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Tierknast: Warum wir keine Zoos brauchen

Zoologische Gärten spielen eine wichtige Rolle für Bildung und Artenschutz, meinte Chefredakteur Daniel Lingenhöhl vor Kurzem an dieser Stelle. Das geht allerdings auf Kosten des Tierwohls, erwidert jetzt Andreas Jahn.
Ein Schimpanse sitzt hinter einem Maschendrahtzaun und schaut nachdenklich durch die Gitterstäbe. Die Hände und Füße des Tieres sind sichtbar, während es in einer scheinbar unbeteiligten Haltung verweilt. Der Hintergrund ist unscharf, was den Fokus auf den Schimpansen lenkt.
Schimpansen im Zoo fehlt häufig die Beschäftigung.

Als ich sieben oder acht Jahre alt war, besuchten wir in meiner Heimatstadt den Zoo. Ich weiß noch, wie ich gebannt vor einem Käfig mit einem Wolf stand – fasziniert von der Schönheit des Tiers, aber auch schockiert von dessen Verhalten: In seinem winzigen Verschlag von maximal fünf Meter Breite »tigerte« der Wolf hin und her und sprang immer wieder die Wände hoch. Ich wusste noch nichts von Bewegungsstereotypien, mir war jedoch sofort klar, hier stimmt etwas nicht.

Aus dem aktuellen Anlass einer Tötung von zwölf Pavianen im Nürnberger Tiergarten kommentierte Daniel Lingenhöhl, »warum wir Zoos brauchen«. Um von vornherein eines klarzustellen: Ich kann nachvollziehen, dass Zootiere bei Platzmangel getötet werden müssen; und dieser Schritt rechtfertigt in keinster Weise abstruse Hassbotschaften gegen den Zoodirektor, die bis zu Morddrohungen reichten. Ökologisch sinnvoller wäre es gewesen, die Paviane den Löwen lebendig zur Verfügung zu stellen. Abgesehen davon, dass das verboten ist, hätte so eine Aktion wohl erst recht einen medialen Aufschrei ausgelöst. Und vermutlich hätten die Löwen, die nie in ihrem Leben das tun durften, was Raubtiere in freier Wildbahn nun einmal tun – Beutetiere jagen und fressen –, mit dem unverhofften Futter gar nichts anzufangen gewusst.

Aber brauchen wir wirklich Zoos? Ich habe da meine Zweifel. Moderne Tiergärten hätten nichts mehr mit den Verwahranstalten früherer Zeiten zu tun, argumentiert Lingenhöhl. Die von mir vor mehr als 50 Jahren beobachtete krasse Tierquälerei eines auf engstem Raum eingesperrten Wolfs, der in der Natur in einem Revier von etlichen hundert Quadratkilometern lebt, wird in heutigen Zoos wohl so nicht mehr praktiziert. Doch auch wenn die Einrichtungen ihren Bewohnern inzwischen mehr Platz zur Verfügung stellen und wenn sie die Gitterstäbe durch etwas freundlicher aussehendes Panzerglas ersetzen, bleiben sie – Gefängnisse. Unser Rechtssystem gewährt einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder richtigerweise die Aussicht auf vorzeitige Haftentlassung. Für Zootiere, die niemanden etwas zu Leide getan haben, bedeutet lebenslänglich: lebenslänglich.

Und was heißt überhaupt »großräumige Gehege«? Der Heidelberger Zoo bietet seinen vier Elefanten eine Freianlage von 2000 Quadratmetern. In Afrika durchstreifen diese Tiere Gebiete von einigen bis zu mehreren tausend Quadratkilometern. Den gefangenen Individuen steht also konservativ gerechnet noch nicht einmal ein Promille ihres natürlichen Habitats zur Verfügung.

It's the economy, stupid!

Hinzu kommt, dass die Freigehege nachts und im Winter schlicht zu kalt sind, um die ja meist aus tropischen Gefilden stammenden Tiere draußen zu lassen. Warum präsentiert man dem Zoopublikum überhaupt exotische Wesen? Wäre es nicht sinnvoller, unsere heimische Tierwelt den Menschen näherzubringen? Doch Elefanten oder Löwen gelten halt als attraktiver als Rehe oder Wildkatzen und locken daher mehr zahlende Gäste an. Im Gegensatz zu botanischen Gärten, die als universitäre Einrichtungen der Forschung und Lehre dienen, sind ihre zoologischen Pendants meist städtische Betriebe, die Gewinne erwirtschaften sollen. Um es auf einen alten Wahlkampfslogan zu reduzieren: It's the economy, stupid!

Aber Zoologische Gärten bewahren doch zahlreiche Arten vor ihrem Aussterben, heißt es oft. Das Argument unterschlägt allerdings, dass die heutigen Bestände der Zoos auf früheren Wildfängen beruhen. Bis zum Inkrafttreten des Washingtoner Artenschutzabkommens, der dem Unwesen des internationalen Tierhandels ein Ende bereitete, suchten unsere Zoos unentwegt nach Nachschub in der freien Natur und brachten so viele Tierarten überhaupt erst an den Rand des Aussterbens.

Da dieser Nachschubweg nun verschlossen ist, rühmen sich manche Tiergärten mit der erfolgreichen Nachzucht begehrter Zootiere. Das liefert einerseits süße Tierbabys, die massenhaft Besucher begeistern (erinnert sich jemand noch an Eisbär »Knut«?), führt aber andererseits zu überschüssigen Individuen wie den Nürnberger Pavianen, die man irgendwie wieder loswerden muss.

Wichtiger, als sich einzelne Spezies herauszupicken, wäre es, unsere Biotope mitsamt ihrer Artenvielfalt zu schützen

Wer Tiergärten als Arche Noah für bedrohte Spezies anpreist, degradiert die gefangenen Individuen zu Genpools, die man vielleicht irgendwann später gebrauchen könnte. Wäre es dann nicht konsequenter, gleich das Erbgut einzufrieren?

Überhaupt steckt hinter der Idee, bestimmte Spezies vor dem Untergang zu bewahren, ein überholtes Naturschutzverständnis. Den Zimtkopfliest, eine stark bedrohte Eisvogelart von der Insel Guam, findet jeder behütenswert. Bei der Barbados-Fadenschlange scheiden sich vermutlich die Geister. Wichtiger, als sich einzelne Spezies herauszupicken, wäre es, unsere Biotope mitsamt ihrer Artenvielfalt zu schützen.

Bleibt noch der angebliche Bildungsauftrag unserer Tiergärten. Was dem zahlenden Publikum hier präsentiert wird, hat allerdings mit Natur wenig zu tun. Hinter Gittern vegetieren durch die Gefangenschaft verhaltensgestörte Kreaturen, die oft nur apathisch in der Ecke hocken.

Fühlende und denkende Wesen

Mittlerweile sollte sich herumgesprochen haben, dass Tiere fühlende und denkende Wesen sind. Das gilt auch für unsere Nutztiere, denen es in der heutigen Massentierhaltung noch deutlich schlechter geht als ihren Leidensgenossen im Zoo. Vom Schimpansen unterscheidet uns so wenig, dass die taxonomische Trennung zwischen den Gattungen Homo und Pan eigentlich nicht mehr zu rechtfertigen ist. Man muss nicht gleich so weit gehen und Menschenrechte für Tiere fordern. Aber unsere Mitgeschöpfe einzusperren, um sie angaffen zu können, erscheint zumindest fraglich.

Zum Schluss noch ein Bekenntnis: Ich habe eine Jahreskarte für den Heidelberger Zoo. Zugegebenermaßen macht es immer wieder Spaß, wenn wir mit unserem fast dreijährigen Patenkind durch die Anlage streifen. Doch ein Unbehagen bleibt.

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