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Sex matters: Reif für die Insel

Fürs gemeinsame Liebesglück sollten wir nicht auf den nächsten Urlaub warten, sagt Sexualtherapeut Carsten Müller: »Wir brauchen emotionale Inselmomente im Alltag.« Eine Kolumne.
Pärchen rennt durch den Schnee, in Richtung eines winterlichen Meeres
Für magische Augenblicke muss man nicht in die Südsee fliegen. (Symbolbild)

»Wir merken gerade, dass wir in unserer Beziehung nicht glücklich sind. Wir haben beide anstrengende Berufe. Den Haushalt haben wir zwar gut aufgeteilt, aber die Zweisamkeit fehlt völlig. Wir haben kaum Lust auf Sex. Was können wir tun, damit sich das ändert? Im Urlaub, wenn wir Zeit füreinander haben, ist es immer toll. Wir fiebern schon auf die nächste Reise hin. Nur leider sind es bis dahin noch drei Monate. Hoffentlich wird es wieder schön – das brauchen wir für unsere Beziehung!« (Jan, 42, und Nathalie, 45)*

Wirklich? Sie brauchen Urlaub, um miteinander glücklich zu sein? Dann lassen Sie uns reden. Auf Dauer werden die tollsten Reisen nicht dafür sorgen, dass die Beziehung im grünen Bereich läuft. Denn Urlaub ist ein Ausnahmezustand. Und viel zu selten, um eine Beziehung über viele Jahre am Leben zu erhalten.

Dazu gibt es sogar wissenschaftliche Untersuchungen. US-Soziologen haben anhand von Scheidungsstatistiken zwischen 2001 und 2015 analysiert, wann sich Menschen trennen. Genauer gesagt: wann sich besonders viele Paare scheiden lassen. Das passiert nach der Urlaubszeit. In den USA ist nach jeden Sommer- und Winterferien Hochsaison für Scheidungen. Die Erklärung der Soziologen: Die Erwartungen der Paare an den Urlaub seien immens hoch und die Enttäuschung umso größer, wenn sie nicht erfüllt werden. Die Folge seien steigende Scheidungsraten nach dem Urlaub, wenn die Partner erkennen: Die Ferien haben es nicht gebracht.

Was können Paare also tun, wenn die glücklichen Momente in der Beziehung so selten werden, dass schließlich alle Hoffnungen auf dem Urlaub liegen? Hier hilft der Blick in den Alltag. Wenn ein Paar wie Nathalie und Jan zu mir kommt, schauen wir: Wie läuft's denn so, Tag für Tag, ganz konkret?

In einem der ersten Gespräche haben beide stolz erzählt, wie sie Haushalt und Kinder managen. Die Zuständigkeiten für die unterschiedlichsten Dinge waren perfekt verteilt. Er die Wäsche, sie die Einkäufe. Er die Steuern, sie die Schule. Darin waren sie total effizient. Sie hatten einen gut funktionierenden Alltag. Das Problem war nur: Das allein schuf noch keine Verbindung.

Was hingegen Nähe schafft, sind die kleinen, bewussten Momente, die wir unserem Partner oder unserer Partnerin widmen. Nähe in kleinen Dosen sozusagen. Am besten jeden Tag. Ich nenne das »Inselmomente«.

Anleitung zum Alltagsglück

Mit meinen beiden Klienten habe ich überlegt: Wie wäre es, wenn sie einige der Dinge, die sie aufgeteilt haben, zusammen erledigen? Gemeinsam die Wäsche zusammenlegen. Sich der körperlichen Nähe bewusst werden. Vielleicht ein Kuss hier und da. Der gemeinsame Gang zum Supermarkt, wenn noch eine Tüte Milch fehlt: Hand in Hand wird der Einkauf zu einem zärtlichen Inselmoment. Eine schöne Idee, fanden beide. Und machbar, auch an Tagen, die mit Arbeit, Kindern und Haushalt vollgepackt sind.

In diesen Momenten geht es übrigens nicht um das »Was«. Putzen, zum Briefkasten gehen, Essen kochen: egal. Die Tätigkeit ist nur der Rahmen für die Inselmomente. Im Mittelpunkt steht das »Wie«. Wichtig ist, sich gegenseitig wahrzunehmen. Sich bewusst auf den Partner oder die Partnerin einzulassen, um diesen kurzen, magischen Moment verbunden zu sein, in dem man emotional »auf die Insel« reist. Um Gefühle zu erleben, die den Alltag unterbrechen und Nähe schaffen.

Dazu muss der Partner nicht einmal physisch anwesend sein. Es geht auch, wenn man sich den ganzen Tag nicht sieht. Mit Nathalie und Jan habe ich Ideen gesammelt: Der Inselmoment an einem Arbeitstag kann um elf Uhr sein, wenn beide gleichzeitig ihren Lieblingssong hören. Es kann ein Zettel von Nathalie sein – mit einem Liebesgruß, den Jan in seiner Jackentasche findet, wenn er ins Büro kommt: »Ich liebe dein Lächeln.« Oder eine sexy Nachricht auf dem Handy: »Ich freue mich darauf, dich heute Abend zu spüren.«

Fühlen Sie es. Schreiben Sie es. Tun Sie es. Lassen Sie zu, dass der Alltag für einen Moment auf Pause steht. Solche Beziehungsmomente sind wirklich nachhaltig. Klar, Urlaub ist toll und kann eine Beziehung auffrischen. Aber wie viele Tage nach der Reise hält so ein Gefühl noch an? Meine Erfahrung: Eine Woche im Büro und der Urlaubseffekt ist weg. Deshalb sind Inselmomente im Alltag so wertvoll. Man fühlt sich verbunden – Tag für Tag. Weil diese wenigen Minuten zeigen, dass da jemand ist, der uns wertschätzt.

Nathalie und Jan waren anfangs skeptisch, ob sie es schaffen würden, die schöne Idee im Alltag auch regelmäßig umzusetzen. Trotzdem haben sie es vier Wochen lang ausprobiert. Was in der Zeit passierte, beschrieb Nathalie in einer späteren Sitzung so: »Es fühlte sich ein bisschen so an wie am Anfang, als wir frisch verliebt waren. Wenn wir unsere Inselmomente haben, dann bleibt die Welt draußen. Wir merken, wie viel es uns bedeutet, einander jeden Tag zu vermitteln: Für dich schalte ich den Alltag aus.«

Und nun sind Sie dran: Inselmomente sammeln

Wie es geht, wissen Sie schon, weil Sie bis hierher gelesen haben. Wie gut Inselmomente tun, wissen Sie vielleicht auch? Überlegen Sie, wann Sie einen Inselmoment erlebt haben. Sammeln Sie die Erinnerung an zwei oder drei Inselmomente und teilen Sie diese mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin. Die Wertschätzung tut gut – und ist vielleicht eine Anregung, wieder öfter auf die Insel zu reisen.

* Namen der Personen geändert

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