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Freistetters Formelwelt: Von Pixel zu Pixel

Es kann oft schwierig sein, eine mathematische Gleichung zu verstehen. Es gibt aber eine Formel, die einem ganz genau sagt, was sie macht. Ob man danach schlauer ist, bleibt jedoch fraglich.
Ein Bild aus schwarzen und weißen Pixeln
Es gibt etliche Möglichkeiten, ein Bild aus 1802 schwarzen und weißen Pixeln zu gestalten.
Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Der kanadische Mathematiker Jeff Tupper hat im Jahr 2001 einen Aufsatz veröffentlicht, der den Titel »Reliable Two-Dimensional Graphing Methods for Mathematical Formulae with Two Free Variables« trägt. Darunter können sich die meisten, inklusive mir, vermutlich nicht viel vorstellen. Das heute populärste Ergebnis aus dieser Arbeit besteht aber auf jeden Fall aus dieser Formel:

\[ \frac{1}{2} < \left \lfloor \text{mod} \left( \lfloor \frac{y}{17}\rfloor 2^{-17 \lfloor x\rfloor -\text{mod}(\lfloor y \rfloor, 17)}, 2\right) \right \rfloor \]

Es ist auf den ersten Blick nicht einfach zu sehen, was sie bedeuten soll. Man erkennt, dass die Zahl 17 eine Rolle spielt, außerdem lässt sich vielleicht noch an der Modulo-2-Funktion ablesen, dass das Binärsystem von Bedeutung ist. Aber für den Rest braucht es weitere Informationen. Es ist auf jeden Fall wichtig zu wissen, dass x größer oder gleich 0 und kleiner als 106 sein muss. Die Zahl y dagegen kann nur Werte annehmen, die größer oder gleich k und kleiner als k+17 sind. Der Parameter k, der in der Formel gar nicht auftaucht, ist das zentrale Element dieser Gleichung: Er kann aus den natürlichen Zahlen frei gewählt werden, muss aber ein ganzzahliges Vielfaches von 17 sein.

Das klingt alles verwirrend, aber im Prinzip läuft es auf Folgendes hinaus: Durch die Wahl von k bilden die Zahlenpaare (x,y) ein Feld von 17 mal 106 Pixeln (x und y sind zwar reelle Zahlen, die Abrundungsfunktion in der Formel reduziert sie aber auf ihren ganzzahligen Teil). Man kann nun die Ungleichung von Tupper für alle Werte von x und y auswerten und den entsprechenden Pixel einfärben, wenn sie erfüllt ist. Oder anders gesagt: Die Formel kann aus einer vorgegebenen Zahl k ein Muster aus 17×106=1802 Pixeln erzeugen. Und nicht nur das. Je nach Wahl des Parameters k kann jedes mögliche Pixelmuster dieser Größe dargestellt werden. Das sind durchaus viele, nämlich um die 10542.

Ohne auf alle mathematischen Details einzugehen, kann man sich den Prozess folgendermaßen vorstellen. Bei einem Binärbild kann jeder Pixel schwarz oder weiß sein und entsprechend mit einem Bit (0 für Schwarz, 1 für Weiß) dargestellt werden. Die Bits des Bilds können zu einer Binärzahl kombiniert werden, die wiederum in die Zahl k im Dezimalsystem umgerechnet werden kann. Tuppers Formel ist eine Methode, um diesen Dekodierungsprozess umzukehren. Das bedeutet, dass es auch vergleichsweise einfach ist, für ein beliebiges Binärbild die passende Zahl k zu finden (es gibt auch entsprechende Onlinetools, die das erledigen, so dass man sich die Rechnerei sparen kann).

Ein Bezug auf sich selbst

Selbstverständlich ist es ebenso möglich, die Formel selbst (oder besser gesagt: die Darstellung der Formel als Binärbild) zu codieren, so dass sie sich quasi selbst darstellt. Deswegen wird sie oft auch als »selbstreferentiell« bezeichnet, was aber falsch ist, da die Formel ja trotzdem nichts über sich selbst »weiß«. Dennoch ist diese Verbindung aus Mathematik und Grafik faszinierend und wenn es auch keine konkrete Anwendung für Tuppers Formel gibt, ist es unterhaltsam, ein wenig damit herumzuspielen.

Wer möchte, kann es ja mal mit diesem Wert für k probieren:

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21819452817621931164678116397776757353823776327719011
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