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Freistetters Formelwelt: Thermometer hoch 25

Dass in Formeln zweite oder dritte Potenzen auftauchen, kennt man. Aber dieser Fall ist schon sehr extrem - und ziemlich einzigartig.
Sonne mit Flares und Sonnenflecken

Kürzlich habe ich eine wissenschaftliche Arbeit gelesen, die sich mit dem Verhalten von Neutrinos beschäftigt. Darin habe ich diese Formel gefunden:

Selbst wenn man nichts von der Physik weiß, die hinter dieser Beziehung steckt, sieht man auf den ersten Blick, dass es sich um eine außergewöhnliche Formel handelt. Auf der rechten Seite wird der Parameter Tc zur 25. Potenz erhoben! So etwas sieht man in der Physik selten.

Lineare Zusammenhänge sind häufig: »Geschwindigkeit ist Weg durch Zeit« ist so ein Fall. Bei einer gleichförmigen Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit ist der zurückgelegte Weg direkt proportional zur vergangenen Zeit. Verdoppelt sich die Zeit, verdoppelt sich auch die zurückgelegte Wegstrecke. Ebenso häufig findet man in der Physik quadratische und kubische Verhältnisse.

Die Oberfläche einer Kugel etwa wird nicht linear mit dem Radius größer, sondern wächst quadratisch: Ein doppelt so großer Radius führt zu einer viermal so großen Oberfläche. Die Dichte eines Würfels dagegen ist gleich seiner Masse, geteilt durch das Volumen. Verdoppelt man nun die Seitenlänge des Würfels bei gleich bleibender Masse, dann sinkt die Dichte auf ein Achtel. Hier läuft der Zusammenhang über die dritte Potenz der Seitenlänge, was nicht weiter verwunderlich ist, da ein Würfel ein dreidimensionales Objekt in einem dreidimensionalen Raum ist und für die Berechnung des Volumens die Länge aller drei Seiten relevant ist.

Dritte, vierte … fünfundzwanzigste?

Man findet auch physikalische Formeln und Naturgesetze, in denen die vierte Potenz auftaucht; zum Beispiel im Stefan-Boltzmann-Gesetz, das den Zusammenhang zwischen der abgestrahlten Leistung und der Temperatur eines schwarzen Körpers beschreibt. Die Sargent-Regel in der Kernphysik besagt, dass bei einer bestimmten Art des radioaktiven Zerfalls die Zerfallsrate von Teilchen proportional zur fünften Potenz der maximalen kinetischen Energie von Elektronen ist. Man kann auch Zusammenhänge (zum Beispiel in der Chemie) finden, in denen sechste und siebte Potenzen auftauchen. Aber eine 25. Potenz wie im Fall der obigen Formel trifft man nicht oft.

Sie beschreibt, wie sich die Menge der im Inneren der Sonne produzierten 8B-Neutrinos in Abhängigkeit der Temperatur Tc im Kern der Sonne verändert. Neutrinos sind Elementarteilchen, die bei den kernphysikalischen Fusionsreaktionen im Sonneninneren entstehen. Es gibt verschiedene solcher Reaktionen, und die Formel bezieht sich auf die Neutrinos, die sich beim Zerfall eines Isotops des chemischen Elements Bor bilden.

Das muss zuvor aber erst selbst in anderen Reaktionen entstehen; in diesem Fall aus dem Zerfall eines Berylliumisotops. Dieses wiederum stammt aus einer Fusionsreaktion des Heliums, das seinerseits aus Wasserstoffkernen entstanden ist – die bei der Fusion von Protonen erzeugt werden. Am Ende dieser Reaktionskette fallen nur sehr wenige 8B-Neutrinos ab, und ihr Anfang – das Einfangen von Protonen – ist extrem temperaturabhängig. Daher ist es nicht überraschend, dass die Temperatur im Kern der Sonne einen äußerst großen Einfluss hat. Schon kleinste Änderungen führen am Ende zu einer großen Änderung bei der Zahl der produzierten 8B-Neutrinos, und deswegen taucht die 25. Potenz der Temperatur in der Formel auf.

Für die Astronomie ist das praktisch; zumindest seitdem wir gelernt haben, Neutrinos nachzuweisen. Denn damit steht uns nun ein sehr empfindliches Werkzeug zur Verfügung, mit dem wir herausfinden können, was im Inneren der Sonne vor sich geht. Das Neutrino-Thermometer macht sichtbar, was die normalen Teleskope nicht sehen können.

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