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Storks Spezialfutter: Ungebremst in den Artentod

Die verheerenden Misserfolge beim internationalen Artenschutz werden sich fortsetzen. Es sei denn, die Landwirtschaft ändert sich, schreibt unser Kolumnist Ralf Stork.
Agrarwüste in Mitteleuropa

Zukunftspläne haben einen besonderen Charme. Man kann sich die tollsten Sachen ausdenken. Stellschrauben, an denen man drehen will, Probleme, die man endlich angehen möchte. Man kann sich eine rosige Zukunft erfinden, in der all das, was aktuell nicht so läuft, endgültig und zur Zufriedenheit aller gelöst ist. Das Beste dabei: Die formulierten Ziele liegen so weit in der Zukunft, dass man im Hier und Jetzt erst mal gar nichts ändern muss.

Die Sache hat nur einen Haken. Irgendwann ist die Zukunft Gegenwart. Und wenn es dann zum Realitätscheck kommt, wird es mitunter peinlich. Aktuell gilt das besonders für den Artenschutz. Das wichtigste Instrument, um die globale Biodiversitätskrise auch global anzugehen, ist das UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt. Im Rahmen dieser »Biodiversitätskonvention« haben sich im Jahr 2010 insgesamt 196 Staaten auf einen strategischen Plan für den Erhalt der Biodiversität verpflichtet. Eines der damals formulierten strategischen Ziele lautet beispielsweise, bis 2020 eine »Verbesserung des Zustands der biologischen Vielfalt durch Sicherung der Ökosysteme und Arten« zu erreichen. Das Vorhaben ist auf ganzer Linie gescheitert. Das Artensterben geht ungebremst weiter. Von 1970 bis heute ging der Bestand von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien nach Untersuchungen des World Wide Fund for Nature (WWF) weltweit im Schnitt um 68 Prozent zurück.

In Deutschland geht der Trend sogar in die falsche Richtung

Auch die UN selbst stellt sich ein schlechtes Zeugnis aus. Von den 20 in der Biodiversitätskonvention formulierten Kernzielen (unter anderem Ende der Überfischung, nachhaltige Landwirtschaft oder Stopp der Lebensraumzerstörung) wurden nur sechs teilweise erreicht und 14 gar nicht. So steht es in dem Bericht »Globaler Ausblick zur Biodiversität«, den das UN-Organ Mitte September veröffentlichte.

Der Welt steht ein Umbruch bevor – ob die Menschheit will oder nicht: Landwirtschaft, Verkehr und Energiegewinnung müssen nachhaltig und fit für den Klimawandel werden, gleichzeitig gilt es, eine wachsende Weltbevölkerung mit wachsenden Ansprüchen zu versorgen. Was bedeutet das für uns und unsere Gesellschaft? Und was für die Umwelt und die Lebewesen darin?
In »Storks Spezialfutter« geht der Umweltjournalist Ralf Stork diesen Fragen einmal im Monat auf den Grund.

Nun könnte es natürlich sein, dass Deutschland sich eigentlich mustergültig verhält. Dass die vielen Erfolge hier zu Lande auf globaler Ebene einfach untergehen. Aber so ist es nicht. Die Situation vieler Arten hat sich auch hier in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschlechtert: In Brandenburg zum Beispiel sind in diesem Zeitraum laut aktueller Roter Liste mit dem Kampfläufer und dem Birkhuhn zwei weitere Vogelarten ausgestorben. 23 Vogelarten sind in der Liste eine Gefährdungskategorie höher gerutscht. Außerdem wurden 14 neu in die Vorwarnliste aufgenommen. Die Entwicklung bei den Brandenburger Brutvögeln ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Auf Bundesebene verfehlt Deutschland beim wichtigen Thema Artenvielfalt und Landschaftsqualität die für 2020 gesteckten Ziele nicht nur, der Trend weist auch in die falsche Richtung. So steht es im Indikatorenbericht zur Biologischen Vielfalt – einer Art Bestandsaufnahme der deutschen Biodiversitätsziele für 2020. Der Bericht wurde 2014 veröffentlicht. Einen aktuelleren gibt es nicht. Das sagt einiges über den Stellenwert des Artenschutzes!

Nach dem Zukunftsplan ist vor dem Zukunftsplan. Auf globaler und nationaler Ebene wird es selbstverständlich neue Initiativen für den Artenschutz geben – mit Zielvorgaben für das Jahr 2030 und darüber hinaus. Vielleicht werden sich die Verantwortlichen sogar darum bemühen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Auf internationaler Ebene etwa könnten die Artenschutzziele konkreter formuliert und eine Rückmeldepflicht der Unterzeichnerstaaten eingeführt werden. Damit ließe sich wenigstens ansatzweise nachvollziehen, wie sehr einzelne Staaten das gesteckte Ziel verfehlen.

Aber das wird nicht reichen, um die dringend benötigte Wende beim Artenschutz hinzubekommen. Das System krankt daran, dass die Landwirtschaft als einer der größten Treiber des Artenschwundes (neben Forstwirtschaft und Fischerei) bei der Problemlösung kaum einbezogen wird. Solange die Amazonaswälder für Tropenholz und Sojaplantagen abgeholzt werden, geht auch das Artensterben weiter. In Deutschland ist es genauso: Den dramatischsten Rückgang der Biodiversität gibt es in den landwirtschaftlich geprägten Gebieten. Die Brandenburger Rote Liste hat bei den Agrarvögeln einen jährlichen Rückgang um 2,6 Prozent festgestellt. Von 1995 bis heute haben sich die Bestände fast halbiert. Solange sich an den Produktionsbedingungen unserer Lebensmittel nichts Grundlegendes ändert, geht auch hier das Artensterben ungebremst weiter.

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