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Hirschhausens Hirnschmalz: Dann geh doch!

Eckart von Hirschhausen

Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Was haben wir uns nicht den Kopf zerbrochen, um diese Frage möglichst vorteilhaft für unsere eigene ­Spezies zu beantworten. Sprache! Fehlanzeige. Kooperation! Fehlanzeige. Sogar das Aufrechtstehen sieht beim Erdmännchen viel niedlicher aus. Jetzt endlich gibt es wieder was, worauf wir wirklich stolz sein können: das Verabschieden. Denn nirgendwo sonst im Tierreich sagt man sich gescheit "Bis dann". Der Mantelpavian zeigt kurz den Hintern, um anzudeuten, dass er gleich das Terrain verlassen wird – und erwartet, dass die Truppe folgt. Wir nehmen dafür unseren Mantel in die Hand.

In einer neuen Studie postulieren britische Forscher, dass Homo sapiens wegen des hohen Grads der Arbeitsteilung ein Signal brauchte, um sich beim Eintritt in eine Gruppe bemerkbar zu machen. Und vor allem beim Verlassen derselben. Wer hätte gedacht, dass uns gerade das Hallo und Tschüss zum Menschen macht!?

Jane Goodall, die legendäre Primatenforscherin, beschrieb schon 1968 die vielen Spielarten der Begrüßung unter Affen: Umarmen, Küssen, Händchenhalten, Verbeugen bis hin zum Inspizieren der Genitalien. Vieles davon kommt einem bekannt vor, wenn auch vielleicht nicht gleich am ersten Abend und in dieser Reihenfolge. Aber was Gorillas eindeutig fehlt, ist ein Tschüssi­kowski-Gen. Haben Menschenaffen nicht genug Sinn für die Zukunft, um zu kapieren, dass man sich immer zweimal sieht? Immerhin: Ein Schimpanse im Kopenhagener Zoo bewies so viel Weitblick. Er versteckte Steine vor den Wärtern, um am nächsten Tag die Zoobesucher damit zu bewerfen. Vielleicht fehlt unseren nächsten Verwandten ja auch nur das Bewusstsein ihrer eigenen Endlichkeit?

Gerade weil Sichverabschieden so ein zentraler Teil unseres Menschseins ist, nehmen wir es übel, wenn sich jemand auf einer Party mir nichts, dir nichts aus dem Staub macht. Also dreht man besser die große Abschiedsrunde, bei der man die Leute, denen man grade Tschüss gesagt hat, garantiert noch dreimal trifft.

Heimlich abzuhauen, ohne sich fürs Essen und die Einladung zu bedanken, gilt als unhöflich. Wenn nicht gar als un-menschlich, wie die Redensart "davonlaufen wie die Sau vom Trog" beweist. Jede Nation liebt es, negative Eigenschaften nicht nur Tieren, sondern auch den Nachbarvölkern anzudichten. So heißt die besagte Unart in England "french leave", in Frankreich dafür "s’excuser à l’anglaise" – sich auf die englische Art verabschieden. Ein "polnischer Abgang" hinterlässt ebenfalls keinen guten letzten Eindruck.

Wenn ich geh, dann ...

  1. A) geht nur ein Teil von mir.
  2. B) geh ich nie so ganz.
  3. C) bin ich mal weg.
  4. D) wirst du schon sehen!

Kurz: Das Leben ist ein Kommen und Gehen. Und wäre Papa nicht gekommen, wäre es gar nicht erst los­gegangen. Goethe und Howard Carpendale, die beiden großen Dichter, wären undenkbar ohne den Hang zum dramatischen Adieu, von "Willkommen und Abschied" bis zu "Dann geh doch!". Und hätte Hape Kerkeling auch einen Bestseller gelandet mit dem Titel "Ich bin dann mal da"? Ich achte jedenfalls seit dieser Studie viel mehr auf die Nuancen unseres Menschseins. Deshalb möchte ich mich, bevor die Kolumne endet, ganz herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich dafür inte­ressierten und bis hier gelesen haben. Und sag leise: Servus!

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  • Quellen

McGrew, W. C., Baehren, L.: "Parting is such a Sweet Sorrow", but only for Humans? In: Human Ethology Bulletin 31, S. 5–14, 2016

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