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Storks Spezialfutter: Das Mehrwegvermeidungsangebot

Dank »Mehrwegangebotspflicht« sollen künftig Einmalverpackungen vermieden werden. Für unseren Kolumnisten zeigt das nur: Die Politik drückt sich weiter vor ihrer Verantwortung.
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Laut Bundesumweltministerium werden allein in Berlin jeden Tag etwa 460 000 To-go-Becher verbraucht. Immerhin müssen Gastronomen jetzt Alternativen anbieten.

Neues Jahr, neues Glück. Große Veränderungen, die die Gesellschaft betreffen, werden von der Politik immer zum Jahreswechsel eingeführt: Der Euro ist seit dem 1. Januar 2002 im Umlauf. Das Rauchverbot für Gaststätten kam zum 1. Januar 2008 und das längst überfällige Tempolimit auf Deutschlands Autobahnen … ach nein, darauf warten wir ja noch. Aber immerhin gelten seit dem 1. Januar dieses Jahres neue Regeln, die unsere Gesellschaft nachhaltiger, ressourcenschonender und damit zukunftsfähiger machen sollen. Nach der politischen Vorgabe der EU hat sich auch Deutschland Gedanken darüber gemacht, wie sich der riesige Müllberg an Einweggeschirr und To-go-Bechern perspektivisch ein bisschen verkleinern ließe.

Die neu eingeführte Regelung nennt sich Mehrwegangebotspflicht und ist öffentlich ungefähr so umstritten wie die Lottozahlen vom vergangenen Wochenende. Daran lässt sich ablesen, dass das Schwert, mit dem der Einwegmüll kurz und klein geschlagen werden soll, nicht das allerschärfste ist: Eine Angebotspflicht für Mehrwegverpackungen heißt ja nicht, dass der Wegwerf-to-go-Becher verboten wird. Die Pflicht ist schon erfüllt, wenn täglich 1000 Wegwerfbecher über die Theke gehen und irgendwo in der Schublade ein Mehrwegbecher verstaubt.

Der Welt steht ein Umbruch bevor – ob die Menschheit will oder nicht: Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung müssen nachhaltig und fit für den Klimawandel werden, gleichzeitig gilt es, eine wachsende Weltbevölkerung mit wachsenden Ansprüchen zu versorgen. Was bedeutet das für uns und unsere Gesellschaft? Und was für die Umwelt und die Lebewesen darin?
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.

Im nicht repräsentativen Berliner Praxistest zeigt sich, dass in der Gastronomie mit der neuen Angebotspflicht unterschiedlich verfahren wird. Die Bäckerei um die Ecke weist aktiv auf die Mehrwegmöglichkeit hin: Auf dem Tresen steht ein wiederverwendbarer Becher, daneben ein leuchtend gelbes Infoschild. Die im Supermarkt integrierte Filiale einer großen Kette hat gar keine Mehrwegbecher im Angebot. Beim Burger-Laden in der Nähe muss ich erst fragen, ob ich auch Mehrwegverpackungen bekommen kann, und es wirkt eher nicht so, als würde sich Mehrweg hier in absehbarer Zeit zum großen Verkaufsschlager entwickeln.

Die Internetseiten der Lieferdienste drängen einem ebenfalls keine Informationen zum Thema auf. Daran zeigt sich einerseits eine Schwäche der neuen Regelung, andererseits aber vielleicht auch eine Stärke: Die Lieferdienste sind von der Mehrwegangebotspflicht ausgenommen. Schließlich sind sie ja nur die Mittler zwischen Gastronomiebetrieben und Kunden. Weil sie jedoch als Dienstleister für Restaurants unterwegs sind, die Mehrweg anbieten müssen, kommen auch sie nicht um diese Option herum. Wer das Zauberwort »Mehrwegverpackung« in das Suchfenster eintippt, wird zu den Restaurants geleitet, die über den entsprechenden Service verfügen.

Von der Alternative zur Pflicht

»Die jetzt eingeführte Mehrwegangebotspflicht kann nur ein Einstieg sein«, sagt Katharina Istel, Referentin für Ressourcenpolitik beim Naturschutzbund (NABU). Ein Problem der neuen Regelung ist, dass sie keine verbindlichen Vorgaben zur Müllreduzierung macht und dass sie die Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg der Mehrwegverpackungen in der Gastronomie allein der freiwilligen Entscheidung der Verbraucher überlässt. Außerdem gibt es noch eine Reihe von Schlupflöchern: Das Mehrweggebot gilt nur für Einweggeschirr aus Kunststoff. Für Pizzakartons oder Aluminiumschalen müssen keine Alternativen angeboten werden.

»Wir unterstützen deshalb die Bemühungen der EU-Kommission zur Einführung verbindlicher Mehrwegquoten«, sagt Istel. Nach dem derzeitigen Entwurf soll der verbindliche Anteil von Mehrwegbechern bei Heiß- und Kaltgetränken bis 2030 bei 20 Prozent und bis 2040 bei 80 Prozent liegen. Bei Speisen zum Mitnehmen soll der Mehrweganteil bis 2030 bei 10 und 2040 bei 40 Prozent liegen.

Selbst das wäre von einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft noch sehr weit entfernt. Aber immerhin besser, als wie bisher nur auf die Wahlentscheidung der Konsumenten zu setzen. Dass den Konsumenten die Macht fehlt, für eine echte Richtungsänderung zu sorgen, zeigt sich unter anderem an der Tierwohl-Kennzeichnung für Fleisch. Fleisch aus den besseren Haltungsformen 3 und 4 wird vom Handel zum Teil nur in sehr geringen Mengen angeboten. Die Kunden im Supermarkt haben darum oft gar keine Chance, sich für Produkte mit höheren Standards bei der Tierhaltung zu entscheiden, fand die Verbraucherzentrale heraus.

Und noch ein aus der Zeit gefallenes Relikt will sich die EU-Kommission vorknöpfen: Einweggeschirr und To-go-Verpackungen, aus denen die Gäste vor Ort essen. Wenn man es schwarz auf weiß liest, dämmert einem, wie sehr wir noch in der Wegwerfgesellschaft des vergangenen Jahrtausends feststecken. Auch im Jahr 2023 kann man im Restaurant essen gehen, und jedes Besteck und alles Geschirr landen danach im Müll. Ganze sieben Jahre – bis 2030 – will die EU den Gastronomiebetrieben noch Zeit lassen. Erst dann soll dieser Nonsens abgeschafft werden. Wie absurd!

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