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In Bestform: »Man muss zur richtigen Zeit den richtigen Reiz setzen«

Morgen schon wieder trainieren? Oder besser noch mal pausieren? »Es ist nahezu unmöglich, den idealen Zeitpunkt zu finden«, sagt Sportwissenschaftler Michael Fröhlich im Interview.
Workoutplan zwischen Schuhen und Hanteln

Manche Menschen treiben täglich Sport. Bringt es etwas, so häufig zu trainieren? Gibt es überhaupt einen optimalen Rhythmus, und was hat das mit Superkompensation zu tun? Der Sportwissenschaftler Michael Fröhlich von der Technischen Universität Kaiserslautern klärt auf.

Spektrum.de: Herr Fröhlich, unter ambitionierten Freizeitsportlern heißt es oft, man sollte in der Phase der »Superkompensation« trainieren. Was bedeutet das?

Michael Fröhlich: Das Prinzip dahinter ist uralt. Der österreich-ungarische Forscher Hans Selye hat es in den 1930er Jahren erstmals unter dem Begriff »generalisiertes Anpassungssyndrom« beschrieben. Evolutionär bedingt möchte der Organismus am liebsten in einem homöostatischen – also für ihn optimalen – Gleichgewichtszustand bleiben. Wirkt ein körperlicher oder psychischer Reiz auf ihn ein, gerät er aus dem Gleichgewicht. Darauf folgt, in der Regel zeitlich versetzt, eine Reaktion. Über bestimmte Prozesse gelangt der Organismus in einen neuen Gleichgewichtszustand. Liegt der auf einem höheren Niveau, kann man das als Anpassung an den Reiz interpretieren. Man ist quasi fitter als vorher. Wenn Sie in dieser Phase des Prozesses einen neuen Reiz setzen, reagiert Ihr Körper erneut mit einer Anpassung. So können Sie Ihre körperliche Leistungsfähigkeit steigern.

Michael Fröhlich | Der Sportwissenschaftler hat eine Professur mit dem Schwerpunkt Bewegungs- und Trainingswissenschaft an der TU Kaiserslautern inne.

Was passiert, wenn ich in diesem Fenster nicht trainiere?

Ohne neuen Reiz kehrt der Körper zurück zum Ausgangszustand. Man kann Trainingsanpassungen nicht unendlich konservieren, sie verpuffen mit der Zeit. Das stellen Freizeitsportler oft fest, wenn sie ihr Training zum Beispiel verletzungsbedingt unterbrechen müssen.

Wie ist das Modell der Superkompensation entstanden?

Der russische Physiologe und Biochemiker Nikolai Jakowlew hat in den 1970er Jahren den Ablauf von Belastung, Beanspruchung und Anpassung untersucht. Dazu hat er sich die Kohlenhydratspeicher, das so genannte Glykogen, in den Muskeln angeschaut. Nehmen wir an, eine Person hat 300 Gramm Glykogen im Muskel. Beim Training verbrennt sie die Kohlenhydrate, der Vorrat nimmt ab. In der Regenerationsphase wird der Kohlenhydratspeicher wieder aufgefüllt – und zwar über das Ausgangsniveau hinaus, wie Jakowlew feststellte. Der Speicher umfasst nun also 320 oder 330 Gramm Glykogen. Das nannte er Superkompensation.

Prinzip der Superkompensation | Während der Belastung durch das Training (1) kommt es zur Ermüdung und die Energiereserven nehmen ab. In der Regenerationsphase (2) steigen die Energiereserven wieder und es kommt zur Erholung über einen Zeitraum von zwei bis drei Tagen. Danach folgt die Phase der Superkompensation (3) mit zwei möglichen Szenarien: Wird währenddessen kein Sport getrieben, pendelt sich das Leistungsniveau wieder auf das Ausgangsniveau ein. Findet jedoch erneut eine Trainingsbelastung statt, führt dies zu einer Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit.

Spielt sich Superkompensation ausschließlich in den Muskeln ab?

Da sind wir direkt bei der Kritik an diesem Modell. Empirisch belegt ist der Prozess eigentlich nur für energiereiche Substrate wie das Muskelglykogen. Andere Forschergruppen dachten: Das scheint ein relativ simples, plausibles Modell zu sein. Sie übertrugen es auf weitere körperliche Anpassungsprozesse. Das war jedoch falsch.

Es gilt also nicht generell?

Nein. Das Prinzip müsste dann ja ebenfalls gelten, wenn ich beispielsweise eine neue Technik lerne. Dadurch bringe ich meinen Organismus aber nicht aus dem Gleichgewicht und komme auch nicht auf ein höheres Leistungsniveau. Hier liegen ganz andere Prozesse zu Grunde. Ebenso beim Warmmachen vor einem Sprint oder einem Wettkampf: Damit möchte ich meinen Körper aktivieren. Das Modell der Superkompensation hilft zwar beim prinzipiellen Verständnis, wie Training funktioniert. Aber es hat viele Probleme.

Wie lässt sich Muskelkater vermeiden? Wie viel sollten Sportler trinken? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die Biochemikerin Annika Röcker in ihrer Kolumne »In Bestform«. Mit Expertinnen und Experten aus der Sportmedizin diskutiert sie, was beim Sport im Körper vorgeht und wie ein gesundes Training aussieht.

Welche zum Beispiel?

Das Modell suggeriert, dass der Mensch unendlich anpassungsfähig ist. Das stimmt natürlich nicht. Jede und jeder von uns hat eine individuelle genetisch festgelegte Anpassungskapazität. Wir können nicht alle die Olympischen Spiele gewinnen. Dazu bringen wir schlicht nicht die körperlichen und motorischen Voraussetzungen mit. Das Superkompensationsmodell kann also nicht linear in die Zukunft fortgeschrieben werden.

Gibt es inzwischen ein passenderes Modell?

Es gibt mehrere, zum Beispiel das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept. Der deutsche Sportwissenschaftler Norbert Olivier hat es in den 1990er Jahren eingeführt. Er unterscheidet zwischen den Begriffen Belastung und Beanspruchung. Unter einer Trainingsbelastung versteht man demnach alle Einflüsse, die beim Training auf einen Sportler oder eine Sportlerin einwirken. Die Beanspruchung hängt davon ab, wie die Person mit ihren individuellen Fähigkeiten und Voraussetzungen darauf reagiert. Bei der Gestaltung des Trainings sollte beides berücksichtigt werden.

»Für den Hobbysportler wären zwei Einheiten am Tag vermutlich zu viel. Im Profisport sind mehrere Trainingseinheiten am Tag ganz normal«

Dieselbe Belastung kann bei zwei verschiedenen Personen also zu unterschiedlichen Anpassungsreaktionen führen?

Ganz genau. Letztendlich geht es darum, eine für die Person optimale Anpassung herbeizuführen. Dazu muss man zur richtigen Zeit den richtigen Reiz setzen. Das hört sich vielleicht trivial an, ist in der Praxis jedoch überaus komplex.

Wie finde ich den optimalen Zeitpunkt fürs Training?

Das ist die Krux. Die Zeitskala für Anpassungen ist bei jedem Menschen etwas anders. Sie hängt vom Alter, Geschlecht, dem allgemeinen körperlichen Zustand sowie dem aktuellen Leistungsniveau ab. Zudem haben unsere Organe und Organsysteme jeweils unterschiedliche Regenerationszeiten. Es ist also nahezu unmöglich, den idealen Zeitpunkt zu finden.

Es gibt demnach auch keine sinnvolle Faustregel, wie oft man trainieren sollte?

Leider nein. Ganz grob kann man davon ausgehen, dass die meisten Anpassungsprozesse nach 48 bis 72 Stunden abgeschlossen sind. So lange sollte man also zwischen den einzelnen Trainingseinheiten pausieren. Im Leistungssport ist das natürlich anders. Dort finden zum Teil drei und mehr Einheiten pro Tag statt.

Wenn ich morgens bereits gelaufen bin, sollte ich am Abend also besser nicht ins Fitnessstudio gehen?

Prinzipiell ist das schon möglich. Sie verfolgen mit den beiden Einheiten vermutlich unterschiedliche Ziele: Beim Krafttraining geht es hauptsächlich um muskuläre Anpassungseffekte. Laufen trainiert das Herz-Kreislauf-System, die Atemmuskulatur und andere Aspekte der Ausdauer. Ob ein solches Training sinnvoll ist, hängt von Ihrem Fitnessniveau ab. Für den Hobbysportler wären zwei Einheiten am Tag vermutlich zu viel und könnten zu einer Überlastung führen. Im Profisport sind mehrere Trainingseinheiten am Tag ganz normal und notwendig. Der Körper braucht diese hohe Dichte und Intensität an Reizen. Dabei setzt man gezielt verschiedene Schwerpunkte.

Von Sportler zu Sportler

Bis vor einigen Jahren habe er Triathlon betrieben, erzählt Michael Fröhlich. Inzwischen sei er auf reinen Freizeit- und Gesundheitssport umgestiegen. Der Sportwissenschaftler geht zweimal pro Woche ins Fitnessstudio, zusätzlich läuft er zwei- bis dreimal wöchentlich. Das sei für ihn die ideale Kombination, um psychisch runterzukommen und sich fit zu halten.

Muskeltraining morgens und abends würde mir aber nichts bringen?

Es kommt darauf an. Wenn Sie morgens Beine und Gesäß und abends Schultern und Arme trainieren, wäre das für Fortgeschrittene auch kein Problem. Man bezeichnet das als Split-Training. Einem reinen Hobby- und Gesundheitssportler würde ich das eher nicht empfehlen. Aber im Profi- und Leistungsbereich ist es gängige Praxis. Das funktioniert natürlich nur, wenn die einzelnen Trainingsinhalte gut aufeinander abgestimmt sind. Dazu braucht es viel Wissen und Erfahrung. Der Athlet muss in seinen Körper hineinhören und erkennen: Bin ich noch in einem Ermüdungszustand oder der Herausforderung schon wieder gewachsen?

Lässt sich das objektiv feststellen?

Ja. Die Ruheherzfrequenz ist zum Beispiel ein guter Indikator. Ist sie morgens nach dem Aufstehen 10 Prozent höher oder niedriger als an anderen Tagen, könnte es sein, dass ich mich im Übertraining befinde. Auch die so genannte Herzfrequenzvariabilität kann einen Hinweis liefern. Das Zeitintervall zwischen zwei Herzschlägen ist ja nicht immer gleich, sondern variiert etwas. Das liegt daran, dass das vegetative Nervensystem den Herzschlag beeinflusst: Der Sympathikus versetzt uns in erhöhte Leistungsbereitschaft, das Herz schlägt schneller und öfter. Trainieren wir zu hart, kann der Parasympathikus nicht mehr gegenhalten. Viele Smartwatches und Fitnesstracker messen die Herzfrequenz und stellen deren Variabilität dar. So können Sie sehen, ob Sie sich im roten oder im grünen Bereich befinden. Dementsprechend sagt Ihnen das Gerät, ob und wie Sie trainieren sollten. Das stimmt natürlich nicht immer mit Ihrem tatsächlichen Zustand und Empfinden überein, kann aber wichtige Hinweise liefern.

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