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Lobes Digitalfabrik: Mein (Digital-)Körper gehört mir!

Ein grotesker Lizenzstreit um tätowierte NBA-Stars in Computerspielen beschäftigt US-Gerichte. Der Fall zeigt, wie leicht man Macht über sein digitales Selbst verliert.
Tätowierung in der digitalen Welt

Unter Profifußballern ist es seit geraumer Zeit in Mode, Arme, Beine und Gesichtspartien mit zum Teil Furcht einflößenden Tattoos zu verzieren. Im Basketball, wo NBA-Star Dennis Rodman mit seinen Tribal-Tätowierungen in den 1990er Jahren zur Stilikone avancierte, ist dieser Körperkult schon länger Usus. Dass das Urheberrecht jedoch beim Tätowierer verbleibt und die Tätowierten nur ein Nutzungsrecht erwerben, ist den meisten gar nicht bewusst. Zwar werden Tätowierer in Deutschland sozialrechtlich nicht als Künstler angesehen – doch stellt ihr Werk eine schöpferische Leistung wie andere zeichnerische Entwürfe dar. In den USA ist die Rechtslage ähnlich. Interessant wird die Frage dann, wenn man sie auf die digitale Ebene hebt. Denn in der virtuellen Realität ist die Frage der Urheberrechte noch weitgehend unklar.

In Computerspielen wie »FIFA« oder »NBA Live« laufen Avatare berühmter Sportler über den Bildschirm, die ihren Originalen in Gestik, Mimik und Optik verblüffend ähnlich sind. Der Spieleentwickler Electronic Arts reproduziert in seinen Videospielen 100 Tätowierungen, darunter auch das Armtattoo von Weltfußballer Lionel Messi. Die Frage ist: Wer besitzt die Rechte am digitalen Bild?

Die Firma Solid Oak Sketches, die unter anderem Tattoos des NBA-Stars LeBron James und zwei weiterer Basketballspieler lizenziert hat, verklagte den Spieleentwickler Take-Two Interactive Software, weil dieser in seinen Videospielen die Tattoos detailgetreu nachstellte. Solid Oak Sketches forderte daher Schadensersatz. Die Kläger brachten vor, dass der Sportler seine Bildrechte über die NBA beziehungsweise die Spielergewerkschaft an die Spieleentwickler abtreten könne, nicht aber die Urheberrechte an seinem Tattoo, die dem Tätowierer gebühren.

Interessant an dem Fall ist, dass LeBron James Partei für die Beklagten ergriffen hat. In einer schriftlichen Stellungnahme, die dem Gericht vorliegt, erklärte er: »Mein Verständnis ist, dass die Tattoos Teil meines Körpers und meines Ebenbilds sind. (…) Meine Tattoos sind Teil meiner Persönlichkeit und Identität. Wenn ich nicht mit Tattoos gezeigt werde, wäre das keine realistische Darstellung von mir.« Für ihn ist die realitätsgetreue Darstellung seiner Tätowierungen also Teil seiner digitalen Identität. Der Fall ist noch nicht endgültig richterlich entschieden. Nach herrschender Meinung sind Tätowierungen nicht lizenzierungsfähig – das heißt, Solid Oak Sketches hätte gar keine Lizenzen an den Tattoos erwerben dürfen.

Gehört der digitale Doppelgänger noch dem eigentlichen Datenträger?

In einem anderen Fall verklagte der Tattookünstler Victor Whitmill, der Mike Tysons ikonisches Gesichtstattoo stach, das Filmstudio Warner Brothers, weil in dem Kinofilm »Hangover 2« der Protagonist Su eine ähnliche Tätowierung auf der linken Gesichtshälfte trägt. Whitmill sah darin eine Urheberrechtsverletzung und wollte die Ausstrahlung verhindern. Das Gericht lehnte den Antrag auf einstweilige Verfügung ab.

Fiktion auf der Kinoleinwand ist jedoch noch mal etwas anderes als Simulation auf dem Computerbildschirm. »Videospiele sind ein völliges neues Gebiet«, sagte der Urheberrechtsanwalt Michael A. Kahn, der Tysons Tätowierer in dem Rechtsstreit vertrat, der »New York Times«. Der Avatar von LeBron James sei lediglich eine Cartoon-Version des echten. Will heißen: Wo das Original gar nicht mehr ausgewiesen ist, können auch keine Urheberrechtsverstöße moniert werden. Andererseits: Für andere Marken und Unternehmenslogos, die in einem Spiel wie »FIFA« auftauchen, bezahlt EA Sports selbstverständlich Lizenzgebühren. Müsste dann nicht erst recht für Tattoos gezahlt werden, die quasi wie Logos die »Eigenmarke« des Fußballers schmücken?

Doch das Recht differenziert hier offenbar zwischen Körper und Körperschaften. Man besitzt zwar ein Tattoo, es ist Teil des Körpers, Teil der eigenen Identität, aber es gehört einem weder in der analogen noch in der virtuellen Welt. Das Subjekt wird zum Abziehbild.

Darin zeigt sich wie der Grundkonflikt der digitalen Gesellschaft: Man wird von einem Datenkörper repräsentiert, einem digitalen Doppelgänger, mit dem man sich identifiziert, der einen in der digitalen Sphäre verkörpert, der aber dem Datenträger nicht gehört und an dem Konzerne wie an einer Marionette herumspielen. Big-Data-Algorithmen stempeln Datenkörper zur bloßen Nummer ab, und nicht wenige Personen laufen in der virtuellen Welt mit einem digitalen Kainsmal herum. Die Frage ist, ob die Haut als das größte Organ des menschlichen Körpers bloß noch eine Art Bandenwerbung darstellt, eine organische Graffitiwand, auf der sich Sprayer mit ihren Werken verewigen und die ohne Beteiligung digital reproduziert werden. Verkommt der Körper gar zum Template für Programmierer?

Auch bei biometrischen Authentifizierungssystemen (Gesichtsscans, Irisscans, Fingerabdrücke), wie sie im öffentlichen Sektor und der Privatwirtschaft zunehmend zum Einsatz kommen, stellt sich die Frage, ob man eigentlich noch der Patentinhaber seines Körpers ist. Gehört einem das Gesicht noch, wenn man Apples Gesichtserkennung Face ID nutzt oder den Facebook-Algorithmus, der auf hochgeladenen Fotos Gesichter screent? Oder hat man mit der Nutzung dieser Systeme bereits stillschweigend das Copyright abgetreten? Ist so eine digitale Replika in Computerspielen eine Raubkopie an Persönlichkeitsrechten?

Der Satz »Mein Körper gehört mir« gilt im digitalen Zeitalter nur mit Einschränkung. Tätowierte Stars, die in der Öffentlichkeit stehen, müssen bedenken, dass sie ihre Haut als Werbefläche nicht nur an Tattoostudios verkaufen, sondern auch an Spieleentwickler.

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