Schlichting!: Mücken im Regen
Eine Mücke hat es nicht einfach. So verrät sie sich ihrem Opfer mit einem uns Menschen nur allzu gut bekannten, nervigen Summen. Das kann sie nicht verhindern – es ist eine physikalische Konsequenz ihrer mit einigen hundert Hertz schlagenden Flügel. Dieses Defizit gleicht sie mit einem guten Reaktionsvermögen wieder aus, und sie weicht leicht einer nach ihr schlagenden Hand aus. Doch zugleich wirken Mücken enorm filigran und verletzlich. So sollten nicht erst Treffer mit einer Fliegenklatsche tödlich enden, sondern bereits viel kleinere Einwirkungen – etwa aufprallende Wassertropfen bei Regen.
Von solchen Tropfen gehen für die Mücke vor allem zwei prinzipielle Gefahren aus. Einerseits könnte das Wasser sie benetzen und ihr Flugverhalten einschränken oder sie sogar völlig umschließen. Aber viele Insekten haben vorgesorgt und schützen sich durch abweisende Härchen und eine spezielle, wachsartige Beschichtung. So sind sie sehr gut an feuchte Bedingungen angepasst. Die Vorsorge gegen Nebel und Regen wirkt übrigens teilweise sogar gegen Insektizide: Die Giftstoffe müssen zu weniger als 20 Mikrometer kleinen Tropfen zerstäubt werden, damit sie haften bleiben und nicht auf Grund ihrer Schwere und der geringen Kontaktfläche abgleiten.
Andererseits könnte man erwarten, dass bereits der Zusammenprall an sich bedrohlich ist. Immerhin ist die Masse von Regentropfen meist sehr viel größer als die einer Mücke. Dieses Problem haben Wissenschaftler des Georgia Institute of Technology in Atlanta experimentell untersucht und die Ergebnisse 2012 publiziert.
Wer lauter große Dinge sehen will, muß sich zu einer Mücke wünschen
Wilhelm Heinse, 1746–1803
Die Forscher sperrten Mücken in einen Behälter aus durchsichtigem Plexiglas und setzten sie künstlichem Regen aus Tropfen mit unterschiedlichen Durchmessern und Fallgeschwindigkeiten aus. Dabei verwendeten sie Mücken der Gattung Anopheles, die mit einer Größe von sechs Millimetern relativ klein sind. Sie sind oft in feuchten Klimazonen beheimatet und somit Regenschauer gewohnt. Aber wie genau kommen sie damit klar?
Eine Hochgeschwindigkeitskamera zeichnete die Bewegungen der Tropfen und der Mücken sowie deren Wechselwirkungen auf. Kügelchen aus Styropor ergänzten die Experimente. An ihnen konnten die Wissenschaftler die Zusammenstöße mit den Tropfen und die dabei ausgetauschten Kräfte systematisch und genau vermessen.
Auf winzigen Skalen verleiht die Physik Superkräfte
Die dergestalt beobachteten Mücken haben typischerweise eine Masse von etwa zwei Milligramm. Regentropfen mit ein bis vier Millimeter Radius wiegen aber etwa das 2- bis 50-Fache. Zur Veranschaulichung der Kräfteverhältnisse zogen die Autoren die missliche Situation einer Person heran, die unter dem Rad eines Busses liegt: »Die Folgen so eines Szenarios deuten darauf hin, dass Mücken den Aufprall eines Regentropfens nicht überleben sollten.«
So eindrucksvoll der Vergleich scheint – er hinkt. Entscheidend für die Einwirkung eines Gewichts auf einen Körper (ob Mücke oder Mensch) ist der mechanische Druck, also die Kraft pro Kontaktfläche. Die Gewichtskraft ist proportional zur Masse und damit zum Volumen des jeweiligen Objekts. Sie verändert sich grob gesehen mit der dritten Potenz des Radius r, also wie r3. Die Kontaktfläche variiert allerdings nur mit dem Quadrat r2. Das heißt, im Quotienten bleibt r übrig, der Druck nimmt also näherungsweise mit der Körpergröße zu. Die Mücke ist etwa 300-mal kleiner als der Mensch, darum ist auch der Druck zirka 300-mal geringer. Rein mechanisch dürfte die Mücke durch einen auf ihr liegenden Wassertropfen kaum in Schwierigkeiten geraten.
Anders sieht es aus, wenn ein schnell fallender Tropfen die Mücke trifft, während sie auf einem festen Untergrund wie einem Ast sitzt. Bei einem Tropfen, der so groß ist wie sie, ist sie den Berechnungen der Wissenschaftler zufolge rund dem 10 000-Fachen der eigenen Gewichtskraft ausgesetzt. Dem hat sie kaum etwas entgegenzusetzen.
Regen kann also durchaus bedrohlich sein, allerdings nicht im Flug. Bei den Mücken in der Versuchsbox zeigte sich nämlich: Wenn sich das Insekt genügend weit von einer festen Unterlage entfernt befindet, entkommt es der Situation.
Die Forscher konnten die Tropfen mit einer Pumpe bis auf neun Meter pro Sekunde beschleunigen. Das entspricht etwa der Endgeschwindigkeit bei natürlichem Niederschlag. Selbst dann gingen die Mücken in allen Fällen unversehrt aus den Zusammenstößen hervor. Bei Streifschüssen taumelten sie kurzfristig, fingen sich aber schnell wieder. Nach einem Volltreffer blieben sie am Tropfen hängen und wurden bis zu 20 Körperlängen weit nach unten mitgerissen, bevor sie sich befreiten und äußerlich unbeeindruckt weiterflogen.
Auf Grund ihrer geringen Masse besitzt eine Mücke beim Aufprall ein entsprechend niedriges Beharrungsvermögen – der vergleichsweise schwere Tropfen bringt sie sehr schnell auf einer kurzen Beschleunigungsstrecke auf seine Fallgeschwindigkeit. Dabei verformt sich der Insektenkörper nur minimal. Dementsprechend ist auch die Reaktionskraft auf den Tropfen sehr klein, und dieser setzt fast ungebremst seinen Weg fort.
Insofern hat der Zusammenprall mit einem Regentropfen einen ähnlichen Effekt wie lokale Turbulenzen der Luft. Sie beeinträchtigen zwar den stabilen Flug; wie man jedoch aus Untersuchungen an anderen Insekten weiß, bewältigen die Tiere selbst starke Störungen innerhalb kürzester Zeit durch korrigierende Flügelschläge. Jedenfalls fliegt die Mücke bald nach der unfreiwilligen Mitnahme wieder ihres Wegs, als wäre nichts gewesen. Vermutlich hilft ihr zudem die bereits erwähnte Wasser abweisende Behaarung dabei, sich gewissermaßen seitlich über den Tropfen abzurollen, ohne an ihm kleben zu bleiben.
Mücken überleben Treffer von vergleichsweise schweren Wassertropfen also nicht deswegen unbeschadet, weil sie besonders robust wären, sondern einzig dank ihrer geringen Masse. Menschlichen Beobachtern imponiert die scheinbare Widerstandsfähigkeit, weil unsere Anschauung von Vorgängen in einem ganz anderen Größenordnungsbereich geprägt wird.
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