Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Niesen
Dass der Sommer sich dem Ende zuneigt, merkt man nicht nur an sinkenden Temperaturen und am zunehmenden Angebot von Kürbissen und Lebkuchen im Supermarkt. Nein, zugleich beginnt die Blütezeit der laufenden Nasen. Sie tauchen überall auf, wo Menschen zusammenkommen, begleitet von einem Geräuschkonzert aus Hüsteln und Schniefen. Und während manche zwar über den »tödlichen Männerschnupfen« schmunzeln, könnte ihnen gleich das Lachen vergehen. Denn selbst eine vermeintlich harmlose Erkältung kann einen ins Jenseits befördern – ganz plötzlich, mit einem kräftigen »Hatschi!«.
Ein solches Vorkommnis kostete etwa 2013 einen britischen Teenager das Leben. Nach einem Niesanfall entwickelte er starke Kopfschmerzen und musste sich übergeben. Er verlor die Kontrolle über seine Hände und brach mit einem Krampfanfall vor seiner Mutter zusammen. Das Notfallteam im Krankenhaus entdeckte ein Blutgerinnsel in seinem Gehirn und operierte ihn sofort. Der Junge konnte die Intensivstation jedoch nicht mehr verlassen. Er starb vier Tage nach dem Eingriff.
Vor dem Zwischenfall hatte der Teenager nicht über Beschwerden geklagt. Auch eine Obduktion offenbarte keine Auffälligkeiten in seinem Körper. Vielmehr bestätigte sie, dass er abgesehen von dem Schlaganfall kerngesund gewesen war.
Zerreißprobe
Dies ist bei Weitem nicht der einzige Bericht zu lebensbedrohlichen Komplikationen in Folge von Niesern. Die Liste an Verletzungen, die ein beherztes »Hatschi!« nach sich ziehen kann, liest sich eher wie das Fazit einer heftigen Kneipenschlägerei: Gehirnverletzungen, explodierende Organe und Knochenbrüche sind nur einige der Einträge.
So beschreibt ein Fallbericht von 2015 einen 55-jährigen Mann, der nach dem Niesen eine Subarachnoidalblutung erlitt – eine Verletzung, bei der Blut in die Räume zwischen den Hirnhäuten dringt. Er überlebte zwar, trug jedoch bleibende neurologische Schäden davon. In etwa der Hälfte der Fälle geht eine solche Blutung tödlich aus. Ein 57-Jähriger kam 2013 mit starken Schmerzen in der Brust in die Notaufnahme, drei Stunden nachdem er einen ordentlichen Nieser von sich gelassen hatte. Er hatte eine Aortendissektion, seine Hauptschlagader war also unter dem Druck eingerissen. Er erholte sich vollständig. 2017 berichtete ein Team aus Michigan von einer 79-jährigen Patientin, deren Milz beim Niesen gerissen war. Sie wurde sofort operiert und konnte das Krankenhaus gesund verlassen. Ein 32 Jahre junger Mann zog sich 2013 hingegen eine so genannte »Blow-out-Fraktur« zu, bei der der Augenhöhlenboden auf der rechten Seite seines Gesichts zersplitterte. Normalerweise entsteht eine solche Verletzung, wenn eine Faust oder ein Tennisball mit Wucht auf die Augenregion knallt. In diesem Fall kam die Stoßkraft aber von innen und platzte auf knochensplitternde Art aus dem Mann heraus.
Zurückhalten ist auch keine Lösung
Niesen ist offensichtlich alles andere als harmlos. Sollte man es deshalb, um auf Nummer sicher zu gehen, besser unterdrücken? Bloß nicht! Denn ein unterdrückter Nieser kann ebenso schwere Folgen haben, wie ein weiteres Beispiel aus Großbritannien zeigt. Hier hatte ein Mann sich die Luftröhre gerissen, nachdem er beim Niesen Nase und Mund fest geschlossen hielt. Während sich bei normalen Niesern im Rachen ein Druck von ein bis zwei Kilopascal (das entspricht etwa 0,01 bis 0,02 Bar) ausbildet, kann er bei zugepresstem Mund und blockierter Nase auf das 20-Fache ansteigen. Dass das solche Schäden auslöst, ist dennoch sehr ungewöhnlich. Der Mann wurde versorgt und durfte das Krankenhaus nach zwei Tagen Beobachtung verlassen.
Eine ähnlich skurrile Komplikation erlebte eine 72-jährige Amerikanerin. Die Luft, die wegen zugehaltener Ausgänge nicht aus ihrem Körper entweichen konnte, bahnte sich den Weg an einen anderen Ort: ihre Schädelhöhle. Ein Teil ihres Gehirns wurde durch den Druck verdrängt und an seine Stelle trat ein Hohlraum. Sie ließ sich untersuchen, nachdem sie zwei Wochen lang unter einem zunehmenden Hörverlust sowie Kopf- und Ohrenschmerzen gelitten hatte, die mit einem zurückgehaltenen Nieser begonnen hatten. In den ersten vier Tagen nach dem Zwischenfall hatte sie sogar Schwierigkeiten mit der Wortfindung und mit dem Sprechen gehabt. Um den Druck auf ihr Gehirn zu normalisieren, unterzog sie sich einer Operation. Dabei entdeckten die Ärztinnen und Ärzte anatomische Besonderheiten, die eine Luftblase an dieser Stelle wahrscheinlich erst möglich gemacht hatten. Nach dem Eingriff besserten sich die Beschwerden der Patientin schnell wieder.
Was von all diesen Beispielen bleibt, ist die Erkenntnis: Mit einem Schnupfen ist nicht zu spaßen. Und egal, ob man den Nieser zurückhält oder ihn rauslässt, Verletzungen sind in keinem Fall ausgeschlossen. Wer sich schützen will, passt also am besten schon zuvor auf sich auf – und vermeidet es, sich in der »Erkältungssaison« anzustecken. Die Mittel und Wege, wie man das Infektionsrisiko reduzieren kann, sollten ja aus der Pandemie noch bekannt sein. Und für alle anderen wäre es ebenfalls hilfreich, wenn die Schniefnasen eben jene unterwegs in eine Maske packen und so ihre Mitmenschen schützen würden.
- Augen auf beim Niesen?!
Egal wie sehr man sich anstrengt – etwa, weil man gerade Auto fährt und konzentriert auf die Straße blickt –, wenn ein Nieser sich seinen Weg bahnt, schließt man unwillkürlich kurz die Augen. Wie viele Verkehrsunfälle auf das Konto von Niesern gehen, ist nicht bekannt, aber es dürften eine ganze Menge sein. Doch hat dieser Augenschließreflex einen Zweck? Ist er, wie Berichte im Internet suggerieren, dazu da, um die Augen vor dem Herausploppen aus dem Schädel zu schützen?
Nein, das ist zum Glück nur ein Mythos. Beim Niesen wird zwar ein großer Druck in den Atemwegen aufgebaut. Er entlädt sich explosionsartig als Wolke von Luft sowie Tröpfchen aus Spucke und Schleim (plus dem einen oder anderen Partikel aus der letzten Mahlzeit). Dabei erreicht das Gemisch eine Geschwindigkeit von bis zu 60 Kilometern pro Stunde und verteilt sich über eine Distanz von bis zu 8 Metern. Doch das Auge ist über den Sehnerv und mehrere Muskeln fest im Schädel verankert und läuft deshalb nicht Gefahr, in dem Prozess herausgeschleudert zu werden. Vielmehr sind Augen und Nase über einen Nerv miteinander verbunden, der ihre gemeinsame Reaktion beim Niesen bedingt. Wird er gereizt, zieht das den Muskel an der Nase zusammen und führt zugleich dazu, dass sich auch Muskeln um die Augen anspannen und diese schließen.
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