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Warkus' Welt: Wirksam spenden

Eine Spende für einen guten Zweck hat sehr unterschiedliche Auswirkungen. Aber sind vielleicht manche Zwecke sinnvoller als andere? Es kommt drauf an, sagt der Philosoph Matthias Warkus.
Ein Flickenteppich aus stilisierten Menschenköpfen und einer Weltkugel.
Weihnachten ist die Zeit, in der man für eine bessere Welt spendet, statt im Rest des Jahres etwas dafür zu tun.

Das Jahresende ist traditionell eine Zeit des Spendens für gute Zwecke. Weihnachten aktiviert bei vielen christliche Vorstellungen von Mitmenschlichkeit, die großen Hilfsorganisationen veranstalten Kampagnen und zu Silvester mag man sein Geld für »Brot statt Böller« oder zumindest für Brot und Böller ausgeben wollen.

Dazu kommt, dass Ende Dezember die letzte Möglichkeit für eine Spende ist, die noch ins laufende Steuerjahr fällt. Das amerikanische Fundraising-Unternehmen Double the Donation schätzt, dass in den USA 30 Prozent aller Spenden eines Jahres im Dezember erfolgen, und davon ein Drittel in den letzten drei Tagen des Jahres.

Es ist also der perfekte Zeitpunkt, zu überlegen, ob die Philosophie uns etwas dazu sagen kann, für welchen guten Zweck wir unser sauer verdientes – oder vielleicht komfortabel ererbtes? – Geld am besten investieren. Es ist klar, dass eine Spende sehr unterschiedliche Auswirkungen haben kann. Stellen wir uns vor, ich hätte ein sehr gutes Jahr gehabt und hätte daher vor, großzügige 3200 Euro zu vergeben.

Gibt es vernünftige Rassisten? Hat nicht nur der Ärger unseres Vorgesetzten eine Ursache, sondern auch alles andere auf der Welt? Und was ist eigentlich Veränderung? Der Philosoph Matthias Warkus stellt in seiner Kolumne »Warkus’ Welt« philosophische Überlegungen zu alltäglichen Fragen an.

Entscheide ich mich nun, diesen Betrag an eine gemeinnützige Stiftung zur Förderung der sinfonischen Blasmusik in Norddeutschland zu spenden, dann erfüllt diese dafür vielleicht vier Kindern in Bremerhaven ihren sehnlichen Wunsch nach einem eigenen Waldhorn. Das mag für die Kleinen lebensverändernd sein, aber direkt »humanitär« ist es nicht.

Waldhorn, Wurmkur, Vitamin A

Ich kann meine 3200 Euro aber auch einer Organisation spenden, die Kindersterblichkeit durch Vitamin-A-Mangel in Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen bekämpft. Der Geldbetrag reicht ziemlich genau aus, um statistisch das Leben eines Kindes zu retten.

Eine dritte Option wäre es, das Geld einzusetzen, um Medikamente gegen parasitäre Würmer für Kinder zum Beispiel in benachteiligten Regionen Indiens zu finanzieren. Das kostet nur etwas über 30 Cent pro Kind und Jahr, ich kann also mit meiner Spende theoretisch etwa 1000 Kinder zehn Jahre lang wurmfrei halten. An den Würmern, um die es dabei geht, stirbt man nicht, es werden also keine Leben gerettet, aber die Lebensqualität der betroffenen Kinder wird – wenn alles klappt – enorm gesteigert. Sie lernen in der Schule wesentlich mehr und sind später in ihrem Leben deutlich erfolgreicher, was auch ihren Familien und ihrer ganzen Region zugutekommt.

Wofür soll ich nun spenden? Was ist wichtiger – das Leben eines Neugeborenen retten? Die Lebensqualität 1000 indischer Kinder auf niedrigem Niveau deutlich steigern? Oder vier Sprösslinge aus armen Haushalten in Bremerhaven zu glücklichen kleinen Hornisten machen?

Wenn Sie für die Option plädieren, das Geld für die gesicherte Lebensrettung einzusetzen, könnte dies bedeuten, dass Sie der Meinung sind, dass das Ermöglichen von Leben überhaupt wichtiger ist als die nähere Ausgestaltung der Qualität eines Lebens. Und wenn wir berücksichtigen, dass es Bedrohungen gibt, die die Menschheit vollständig ausrotten und so jedes weitere menschliche Leben unmöglich machen könnten, dann ergibt sich daraus, dass ich eigentlich weder für Waldhörner noch für Vitamin A noch für Wurmkuren spenden sollte.

Der Wert der Gegenwart

Ich sollte mein Geld stattdessen einer gemeinnützigen Organisation geben, die sich bemüht, existenzielle Risiken, die die gesamte Menschheit bedrohen, zu identifizieren und zu verhüten. Selbst wenn dies astronomisch teuer ist, rentiert sich quasi jeder Einsatz dafür durch die ungeheure Zahl an potenziellen Menschenleben, die dabei auf dem Spiel stehen.

Diese Denkweise hört auf den Namen »Longtermism« und ist in den vergangenen Monaten zu einiger Berühmtheit gekommen. Unter anderem, weil diverse Silicon-Valley-Superreiche ihr anhängen, darunter der kürzlich verhaftete Kryptowährungspleitier Sam Bankman-Fried. Die Gefahr dabei, so zu denken, sollte ziemlich klar sein: Wenn man der Meinung ist, auf einer Mission zu sein, die einen praktisch unendlichen Nutzen für die Menschheit der Zukunft erbringen wird, rechtfertigt dies alle Mittel und macht kleinteiligere Kosten-Nutzen-Abwägungen, wie wir sie weiter oben diskutiert haben, überflüssig.

Am Ende landet man schlimmstenfalls bei einer Bewegung, die (wenn auch aus rationalen Überlegungen heraus) agiert wie eine radikale evangelikale Kirche, die jedes Vorgehen gegen weltliche Missstände oder die Zerstörung der Erde für Zeit- und Geldverschwendung hält, weil doch die Erlösung der Menschen zum ewigen Leben Vorrang haben müsse. Dass die Longtermism-Organisation Effective Ventures anscheinend mindestens ein Schloss gekauft hat (wie viele Kinder hätte man für das Geld retten oder zumindest entwurmen können?) und bekannte Longtermisten die Klimaerwärmung als Gefahr für die Menschheit eher herunterspielen, deutet darauf hin, dass zumindest Tendenzen in diese Richtung bestehen.

Noch schwieriger wird das Ganze, wenn wir berücksichtigen, dass es noch andere Umverteilungskanäle außer Spenden gibt. Wenn ich der Meinung bin, dass es frivol ist, Kindern Blasinstrumente zu spendieren, dann stören mich vermutlich auch jede Menge der deutschen Staatsausgaben; dann sollte ich mein verfügbares Einkommen so weit wie möglich für einen Zweck meiner Wahl spenden, statt Steuern darauf zu bezahlen. Wer diesen Schritt nicht gehen will, hat implizit akzeptiert, dass Waldhörner für Bremerhaven ein nobler und akzeptabler Zweck sind. Oder etwa nicht?

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