US-Milliardäre : Sie wollen doch nur unsere Aufmerksamkeit

Der Präsident der USA will den Gazastreifen übernehmen – nein, doch nicht, war nur ein Missverständnis. Der Chef des Autoherstellers Tesla darf seit einigen Wochen offiziell in der Politik mitmischen – und im Weißen Haus hofft man, dass er sich bei Interessenkonflikten selbst einbremsen wird. Derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem Nachrichtenseiten kein Medienspektakel um die beiden US-Milliardäre lostreten. Und ganz sicher vergeht kein Tag, ohne dass man ihre Namen irgendwo liest oder hört.
Ich bin dieser Nachrichtenflut allmählich überdrüssig, und vielen anderen geht es ähnlich. Nicht nur, weil ich mir ungern die Laune verderben lasse. Sondern auch, weil ich keine Lust mehr habe, dieses Spiel noch länger mitzuspielen. Aufmerksamkeit ist die Währung von Narzissten. Es wird Zeit, dass wir sie ihnen entziehen und auf die wirklich wichtigen Dinge richten!
Menschen aus der Ferne eine Persönlichkeitsstörung zu attestieren, gilt unter Psychologen als unlauter. Selten haben jedoch so viele Experten diese so genannte Goldwater-Regel gebrochen wie beim amtierenden US-Präsidenten. Im Jahr 2017 bescheinigten ihm beispielsweise 27 Psychiater und Gesundheitsexperten anhand seines Verhaltens einen »gefährlichen Charakter«.
Um festzustellen, dass der US-Präsident und sein neuer Berater narzisstischer sind als der Durchschnitt – das Merkmal folgt auch ohne Krankheitswert einer Normalverteilung in der Bevölkerung –, muss man sich allerdings nicht besonders weit aus dem Fenster lehnen. Beide Männer haben längst bewiesen, dass es nicht ihr oberstes Ziel ist, gute Politik zu machen, sondern Anerkennung und Bewunderung zu ernten und die eigene Macht zu mehren. Für sie geht es nicht um Fakten, sondern um Narrative. Bereits in seiner letzten Amtszeit hat der amtierende US-Präsident sich einen Sport daraus gemacht, verwegene Thesen und Behauptungen in den Raum zu stellen, die die Öffentlichkeit nach Luft schnappen ließen, nur um dann im nächsten Moment ebenso öffentlichkeitswirksam wieder zurückzurudern (oder zurückrudern zu lassen). Das bindet aber jede Menge Aufmerksamkeit, die an anderen, ungleich wichtigeren Stellen fehlt.
Wo es sich wirklich lohnt, hinzuschauen
Betrachtet man das große Ganze, könnten beispielsweise der Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen und der Weltgesundheitsorganisation oder das Ende von USAid deutlich schlimmere Konsequenzen nach sich ziehen als eine Einmischung im Gazastreifen. Die weltweite Erderwärmung zu begrenzen, kann nur gelingen, wenn möglichst alle Länder mitmachen. Dass gerade die USA sich hier nun ebenfalls aus der Verantwortung stehlen wollen, bedroht die Lebensgrundlage zahlreicher Menschen auf der ganzen Welt – und zwar nicht nur im globalen Süden. Die USA stellen derzeit rund ein Fünftel des Gesamtbudgets der WHO. Das fehlende Geld wird sich zuerst dort bemerkbar machen, wo die Gesundheitssysteme schwach sind. Am Ende werden Rückschläge bei der Bekämpfung von Seuchen oder Antibiotikaresistenzen uns alle betreffen. Und die Konsequenzen all der anderen Eingriffe in Wissenschaft und Forschung, die die US-Regierung gerade vornimmt, lassen sich noch kaum absehen.
Doch statt die Folgen solcher Aktionen ausführlich zu beleuchten und das Geschehen einzuordnen, hechelt die Öffentlichkeit mitsamt vielen Medien bereits dem nächsten Stöckchen hinterher, das der Präsident ihnen hingehalten hat. Und wer weiß schon, womit er morgen noch eins draufsetzt? So verkommt Dramatisches nach und nach zu Belanglosem.
Es war selten so wichtig wie in dieser Zeit, dass die Medien ihrer Aufgabe als vierte Gewalt verantwortungsvoll nachkommen und der Politik auf die Finger schauen. Dazu gehört, unaufgeregt über Geschehenes zu berichten, es für die Leser verständlich zu machen, einzuordnen, im besten Fall sogar konstruktive Lösungsvorschläge aufzuzeigen.
Die Nachrichtenspalten mit den immer gleichen Namen regelrecht zu fluten, jeder noch so vagen Schnapsidee und allen Erwiderungen darauf eine riesige öffentliche Bühne zu bieten, ist hingegen kontraproduktiv. Davon profitieren am Ende nur jene, denen es egal ist, womit sie Geschichte schreiben. Hauptsache, sie tun es.
Braucht es wirklich einen Liveticker für jeden Atemzug eines US-Milliardärs?
Aus der psychologischen Forschung weiß man, dass sich Menschen, die ihren Selbstwert daraus ziehen, sich über andere zu erheben, kaum von allein ändern. Im Gegensatz zu ihrem Umfeld ist ihr Leidensdruck häufig gering. Auch scharfe Kritik bringt wenig, sie stachelt sie oft nur noch mehr an und zieht im schlimmsten Fall sogar Racheakte nach sich. Wichtig ist deshalb, sich selbst und seine Grenzen zu schützen; die Devise lautet eher Abstand als Konfrontation.
Ähnliches gilt auch für den Umgang mit dem US-Präsidenten. Es spielt keine Rolle, was man über ihn schreibt – er wird es ohnehin so umdeuten, dass er am Ende als Gewinner dasteht. Im Zweifelsfall auch mit Gesetzen und Dekreten – wie etwa die Begnadigung der Straftäter zeigt, die nach der verlorenen Wahl im Januar 2021 in das Kapitol eindrangen.
Was gerade in den USA passiert, lässt sich mitnichten ignorieren. Man kann sich aber entscheiden, auf welche Aspekte des Problems man sich fokussieren möchte. Braucht es wirklich einen Liveticker für jeden Atemzug eines US-Milliardärs? Am Ende sind es nicht die Personen, sondern ihre Handlungen und deren potenzielle Konsequenzen, die unsere volle Aufmerksamkeit verdienen. Oder haben Sie in diesem Text etwa einen Namen vermisst?
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