Warkus' Welt: Dem Wahren, Schönen, Guttrainierten

Vor vielen Jahren saß ich im Zug neben einem Paar mit weiter Sportbekleidung und riesigen Taschen. Aus der Unterhaltung der beiden war zu erkennen, dass sie Amateurbodybuilder oder sonstwie geartete Fitnessathleten waren. Einer von ihnen wollte sich bei einer Studiokette als Trainer bewerben – er rechnete mit wenig Konkurrenz, da sich dort ja, in abfälligem Ton gesagt, vor allem »Normalos« bewerben würden.
Das blieb bei mir, damals Philosophiedoktorand, hängen: Dass es Menschen gibt, deren Leben selbstbewusst vor allem um ihren Körper kreist und die mit spöttischer Distanz auf solche schauen, bei denen das nicht der Fall ist. Dabei ist mir dieser Blick im Grunde vertraut. Es ist der, den viele Berufsakademiker hinsichtlich des Geistes haben. Auch sie führen schließlich ein Leben, das darum kreist, bestimmte Fähigkeiten zu trainieren, und schauen nicht selten ein wenig befremdet auf jene, denen dies gänzlich fern ist – nur sind diese Fähigkeiten eben geistige. Das Fitnesspärchen war in gewisser Weise einfach mein Pendant.
Die Vorstellung, dass die Hinwendung zum Geistigen und zum Körperlichen ganz unterschiedliche Lebensentwürfe bedingt, bringt Gottfried Benn (1886–1956) in seinem berühmt-berüchtigten Gedicht »Einsamer nie« auf den Punkt: Da dient jemand »dem Gegenglück, dem Geist«, während der Rest der Welt sich Wein, Liebe und allgemein dem »Rausch der Dinge« hingibt.
Bei Benn schwingt zugleich noch eine etwas selbstmitleidige Herablassung mit, die man gut kennt, wenn man einmal eine geisteswissenschaftliche Fakultät von innen gesehen hat: Ja, ihr da draußen, ihr habt es gut, die großen Fragen sind euch egal, ihr beschäftigt euch mit euren physischen Bedürfnissen. Ich aber schlage mich hier mit meiner Seminararbeit herum, um zu Höherem zu gelangen.
Idealerweise beides
Dabei muss ein Leben natürlich nicht notwendigerweise entweder dem Körper oder dem Geist zugewandt sein. Das Ideal der Antike vereinte Gutes und Schönes – das alte Griechenland erfand ja nicht nur die abendländische Philosophie, sondern auch den Spitzensport. »Mens sana in corpore sano«, »ein gesunder Geist steckt in einem gesunden Körper«, ist ein geflügeltes Wort. Dennoch gibt es in unserer Gesellschaft klarerweise eine Asymmetrie; Führungsschichten verstehen sich, ob legitim oder nicht, als intellektuelle Eliten, nicht als physische. Lebensformen der breiten Masse, die um den Körper und seine Veredelung kreisen, gelten tendenziell als nachrangig, schlimmstenfalls »unterschichtig«. Der Unternehmensberater bewundert den Profilangstreckenläufer wegen seiner Willensstärke, nicht wegen seiner Schönheit; den Bodybuilder, das Tattoomodel in der U-Bahn wird er eher belächeln.
Für und durch den Körper zu leben anstatt durch den Geist, das galt historisch ohnehin als weiblich, als Domäne des schönen Geschlechts, als unseriöses Larifari. Die Abwertung von Praktiken der Körperinszenierung, die sich heute etwa im Lästern über »Möchtegern-Influencerinnen« und ihre »Instaboyfriends« äußert, hat mit sexistischen Traditionen zu tun.
Zweifelhafte Trennung
An der Legitimität dieser Abwertung, ob sexistisch begründet oder nicht, kann man aber zweifeln. Rein quantitativ ist ein gepflegter Waschbrettbauch nicht unbedingt weniger Arbeit als ein Studium. Dass eine – ja auch in erster Linie körperliche – Fähigkeit wie Singen oder Violinespielen höher geschätzt wird als die Fähigkeit, sich perfekt zu schminken, an einer Stange zu turnen oder jemanden kunstvoll zu tätowieren, ist bei genauerem Nachdenken nicht unmittelbar ersichtlich. Klar, Musik gehört zur Hochkultur, Tätowieren, Poledance und Make-up nicht. Aber das ist historisch gewachsen und könnte anders sein.
In der Geschichte der Philosophie hat es immer wieder Versuche gegeben, den Körper gleichsam zu rehabilitieren, gern im Rückgriff auf die ganzheitlichen Ideale der Antike. Friedrich Nietzsche (1844–1900), wohl der berühmteste Name, der sich mit diesem Anliegen verbindet, war selbst seit seiner Kindheit gesundheitlich stark beeinträchtigt und hatte vielleicht gerade dadurch einen besonderen Blick auf das Thema. Heute gibt es unter Berufsphilosophen, soweit ich das wahrnehme, wie in allen anderen Milieus von Hochqualifizierten erstaunlich viele ambitionierte Sportler. Die Frage kann aber offen bleiben, ob dies nicht vor allem mit einem instrumentellen Verhältnis zum Sport zu tun hat (Sport als Ausgleich, als Disziplinierungsinstrument, als Prävention des gefürchteten Bandscheibenvorfalls) und die Abwertung des Körperlichen eigentlich kaum berührt.
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