Freistetters Formelwelt: Mehr Ordnung in der Mathematik

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Für diese Kolumne bin ich immer wieder auf der Suche nach interessanten Formeln und habe mich kürzlich sehr gefreut, als ich in einem Buch auf die »Unordnungs-Ungleichung« gestoßen bin. Unordnung und Mathematik, das verspricht interessant zu werden, habe ich mir gedacht. Kurze Zeit später habe ich dann allerdings gemerkt, dass ich mich verlesen habe und es nur um die »Umordnungs-Ungleichung« geht. Die Enttäuschung hat aber nicht lange angehalten, denn die Unordnung kommt zumindest indirekt vor und die Formel selbst ist ebenfalls sehr interessant:
Es geht dabei um zwei geordnete Zahlenfolgen (sogenannte Tupel) aus reellen Zahlen. x1 muss kleiner oder gleich x2 sein; x2 kleiner oder gleich x3, und so weiter bis xn, und für die y-Werte gilt das genauso. In der Formel kommt auch noch ein xσ vor, mit dem eine Permutation der x-Werte beschrieben wird, also Anordnungen der Zahlen, die nicht mehr vom kleinsten zum größten Wert geordnet sind.
In der Formel selbst wird das Skalarprodukt der beiden Tupel mit den x- und y-Werten gebildet, und die Ungleichung sagt, wann es maximal beziehungsweise minimal wird. Den größten Wert bekommt man, wenn die Zahlen gleichsinnig geordnet sind; man also den kleinsten x-Wert mit dem kleinsten y-Wert multipliziert, dann die zweitkleinsten Werte für x und y miteinander, und so weiter. Das kleinste Skalarprodukt erhält man, wenn man die entgegengesetzte Ordnung verwendet, also den größten x-Wert mit dem kleinsten y-Wert multipliziert, etc. Und wenn die Zahlenfolgen irgendwie anders geordnet sind, liegt das Skalarprodukt irgendwo dazwischen.
Mathematisch ist nicht allzu schwer zu verstehen, warum die Ungleichung gilt. Der Beweis ist zwar nicht trivial, aber vergleichsweise einfach. Die Umordnungs-Ungleichung ist allerdings auch rein intuitiv gut zu erfassen.
Umordnung beim Radrennen
Angenommen, ich nehme mit zwei Freunden an einem Radrennen teil. Ich bin der schwächste Radler, Freund 1 ist mittelmäßig und Freund 2 ein richtiger Profi. Wir können uns die Strecke aufteilen. Die Frage ist nun, wie wir das tun sollten. Es ist logisch, dass ich als Schwächster auch den einfachsten Streckenteil fahren sollte, während der Profi den anspruchsvollen Abschnitt absolviert. Diese leicht verständliche Entscheidung lässt sich aber mit der Umordnungs-Ungleichung nachrechnen: Wenn wir unsere jeweilige Leistungsstärke mit den Zahlen 1, 2 und 3 bezeichnen und den Schwierigkeitsgrad der Streckenabschnitte mit 2, 4 und 6, dann geht es darum, die Gesamtleistung S des Teams zu maximieren. Den größten Wert erhält man, wenn man rechnet. Würde ich mit meiner Leistungsstärke 1 auf den Abschnitt mit Schwierigkeitsgrad 6 geschickt werden und der Profi auf den einfachsten Teil der Strecke, dann würde man erhalten.
Zugegeben, das ist ein Beispiel, für das man im Alltag eher keine mathematische Formel bemühen würde. Aber wenn es um komplexere Optimierungsaufgaben geht, bei denen Aufgaben und Ressourcen zusammengebracht werden müssen, kann die Ungleichung hilfreich sein. Deswegen taucht sie in ökonomischen Berechnungen im Rahmen der »Matching-Theorie« auf, wenn es etwa darum geht, wie Arbeitsmärkte funktionieren. Dort muss man Arbeitssuchende und Arbeitgebende irgendwie einander zuordnen, weshalb die Umordnungs-Ungleichung in den entsprechenden mathematischen Beschreibungen der Makroökonomik eine Rolle spielt.
Abseits solcher Anwendungen ist sie auch in der reinen Mathematik von großer Bedeutung. Sie ist quasi das Schweizer Taschenmesser, wenn man sich mit Ungleichungen aller Art beschäftigt. Viele dieser Formeln lassen sich aus der Umordnungs-Ungleichung ableiten. Damit zeigt sie uns: Wenn man die Umordnung mathematisch vernünftig beschreibt, entsteht keine Unordnung, sondern man weiß mehr, als man vorher wusste.
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