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Ozeane: Unterschätzte Gefahr für das Golfstromsystem

Fällt Europas ozeanische Heizung aus? Meeresforscher Stefan Rahmstorf erklärt, warum Wissenschaftler diese Möglichkeit neuerdings wieder verstärkt diskutieren.
Blick über eine verschneite Küstenlinie aufs Meer

Eine Studie mit bedeutenden Implikationen für die künftige Stabilität des Golfstromsystems ist heute in der Fachzeitschrift "Science Advances" erschienen, dem neuen Online-Ableger des Traditionsjournals "Science". Die Untersuchung einer Arbeitsgruppe der Scripps Institution of Oceanography in San Diego und der University of Wisconsin-Madison deutet darauf hin, dass die Strömung im Nordatlantik im Zuge der globalen Erwärmung leichter abreißen könnte, als viele bisher glaubten.

Die mögliche Instabilität dieser Umwälzzelle im Atlantik (Atlantic Meridional Overturning Circulation oder AMOC) beschäftigt die Wissenschaftler spätestens seit den 1980er Jahren, als Wallace Broecker in einem Aufsatz in "Nature" vor unangenehmen Überraschungen im Treibhaus warnte. Grund waren Hinweise auf abrupte Klimaänderungen in der Erdgeschichte durch veränderte Atlantikströmungen.

Abb. 1: Das Golfstromsystem | Schema der Atlantikströmungen (stark vereinfacht). In Rot die relativ warme Oberflächenströmung, in Blau die kalte Tiefenströmung. Der nordwärtige Oberflächenstrom und der südwärtige Tiefenstrom ergeben zusammen die Umwälzbewegung des Atlantiks (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC), populär auch als Golfstromsystem bekannt.

In der aktuellen Untersuchung korrigierten die Forscher um Wei Liu den Süßwassereintrag in den Ozean in einem der gängigen globalen Klimamodelle (dem CCSM3-Modell des National Center for Atmospheric Research), um dort die beobachtete Salzkonzentration im Meerwasser besser wiederzugeben. Während sich im unkorrigierten Modell die Atlantikzirkulation als Reaktion auf eine CO2-Verdoppelung nur um rund 20 Prozent abschwächt, bricht sie in der korrigierten Modellversion zusammen – wovor Broecker seinerzeit warnte.

Warum es einen Kipppunkt der Strömung gibt

Der grundlegende physikalische Mechanismus dieser Instabilität war bereits durch Henry Stommel im Jahr 1961 beschrieben worden.

Zentral dafür ist der Süßwasserhaushalt, der den Salzgehalt bestimmt. In den nördlichen Atlantik fließt ständig Süßwasser durch Niederschläge, Flüsse und Eisschmelze. Doch der Nachschub an salzreichem Wasser aus dem Süden durch das Golfstromsystem gleicht dies aus. Erlahmt dagegen die Strömung, dann kommt weniger Salznachschub. An der Oberfläche sammelt sich zunehmend mit Süßwasser verdünntes Meerwasser, das nicht so leicht in die Tiefe absinkt. Da dieses Absinken – die so genannte Tiefenwasserbildung – das Golfstromsystem antreibt, schwächt das die Strömung weiter. Es gibt einen kritischen Punkt, an dem dies zum unaufhaltsamen Teufelskreis wird. Dies ist einer der klassischen Kipppunkte im Klimasystem.

Wo dieser Kipppunkt genau liegt, ist allerdings nach wie vor unklar. Die allermeisten Modelle zeigen bei typischen globalen Erwärmungsszenarien bis 2100 zwar eine deutliche Abschwächung des Golfstromsystems um 20 bis 50 Prozent – überschreiten aber nicht den Kipppunkt. Allerdings streuen die Modelle stark. Zudem gibt es schon länger ernsthafte Hinweise darauf, dass die Modelle nicht nur ungenau sind, sondern womöglich fast allesamt systematisch die Stabilität der Atlantikströmung überschätzen.

Was macht die neue Studie anders?

Laut Erstautor Wei Liu war der Ausgangspunkt der neuen Studie meine Arbeit von 1996 zum Zusammenhang von Süßwasserhaushalt und Stabilität der Strömung. Entscheidend ist, ob die Umwälzströmung insgesamt Süßwasser in das Atlantikbecken hineintransportiert oder ob sie es exportiert. Nach den Beobachtungsdaten exportiert die Strömung Süßwasser – deshalb kann es sich im Atlantik ansammeln, wenn die Strömung erlahmt, was gerade die von Stommel 1961 und Broecker 1987 beschriebene Instabilität verursacht. In den meisten Modellen dagegen importiert sie Süßwasser, daher ist die Strömung dort grundlegend stabil. Ein systematischer Modellfehler in Richtung zu großer Stabilität passt auch dazu, dass die Klimamodelle den beobachteten Abkühlungstrend im subpolaren Atlantik unterschätzen, der nach unserer Überzeugung ein Hinweis auf ein bereits erlahmendes Golfstromsystem ist.

Die neue Studie versucht dieses Defizit durch eine so genannte Flusskorrektur zu beheben, die den Süßwassereintrag an der Meeresoberfläche in einem Klimamodell gezielt verändert. Im Ergebnis stimmt der Salzgehalt im Ozean des Modells für das heutige Klima besser mit dem des echten Ozeans überein. Dies ist ein wichtiges Kriterium: Denn während Niederschlag und Verdunstung über den Ozeanen schwer messbar und daher nur sehr ungenau bekannt sind, haben wir über die Verteilung des Salzgehalts detaillierte und präzise Informationen aus Schiffsmessungen.

Und das Ergebnis …

Mit beiden Modellvarianten – mit und ohne die subtile Korrektur der Salzverteilung – haben die amerikanischen Kollegen nun ein Experiment durchgeführt, bei dem die CO2-Menge in der Luft verdoppelt wurde. Die Reaktion der Atlantikzirkulation ist im folgenden Bild gezeigt. Ohne Korrektur erweist sich die Zirkulation als sehr stabil gegenüber der massiven Störung. Mit der Korrektur dagegen bricht die Strömung im Lauf von rund 300 Jahren zusammen. Schon nach 100 Jahren hat sie ein Drittel ihrer Kraft verloren.

Das Abbrechen der wärmenden Strömung führt erwartungsgemäß im Modell zu einer Abkühlung im Nordatlantikraum, die in Abbildung 2 gezeigt ist. Dabei sind auch Landgebiete betroffen: neben Grönland und Island vor allem Großbritannien und Skandinavien.

Diese neue Studie ist sicher nicht das letzte Wort in dieser wichtigen Frage. Im Vergleich mit den Messdaten scheint die Korrektur etwas zu stark zu sein – und die korrigierte Modellversion daher zu instabil. Da Rechenzeit knapp und teuer ist, wurde die CO2-Konzentration in den Experimenten schlagartig verdoppelt, statt ein realistischeres Emissionsszenario durchzurechnen. Das Experiment wurde nur mit einem einzigen Klimamodell durchgeführt; für belastbare Schlüsse wartet man normalerweise, bis eine Reihe von Modellen übereinstimmende Resultate zeigt.

Abb. 2: Kälterer Nordatlantik | Temperaturveränderung in den Wintermonaten, 300 Jahre nach der CO2-Verdoppelung im Experiment. Durch die fast komplett erloschene Atlantikströmung hat sich der nördliche Atlantikraum deutlich abgekühlt.

Auch wurde kein Schmelzwassereinfluss vom schwindenden Kontinentaleis auf Grönland berücksichtigt, der die Strömung zusätzlich schwächen könnte. Dazu hatte es erst vor drei Wochen eine neue Studie gegeben: Bei ungebremsten Emissionen (RCP8.5 Szenario) schwächt sich bis zum Jahr 2300 ohne Grönlandschmelze das Golfstromsystem im Mittel um 37 Prozent ab. Mit Grönlandeinfluss sind es 74 Prozent.

Es gibt also zwei Faktoren, durch die bislang die Gefahr eines Versiegens des Golfstromsystems unterschätzt worden sein könnte. Erstens haben Klimamodelle wohl eine systematisch zu stabile Strömung. Zweitens berücksichtigen sie zumeist nicht die Eisschmelze von Grönland. Wie die neuen Studien zeigen, kann jeder dieser Faktoren allein schon zu einer erheblich stärkeren Abschwächung des Golfstromsystems führen.

Für eine ausführlichere Version dieses Kommentars besuchen Sie bitte Stefan Rahmstorfs Blog Klimalounge.

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