik eine enorm wichtige Rolle. Denn wenn w = 0 ist, kommt der große Satz von Fermat zum Einsatz, der besagt, dass die Gleichung x3 + y3 = z3 keine ganzzahligen Lösungen x, y und z besitzt.
Die Geschichte rund um den großen Satz von Fermat ist an sich schon verrückt; darüber habe ich schon in einer vergangenen Kolumne geschrieben. Nur so viel dazu: Die von Fermat geäußerte Vermutung galt 350 Jahre lang als eines der hartnäckigsten Probleme der Mathematik. Sie konnte erst in den 1990er Jahren mit völlig neuen mathematischen Methoden bewiesen werden.
Ramanujan aber interessierte sich für Fälle, die leicht von Fermats Gleichung abweichen, wie: x3 + y3 = z3 + 1. Laut Fermat hat die Gleichung (ohne die rechts hinzuaddierte Eins) keine ganzzahligen Lösungen. Doch wie sieht es mit der abgewandelten Form von Ramanujan aus? Falls diese ganzzahlige Lösungen hätte, wären x, y und z eine Art von »Fast-Gegenbeispiel« zum großen Satz von Fermat. Denn sie sie verfehlen die Gleichung x3 + y3 = z3 nur um 1.
Ein Fast-Gegenbeispiel eröffnet neue geometrische Objekte
Als Ono die alten Notizen von Ramanujan durchging, entdeckte er etwas Erstaunliches: »Er hatte unendlich viele Fast-Gegenbeispiele für Fermats großen Satz gefunden. Das war ein Schock.« Tatsächlich hatte Ramanujan eine Formel gefunden, die unendliche viele Lösungen für die Gleichung x3 + y3 = z3 + 1 liefert – ähnlich wie eine p-q-Formel, mit der sich quadratische Gleichungen lösen lassen. Wie Ono aber Jahrzehnte nach Ramanujans Tod erkannte, hat diese Formel weit reichende Konsequenzen.
Denn die Lösungsformel entspricht einer so genannten elliptischen Kurve. Diese Objekte spielen in der modernen Mathematik eine wichtige Rolle, unter anderem beim Beweis des großen Satzes von Fermat oder bei der Verschlüsselung von Daten im Internet. Die elliptische Kurve, die Ramanujan konstruiert hatte, besitzt zudem eine extrem seltene Eigenschaft. Und wie sich herausstellt, lässt sich die Kurve zusammenfügen und bildet eine komplizierte Oberfläche. Um das zu verstehen, kann man sich vorstellen, viele Geraden zu einer Ebene zusammenzulegen oder etliche Kreise zu einer Kugeloberfläche zu vereinen. Gleiches lässt sich mit Ramanujans elliptischer Kurve machen, stellte Ono fest. Und die erzeugt eine »K3-Oberfläche«; ein geometrisches Objekt, das erst in den 1950er Jahren in die Mathematik eingeführt wurde. Inzwischen sind K3-Oberflächen in vielen verschiedenen mathematischen Bereichen verbreitet – man trifft sie sogar in der Stringtheorie an.
Diese Art von Funktionen hat in den letzten Jahrzehnten eine bedeutende Rolle in der Mathematik gespielt. Die wohl größte Errungenschaft, zu der sie beigetragen hat, ist der Beweis des großen fermatschen Satzes.
Allgemein lassen sich elliptische Kurven in folgender Form schreiben: y2 = x3 + ax + b. Das Besondere an ihnen ist unter anderem ihre symmetrische Struktur. Addiert man zwei Punkte auf der Kurve, landet man zwar – anders als bei Geraden – außerhalb der Kurve. Indem man aber eine abgewandelte Form der Addition definiert, lassen sich Punkte so miteinander verknüpfen, dass das Ergebnis wieder auf der Kurve liegt.
Die Eigenschaft kann man auch in der Kryptografie nutzen: Bei asymmetrischen Verschlüsselungsverfahren sucht man stets nach Operationen, die sich einfach berechnen, allerdings nur schwer umkehren lassen – so wie die Primfaktorzerlegung: Man kann schnell überprüfen, ob das Produkt zweier Primzahlen mit einem Wert übereinstimmt, wohingegen es überaus aufwändig ist, große Zahlen in ihre Primfaktoren zu zerlegen. Ebenso verhält es sich mit Punkten auf elliptischen Kurven: Für eine Zahl n und einen Punkt P lässt sich n · P = A sofort bestimmen, doch wenn A und P bekannt sind, kann man nur sehr schwer den Wert n ermitteln. Daher eignen sich elliptische Kurven für Public-Key-Verfahren.
»Ramanujan benutzte die Zahl 1729 und elliptische Kurven, um Formeln für eine K3-Fläche zu entwickeln«, sagte Ono in der Pressemitteilung der Emory University. »Mathematiker haben auch heute noch Schwierigkeiten, K3-Flächen zu manipulieren und damit zu rechnen. Es ist also eine große Überraschung, dass Ramanujan diese Intuition schon immer hatte.« Ono hat die Erkenntnisse des indischen Mathematikers im Jahr 2015 aufgearbeitet und in eine moderne Sprache übersetzt. In dieser Forschungsarbeit hat er die neu entdeckte K3-Oberfläche mit dem Namen »1729« versehen.
Ramanujans Erkenntnisse und Gleichungen führen noch heute zu neuen Ergebnissen in den verschiedensten mathematischen Bereichen. Das ist ein guter Grund für Nerds, die Zahl 1729 zu feiern. Denn dahinter steckt nicht nur eine spannende Geschichte, sondern auch handfeste Wissenschaft.
Die Zahl hat inzwischen auch Einzug in die Popkultur erhalten. So taucht 1729 mehrmals in Futurama-Episoden auf (mal als die Nummer eines Raumschiffs, mal als die Seriennummer von Bender) oder im 2005 erschienenen Spielfilm »Der Beweis – Liebe zwischen Genie und Wahnsinn«. An die Popularität von 42 kommt die 1729 aber bisher nicht heran. Schade eigentlich.
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