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Grams' Sprechstunde: Von Medizin und Alternativen

Medikamente mit Nebenwirkungen, lange Warteschlange beim Arzt, unpersönliche Mediziner in Zeitnot: Brauchen wir nicht dringend Alternativen? Unbedingt, meint Natalie Grams - aber nur echte.
Akupunktur - Medizin in der Qing-Dynastie

Neulich mit einem Kollegen zusammengesessen, auch Arzt. »Ja«, sagt er, »man kann die Akupunktur doch nicht einfach ablehnen«, weil, das ist ja auch altes Wissen, und nur weil man mit der Wissenschaft nicht erklären könne, wie es wirkt, hieße das doch nicht, dass sie nicht wirke. Ich entgegne: »Nun, altes Wissen ist zunächst mal nur eines: alt.« Er stutzt. Und ich nutze die kurze Irritation und lege nach: »Wir können mit der Wissenschaft doch genau das: erklären, warum die Nadeln im Körper wirken. Und wie sie wirken – und wie eben auch nicht.«

Energieströme im Körper, Qi, Meridiane, das alles darf als Erklärung getrost in den Ordner »historische Denkfehler«. Es stimmt allerdings, dass der Akt des Nadelns uns nützt: das Gefühl, da tut jemand was mit uns, noch dazu etwas eher Ungewöhnliches; etwas, was mir ganz individuell helfen soll. Und siehe da, »es« hilft wirklich. »Es« ist die Erwartungshaltung, die – oft zusammen mit dem Placeboeffekt – tatsächlich, ja, wirklich körperlich wirkt. Aber eben nicht »energetisch«.

Studien haben immer wieder gezeigt, dass es deshalb auch ganz egal ist, wohin man die Nadel pikt. Ob in einen so genannten Akupunkturpunkt oder extra daneben – das Nadeln hilft, nicht die Lokalisation. Und weil das gelegentlich – beispielsweise bei chronischen Rücken- oder Knieschmerzen – sogar besser geholfen hat als normale Schmerzmittel (die ja auch immer mal Nebenwirkungen haben), erstattet die Krankenkasse auch manche Akupunkturbehandlung.

»Altes Wissen ist zunächst mal nur eines: alt«

Aber genau daraus ist jetzt ein Problem entstanden. Weil die Krankenkassen für Akupunktur bezahlen, glauben manche, dass diese als traditionelles Konzept insgesamt wirkt. Das glauben wir oft gerade dann, wenn wir nichts Genaues darüber wissen: wie mein ärztlicher Kollege, der bisher einfach nur Gutes von der Akupunktur gehört hatte, ohne sich näher damit beschäftigt zu haben. Aus falscher Toleranz heraus wollen wir dann nicht rundheraus ablehnen, was wir nicht oder nicht genau wissen. Toleranz ist eine großartige Tugend des Menschen, das Problem liegt aber im Wörtchen »falsch«. Denn wir akzeptieren hier Erklärungsmodelle, die sich im Lauf der Zeit tatsächlich als falsch erwiesen haben – und die auch mit größtmöglicher Toleranz nicht richtig werden.

Ebendeshalb ist übrigens auch der Anspruch, es gäbe zwei oder gar mehr Medizinen (etwa »Schul-« und »Alternativmedizin«), so falsch. Denn entweder wirkt etwas – dann lässt sich das dank moderner Untersuchungsmethoden (»klinische Studien«) zeigen; oder es wirkt nicht – dann ist es keine Medizin und taugt auch nicht als Alternative. Irgendwann in den 1990er Jahren ist in unserem Gesundheitsdenken aber gehörig etwas schiefgelaufen, und das tut es bis heute. Denn klar, es wäre schön, Alternativen zu nebenwirkungsreichen Medikamenten zu haben, zu langen Wartezeiten in Arztpraxen, zum Durchgeschleustwerden im Krankenhaus und zu unpersönlichen Ärzten – aber ganz bestimmt suchen wir keine wirkungslosen Alternativen! Und genau das ist das Problem. Alternativmethoden scheinen (ja, scheinen) eine Antwort auf drängende Fragen unserer Medizin und unseres Gesundheitssystems zu sein (ich denke spontan an Antibiotikaresistenzen, Zeitmangel, Überdiagnostik und Übertherapie), sie sind aber nun mal gar keine.

Und irgendwie ist das weder in den Köpfen von Ärzten noch in denen von Patienten noch in denen von politischen Entscheidern angekommen.

Ändern wir das! Warum? Zunächst, weil wir ein Solidarprinzip haben, in dem alle für alle bezahlen: Wenn da Geld für wirkungslose Nichtalternativen ausgegeben wird, schadet das uns allen. Und weil es uns auch schadet, wenn wir an Unvernünftigem, Widerlegtem, Veraltetem festhalten – aus, ja leider, falscher Toleranz, wenn wir nicht wissen wollen, was wir schon längst wissen können. Nutzen wir frei werdende Ressourcen doch lieber, um die Medizin insgesamt besser zu machen, voranzubringen und um wirklich gute Antworten auf berechtigte Fragen zu finden. Es könnte helfen, uns vor Augen zu halten, dass die Kombination aus sinnvollen Maßnahmen und nicht sinnvollen, veralteten oder widerlegten, eben nicht etwa zu mehr Pluralität führt, sondern zur Verwässerung des Sinns. Und das kann doch nicht in unserem Sinn sein!

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