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Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Lakritze

Früher war Lakritze ein Heilmittel, heute ist sie vor allem eine bei manchen beliebte Süßigkeit – in der jedoch immer noch ein Stoff steckt, der das Herz aus dem Takt bringen kann.
Ein blauer Untergrund, auf dem in regelmäßigen Abständen Lakritzschnecken liegen
Nicht nur meeresbewohnende Kegelschnecken sind lebensbedrohlich, sondern auch Lakritzschnecken.
Eines ist sicher: Irgendwann geben wir alle den Löffel ab. Weniger absehbar ist das Wie. Denn es gibt eine schier unendliche Zahl an Wegen, die einen Menschen ins Grab bringen können – manche von ihnen außergewöhnlicher, verblüffender und bizarrer als andere. In der Kolumne »Unwahrscheinlich tödlich« stellen wir regelmäßig solche Fälle vor, von bissigen Menschen über giftige Reisbällchen bis hin zu lebensgefährlichem Sex.

Ich stimme nicht allen Aussagen des alten Paracelsus zu – seine Thesen zu Hexen kann man etwa getrost ignorieren –, aber in einem hatte der gute Mann Recht: Die Dosis macht das Gift. Das gilt tatsächlich für so gut wie alles, was man zu sich nehmen kann. Manchmal lässt sich die tödliche Dosis allerdings sehr schnell erreichen, in anderen Fällen sind riesige Mengen nötig. Man würde Lakritze wohl eher in der zweiten Kategorie vermuten. Doch damit unterschätzt man die zähe Süßigkeit.

Für mich ist es nahezu unvorstellbar, dass jemand freiwillig problematische Mengen an Lakritze zu sich nimmt. Aber offenbar hat der »Bärendreck« auch seine Fans. Der Amerikaner, der 2020 an einer Überdosis starb, war skurrilerweise womöglich gar kein solcher. Vielmehr hatte er die Lakritze sozusagen in der Not gefuttert, weil sein üblicher Lieblingssnack vergriffen war – fälschlicherweise als »rote Lakritze« bezeichnete Fruchtgummistangen, die gar keine echte Lakritze enthalten. Die Ärztinnen und Ärzte, die ihn im Massachusetts General Hospital behandelt hatten, schrieben in ihrem Fallbericht, er sei etwa drei Wochen vor Einlieferung in ihre Notaufnahme auf echte Lakritze umgestiegen. Der Mann habe sich insgesamt sehr ungesund ernährt und »mehrere Tüten« Süßigkeiten pro Tag gegessen, heißt es dort weiter.

Aus dem Takt

Er besuchte gerade ein Fastfood-Restaurant, als er plötzlich nach Luft rang und einen Herzinfarkt erlitt. Ein Notfallteam belebte ihn zweimal wieder, bevor es ihn ins Krankenhaus einlieferte. Dort wurde er künstlich beatmet und mit mehreren Medikamenten stabilisiert, während Ärztinnen und Ärzte seine Organe und Körperflüssigkeiten genau untersuchten. Ein Elektrokardiogramm und weitere herzdiagnostische Verfahren zeigten Unregelmäßigkeiten an. So sah sein Herz zwar oberflächlich normal aus, dessen Rhythmus war jedoch auf charakteristische Weise gestört. In seinem Blut zeichneten sich bereits Nierenschäden sowie Probleme im Elektrolythaushalt ab. Letztere betrafen vor allem die Konzentration an Kalium.

Doch wie kam es zu diesen Veränderungen und folglich zu seinem Herzstillstand? Hier musste das Team etwas Detektivarbeit leisten. Klar war, dass der Herzinfarkt eine Konsequenz des Kaliummangels war. Das Organ reagiert empfindlich auf eine solche Elektrolytstörung, weil die Herzmuskelzellen Kalium brauchen, um im Takt zu bleiben und koordiniert anzuspannen. Ist im Blut nicht ausreichend des Mineralstoffs gelöst, bilden sich deshalb Herzrhythmusstörungen aus, die in extremen Fällen in einen Herzstillstand münden können. Die schwieriger zu beantwortende Frage war, wie es bei dem Patienten so weit kommen konnte. Bestimmte Medikamente können den Kaliumspiegel beeinflussen, doch der Mann hatte keine von ihnen eingenommen. Er hatte nicht erbrochen und keinen Durchfall gehabt, deshalb schieden auch diese Faktoren als mögliche Ursachen aus. Seine Nierenschäden lieferten aber einen wichtigen Hinweis, denn eine Hormonstörung in den Nebennierenrinden kann zu Kaliumverlust führen.

Die Drüse produziert eine Reihe von Steroiden, die unter anderem die Kaliumkonzentration im Blut kontrollieren. Es gibt Tumoren und chronische Erkrankungen, die ihre Ausschüttung beeinflussen, doch der Patient litt unter keiner von ihnen. Deshalb fiel der Verdacht des Ärzteteams auf seine Nahrung: Er musste etwas gegessen haben, was die Hormonspiegel in seiner Niere aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.

Zu viel Süßholz geraspelt

Und hier kommen wir zu unserem Übeltäter, den Lakritzstangen, die er in den Wochen zuvor päckchenweise genascht hat. Der schwarze Extrakt wird aus den Wurzeln einer krautig wachsenden Pflanze gewonnen, des Süßholzes. Ja, genau das Süßholz, das sprichwörtlich geraspelt wird, wenn man jemandem schmeicheln will. Schon seit Jahrtausenden nutzen Menschen es als Arznei. Der Stoff, der Lakritze ihre Süße gibt, ist zugleich der, der ihr eine schleimlösende Wirkung verleiht: Glycyrrhizinsäure. Darüber hinaus blockiert die Säure, wie seit 1950 bekannt ist, auch ein bestimmtes Enzym, das Kortisol abbaut. In hohen Dosen bedingt sie so Bluthochdruck, Kaliummangel, Muskelbeschwerden, Nierenversagen und lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen. Und somit exakt die Beschwerden, die das Team bei seinem Patienten beobachtet hatte.

Für den Mann waren das leider keine guten Nachrichten. Glycyrrhizinsäure bleibt im Körper nämlich lange stabil und wirkt so selbst dann noch Tage bis Wochen nach, wenn man den Lakritzkonsum bereits eingestellt hat. Mehrmals mussten die Ärzte und Ärztinnen ihm ein kaliumhaltiges Präparat verabreichen, bis sich die Werte in seinem Blut normalisierten. Seine Nieren waren jedoch unwiederbringlich geschädigt. Seine Familie entschied sich gegen eine Nierentransplantation und der Patient starb am zweiten Tag seines Krankenhausaufenthalts.

Dass beliebte Lebensmittel zum Teil relativ hohe Dosen an Giftstoffen enthalten können, lässt sich leicht vergessen. Dabei ist Lakritze bei Weitem nicht das einzige Produkt im Supermarktregal, das einem gefährlich werden könnte. Rohe Bohnen, Paranüsse, Kürbisse und ja, auch aufgewärmter Reis sind nur einige weitere Beispiele für riskante Zutaten. Deshalb sollte man beim Essen darauf achten, dass die Speisen unverdorben sind, dass man sie richtig aufbewahrt und kocht – und dass man sie nicht in Mengen zu sich nimmt, die weit über jedem normalen Rahmen liegen.

  • Wie viel Lakritze ist zu viel?
    Gefährliche Versuchung | Wie viel Lakritze man pro Tag sicher naschen kann, unterscheidet sich je nach ihrem Glycyrrhizingehalt.

    Glycyrrhizin gibt Lakritze ihre Süße und ihren unverwechselbaren Geschmack. Zugleich ist es auch der Stoff, der das Süßholzwurzelextrakt so gefährlich macht. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfiehlt Erwachsenen, pro Tag weniger als 100 Milligramm Glycyrrhizin zu sich zu nehmen. Sonst drohen auf Dauer gesundheitliche Folgen, zu denen Muskelschwäche und erhöhter Blutdruck sowie in höheren Dosen Herzrhythmusstörungen und Nierenschäden zählen. Wie viel Glycyrrhizin Lakritze enthält, ist nicht immer klar ausgewiesen. Erst Konzentrationen ab 200 Milligramm pro 100 Gramm Lakritze müssen laut der Richtlinie für Zuckerwaren als »Starklakritzen« gekennzeichnet werden. Um auf der sicheren Seite zu bleiben, ist es also ratsam, pro Tag weniger als 50 Gramm von den handelsüblichen Lakritzen zu essen. Dies gilt allerdings nur für deutsche Produkte – importierte Lakritzen können zum Teil auch ohne Kennzeichnung als Starklakritze hohe Glycyrrhizingehalte vorweisen. Hier ist also besondere Vorsicht geboten.

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