Unwahrscheinlich tödlich: Tod durch Magenexplosion

»Du bist auch eine Genießerin, oder?« Diese Frage stellte mir vor Kurzem ein Bekannter bei einem gemeinsamen Mittagessen. Und was soll ich sagen, er traf damit voll ins Schwarze. Ich liebe gutes Essen und schätze außerdem großzügige Portionen. Das Problem dabei ist: Die Bedeutung von »Sättigung« erschließt sich mir bloß aus Erzählungen. Im Alltag bin ich entweder hungrig oder aber ich habe mich überfressen. Dazwischen gibt es bei mir leider wenig. Deshalb kenne ich das Gefühl des zum Bersten vollen Magens sehr gut. Dass das Organ nicht nur in Comedy-Sketches auf dramatische Weise explodieren kann, hat mich dennoch überrascht.
Um den Magen zum Platzen zu bringen, muss man nicht einmal besonders viel gegessen haben. Das verdeutlicht ein mehr als 75 Jahre zurückliegender Fall, der sich mit dem Tod eines fünfjährigen Kindes aus Uganda befasst. Der Junge war zur Behandlung einer Hautinfektion im Krankenhaus, als die Ärzte bei ihm ein Geschwür im Bauchraum ertasteten. Sie nahmen ihn stationär auf, um es genauer zu untersuchen. Sein Zustand verschlechterte sich jedoch, kurz nachdem seine Mutter ihm zum Abendessen ein hausgemachtes Süßkartoffelgericht gebracht hatte. Er klagte über Bauchschmerzen sowie Übelkeit und erbrach sich in der Nacht. Bei der Morgenvisite war er kaum noch bei Bewusstsein und sein Bauchraum war stark angeschwollen. Die Ärzte leiteten eine Notoperation ein. Sein Bauchfell war mit Gas und Flüssigkeit gefüllt und der Magen prall und kugelrund. Als die Chirurgen ihn anfassten, platze er auf und der stechend riechende Inhalt quoll heraus. Der junge Patient verstarb auf dem Operationstisch.
Der Todesfall wird auch in neueren Veröffentlichungen noch häufig zitiert. Denn er beschreibt erstmals ein Phänomen namens »Eigenbrauer-Syndrom«. Betroffene werden durch ein gestörtes Mikrobiom zum lebenden Braukessel. Bei ihnen machen sich Bierhefe oder andere fermentierende Keime im Verdauungstrakt breit. Füttert man sie nun mit Zucker, wie hier in der Form von Kohlenhydraten in der Süßkartoffel, beginnen die Mikroben, das Verspeiste zu vergären. Dabei entsteht einerseits viel Kohlendioxid, das sich als Gas im Magen und Darm sammeln kann. Andererseits fällt Alkohol an. Menschen mit Eigenbrauer-Syndrom können deshalb selbst dann hohe Alkoholpegel im Blut entwickeln, wenn sie keinen Tropfen getrunken haben. Der beißende Geruch vom Mageninhalt des Jungen entsprang einem solchen Prozess. Nach seinem Tod fermentierte das Gemisch aus Verdauungssäften und Süßkartoffel weiter und produzierte noch mehr Alkohol und Kohlendioxid, wie die Studienautoren beschreiben.
Ein Knaller in der Chirurgie
Bei einem anderen Patienten erwiesen sich geläufigere Verdauungsgase als brandgefährlich. Und zwar buchstäblich, denn sie entzündeten sich während der Bauch-OP und ließen den Magen des Mannes mit einem lauten Knall zerbersten. Der Vorfall ereignete sich in einem Krankenhaus in Tansania. Ein 35-Jähriger kam mit einer Stichwunde im Bauchraum in die Notaufnahme. Das Operationsteam machte sich daran, den verletzten Teil seines Dünndarms zu entfernen. Dazu nutzte es kein normales Skalpell, sondern ein elektrochirurgisches Instrument. Der Vorteil: Mit Strom lässt sich stark durchblutetes Gewebe durchtrennen und zugleich kauterisieren. Doch die Methode kann brennbare Gase entzünden. Genau das passierte im Magen des Mannes. Die in ihm befindlichen Verdauungsgase fingen Feuer und brachten das Organ zum Explodieren. Dabei verbrannten mehr als 50 Prozent der Schleimhaut, was einen Magenbypass nötig machte. Der Patient überlebte die Detonation und die folgende Magenverkleinerung.
Entzündliche Gase kommen zwar im ganzen Verdauungstrakt vor, meistens sammeln sie sich jedoch vor allem im Darm. Im Dickdarm (sowie in Flatulenzen) erreichen die beiden häufigsten von ihnen, Wasserstoff und Methan, zum Teil Konzentrationen von über 30 Prozent. Ab etwa fünf Prozent bilden sie bei Anwesenheit von mehr als fünf Prozent Sauerstoff ein explosives Gemisch. Bei Darmoperationen treffen Chirurginnen und Chirurgen deshalb bestimmte Vorsichtsmaßnahmen, um Explosionen zu vermeiden. Der Magen ist normalerweise unproblematischer – im Fallbericht schreiben die Autoren, es sei unklar, warum sich die Gase bei dem Patienten in dem Organ ansammelten.
Wenn nach dem Essen der Magen platzt
Weniger spektakulär, dafür aber ein paar dutzend Mal dokumentiert, sind die eingangs erwähnten Magenrisse durch Überfüllung. Sie betreffen vor allem eine Gruppe: Menschen mit Essstörungen, die mit Essanfällen kämpfen. Während einer solchen »Binge Eating«-Attacke verspeisen Betroffene Nahrungsmittel in Mengen, die ihr Magen kaum noch verdauen kann. Auch häufiges Fasten, eine ungesunde Ernährung und Alkohol schaden dem Organ. Seine Wände werden mit der Zeit dünner und schwächer als bei normal essenden Personen, was es anfällig für eine Überdehnung macht. Die überstrapazierte Magenwand reißt mitunter, woraufhin der Mageninhalt samt Verdauungssäften in den Bauchraum gelangt. Bei hohem Innendruck sterben zudem Teile der Schleimhaut ab, weil sie nicht mehr mit Blut versorgt wird. Das überfüllte Organ kann die untere Körpervene abdrücken und so die Durchblutung der Beine beeinträchtigen. Die Folgen sind innere Quetschungen, absterbendes Gewebe und eventuell sogar Herzversagen.
Eine Essattacke kann auf diese Weise schnell zur letzten Mahlzeit werden – selbst bei jungen Menschen, wie ein Fall aus Korea zeigt. Eine 21-jährige Frau kam dort fünf Stunden nach ihrem üppigen Mahl mit geschwollenem Bauch und starken Schmerzen ins Krankenhaus. Ihre Beine begannen bereits, sich wegen einer Minderversorgung mit sauerstoffreichem Blut blau zu verfärben. Ein Körperscan offenbarte bei ihr einen extrem vergrößerten, vollen Magen, der auf die Hauptvene drückte und Organe im Bauchraum fast vollständig verdrängte. Weil andere Techniken zur Leerung fehlschlugen, entschieden sich die Mediziner zur Notoperation. Als das Team sich daranmachte, den Mageninhalt über einen kleinen Einschnitt abzusaugen, sackte der Blutdruck der Patientin ab und ihr Herz blieb stehen. Die Wiederbelebungsversuche waren erfolglos, trotz Bluttransfusionen und unterstützender Medikamente. Nach 29 Minuten erklärte der Chirurg die Frau für tot.
Im Alltag muten wir unserem Magen so einiges zu. Doch das bedeutet nicht, dass er wirklich jeder Herausforderung gewachsen ist. Ob ein hauchdünnes Pfefferminzblättchen ihn schlussendlich zum Platzen bringen könnte, ist zwar mehr als fraglich. Ein Zuviel an Essen kann ihn allerdings tatsächlich überfordern, zum Teil mit lebensbedrohlichen Folgen für die Betroffenen. Insbesondere (aber nicht nur) Personen mit Essstörungen sollten deshalb darauf achten, ihren Magen nicht mit ihrer Völlerei überzustrapazieren.
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