Direkt zum Inhalt

Warkus' Welt: Die Philosophie des Lachens

Viele Menschen finden Philosophie amüsant. Aber auch Humor hat etwas Philosophisches an sich. Unser Kolumnist Matthias Warkus überlegt, was einen guten Witz ausmacht.
Freundinnen im Cafè

Die Tochter einer Philosophin ist vor ihrem ersten Date sehr nervös. Sie hat vor allem Angst, dass die Konversation zum Erliegen kommen und sich ein unangenehmes Schweigen breitmachen könnte. Ihre Mutter gibt ihr deshalb einen Tipp: »Es gibt drei Themen, über die man mit jedem ins Gespräch kommt: Essen, Familie und Philosophie.« Das beruhigt sie.

Bei dem Date passiert es dann tatsächlich: unangenehmes Schweigen. Das Mädchen erinnert sich daran, was seine Mutter gesagt hat, und fragt sein Gegenüber: »Magst du Apfelpfannkuchen?« »Nein.« Wieder Schweigen. »Hast du Geschwister?« »Nein.« Die beiden sitzen einander erneut stumm gegenüber, und die Stille ist nun noch unangenehmer als vorher. Also schüttelt das Mädchen seinen letzten Trumpf aus dem Ärmel: »Wenn du Geschwister hättest, würden die Apfelpfannkuchen mögen?«

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kenne keinen lustigeren Philosophenwitz. Wenn Sie bessere Vorschläge haben, schreiben Sie mir gerne, aber geben Sie sich Mühe, ich kenne wirklich viele.

Auch wenn man ausklammert, dass zahlreiche Leute Philosophen schon deswegen amüsant finden, weil diese Akademiker sind und/oder angeblich viel trinken, scheint es doch so, als hätte die Philosophie etwas spezifisch Lustiges an sich. Aber hat Humor umgekehrt auch etwas Philosophisches? Was gibt es über das Lachen zu denken?

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Da Philosophie, vereinfacht gesagt, immer mit der Suche nach allgemeinsten Begriffen zu tun hat, und man sich natürlich überlegen kann, ob alles Lachen immer ein gemeinsames Element hat, ist es auch möglich, philosophisch über Humor nachzudenken. Vor 1900 gibt es dazu allerdings nur wenig einschlägige Literatur, daher sind auch die Ansätze relativ übersichtlich.

Lachen als Auslachen

Der gängige Ansatz postuliert, dass Humor immer damit zu tun habe, dass man sich über jemanden stellt. Lachen ist in dieser Vorstellung sozusagen immer Auslachen: Man lacht über einen Clown, weil er ungeschickter ist als man selbst; man lacht über irgendeine Gruppe von Menschen – in meiner Kindheit in der Pfalz waren es eigentlich immer die Saarländer –, weil man glaubt, ihnen überlegen zu sein. Diese Theorie ist elegant, aber unhaltbar, weil sie häufige Quellen des Amüsements wie das Lachen über absurde Wortspiele oder eigene Missgeschicke nicht erfasst. (Und hat je jemand ganz ernsthaft geglaubt, dass Saarländer, Ostfriesen oder andere Gruppen ihm intellektuell unterlegen seien und deshalb zum Beispiel im Winter Schneeketten um ihre Flugzeugpropeller wickeln würden?)

Mit ähnlichen Problemen kämpft ein weiterer Ansatz, dem zufolge Lachen immer ein Abreagieren von angestauter Energie ist. Es ist sicher nicht falsch, dass es, wie etwa Sigmund Freud notiert hat, eine innere Anspannung erzeugt, wenn man zuschaut, wie ein dummer August in der Zirkusmanege mehrere umständliche, auf unterschiedlichste Weise scheiternde Anläufe für irgendeine Alltagshandlung braucht, die wir in Sekunden erledigt hätten. Kleine Kinder werden in solchen Situationen häufig allein vom Zuschauen selbst ungeheuer zappelig. Es gibt aber auch trockenen, knappen Humor, der völlig ohne jedes Anstauen von Energie bestens funktioniert.

Die wahrscheinlich beliebteste und bis heute dominierende Humortheorie ist die Inkongruenztheorie. Ihr zufolge entsteht Humor daraus, dass irgendetwas nicht aufeinanderpasst

Die wahrscheinlich beliebteste und bis heute dominierende Humortheorie ist die Inkongruenztheorie. Ihr zufolge entsteht Humor daraus, dass zwei Dinge oder Phänomene nicht zusammenpassen. Je nach dem gewählten theoretischen Ansatz können das etwa eine Wahrnehmung und eine Erwartung sein – zum Beispiel, wenn aus einem winzigen Auto viel mehr Personen steigen, als man für möglich halten würde. Oder eine Wahrnehmung und ein Begriff: In einer alten Schote aus dem Kölner Karneval erwähnt beispielsweise »der Frischverheiratete« eine Hochzeitsreise »mit der Linie 2 nach Zollstock«, was dem gängigen Begriff von einer Hochzeitsreise als einer außergewöhnlichen Fernreise entgegensteht. In der anspruchsvollen und sehr einflussreichen Humortheorie des großen französischen Philosophen Henri Bergson (1859–1941) besteht die Inkongruenz, die zum Lachen anregt, immer zwischen etwas Starrem, Mechanischem und der Geschmeidigkeit des menschlichen Lebens (ein klassisches Videobeispiel finden Sie hier).

Jetzt kann man sich natürlich fragen, was daran genau philosophisch ist. Geht es hier nicht um Psychologie und Kulturwissenschaft? Spielt nicht die Evolution des Menschen als geselliger Primat eine wichtige Rolle? Ganz sicher, und es gibt Indizien dafür, dass es vermutlich nicht möglich ist, jeden Humor elegant auf einen allgemeinen Begriff zu bringen. Aber dass wir in der Lage sind, sehr abstrakte Gedanken lustig zu finden – wie der Witz am Anfang dieser Kolumne beweist –, lässt die Vermutung zu, dass Humor in jedem Fall mehr ist als eine simple »animalische« Regung.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.