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Hatts dufte Welt: Verrückt nach Vanille

Warum lieben wir bestimmte Düfte und finden andere eklig? Das liegt an unserer Erziehung, aber auch an persönlichen Erinnerungen und kulturellen Vorlieben. Europäer lieben Vanille und finden, dass Trockenfisch stinkt. Asiaten dagegen schätzen den Duft von Fisch und rümpfen die Nase, wenn sie Europäer treffen.
Verschiedene Käsesorten

An manche Düfte haben wir uns gewöhnt, andere überfallen uns aus heiterem Himmel. Über den direkten Draht, den Düfte ins Gehirn nehmen, können sie blitzschnell Erinnerungen wachrufen. Wohlige Nostalgie oder spontaner Ekel – das entscheidet nicht der langsame Verstand, sondern die schnelle Emotion. Der Schriftsteller Marcel Proust empfand plötzliche Glücksgefühle beim Geruch von Madeleines, die ihn an sorglose Kindertage erinnerten, während den meisten Franzosen Madeleines wahrscheinlich an der Nase vorbeigehen.

Derselbe Geruch wirkt auf verschiedene Menschen ganz unterschiedlich, je nachdem, was sie mit ihm verbinden. Während manch einer mit Freuden sein Auto betankt, weil der Benzingeruch bei ihm Bilder von sommerlichen Urlaubsfahrten wachruft, schildern Vietnamveteranen das Gegenteil: Sie mussten während des Kriegs Leichen mit Benzin übergießen und verbrennen. Bis heute können sie nicht tanken, ohne dass Übelkeit und spontane Panik sie überfallen.

Neben persönlichen Dufterinnerungen spielen auch die Düfte unserer Kultur eine Rolle, weil Menschen eines Kulturkreises ähnliche Erfahrungen sammeln. Wenn schon die Muttermilch und der Babypuder nach Vanille riechen, ist es kein Wunder, dass wir später alles wohlig, weich und lecker finden, was nach Vanille duftet.

Lebensgefahr aus dem Kühlschrank?!

Ob jemand eine Stinkfrucht schlimmer findet als einen Schimmelkäse, sagt viel über seine Herkunft. Als sein Freund aus Tokio zu Besuch kam, habe der erst mal den Kühlschrank sauber gemacht und den eklig stinkenden, blauen Käse weggeworfen, erzählt ein Student aus Deutschland. »Um mich vor dem sicheren Tod zu bewahren.«

Für ein Dschungelcamp mit Asiaten müssten sich die Produzenten ganz neue Ekelprüfungen ausdenken, denn viele Gerichte, die dort serviert werden, sind in mancher außereuropäischen Kultur​ wahre Delikatessen. Eine Prüfung könnte auch darin bestehen, nach einer Stunde Fitnesstraining mit einem Europäer im Fahrstuhl eingesperrt zu werden, zum Beispiel. Mit einem »Butterstinker« – ein wahrer Albtraum! Asiaten rümpfen über uns schnell die Nase, weil sie viel weniger Schweißdrüsen und kaum Körperbehaarung besitzen, daher auch einen geringeren Körperduft verbreiten. So können Düfte Menschen und Kulturen trennen, aber auch verbinden, wie der Familiengeruch.

Der Duft der großen, weiten Welt ist weniger beliebt, als man annehmen könnte. Im Gegenteil: Die meisten Menschen bevorzugen vertraute Gerüche, zum Beispiel aus der Küche. Ein Türke liebt den Dönerdunst, der Italiener Pasta- und Pizzadüfte und der Koreaner Kimchi in jeder säuerlichen Variante. Manch einer riecht nach Knoblauch, was bei uns ähnlich gut ankommt wie der Gestank nach Kuhfladen. Der erinnert uns an einen ärmlichen Bauernhof mit defekter Waschmaschine. Nicht so in Teilen Afrikas. Dort wird der Geruch nach Kuhmist mit Macht und Ansehen in Verbindung gebracht: Wer am meisten danach stinkt, hat die größte Rinderzucht.

Im Zweifel für die Orange

Auch Frische und Sauberkeit haben ganz unterschiedliche Duftnoten. In Deutschland muss ein Putzmittel nach Zitrone riechen, damit die Hausfrau es ruhigen Gewissens benutzt. Die Spanierin vertraut allein dem Chlorgeruch, während in Russland Fliederduft für die sauberste Sache der Welt gehalten wird. All dies sind Dufterinnerungen aus der Kindheit, die uns zeitlebens prägen. Wir nehmen sie aus unserer Umgebung und aus unseren Städten mit.

Der Geruch der Pariser U-Bahn ist dabei genauso charakteristisch wie der berühmte DDR-Mix aus Braunkohle und Desinfektionsmitteln, der nostalgische Gefühle wecken könnte, würde er nicht mit unangenehmen Erinnerungen einhergehen. Olfaktorische Stadt- und Landspaziergänge sind inzwischen in aller Welt beliebt. In Berlin darf man sich dabei an Lindenblüten freuen, in Singapur riecht es nach scharfen Gewürzen und in Marseille nach Diesel und Pfefferminz. In Bayern verbreiten blühende Kastanien den Geruch von Sperma und der »Smell Walk« von New York führt durch Schwaden von »Giftgas« mit Knoblauch, ähnlich wie in unseren Flussauen, wenn der Bärlauch im Frühling blüht.

Es gibt nur sehr wenige Düfte, die weltweit und in allen Kulturen als angenehm empfunden werden. Dazu gehört Orangenduft oder grüner Tee. Die Orange steht für Wohlgeschmack, Süße und Frische. Bei anderen Lebensmitteln hilft die Industrie nach. Lebensmittelchemiker wissen: Fertigsuppen und Puddingpulver müssen in Asien anders schmecken als in Europa oder den USA. Auch Tabakblätter werden nach regionalen Vorlieben parfümiert: In den USA sollen Zigaretten eher nach Popcorn und Barbecue riechen, während der europäische Raucher den Geruch von Früchten und Kaminholz bevorzugt. Kein Wunder, dass Duftdesigner in allen großen Firmen gefragte Mitarbeiter sind.

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