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Warkus' Welt: Warum die Diskussion um Sawsan Cheblis Uhr keine Neiddebatte ist

Darf eine SPD-Politikerin eine teure Luxusuhr am Handgelenk tragen? Wer sich darüber echauffiert, ist weit mehr als nur neidisch, findet unser Kolumnist Matthias Warkus.
Sawsan Chebli

Vergangenen Freitag kam in den sozialen Medien ein inzwischen schon mehrere Jahre altes Foto in Umlauf, auf dem die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli mit einer Rolex-Uhr zu sehen ist, die etwa 7300 Euro gekostet haben dürfte. Das entspricht ziemlich genau vier durchschnittlichen deutschen Nettomonatsgehältern oder einem schönen italienischen Designer-Ecksofa.

Wenn man sich die Mühe macht, aus dem Lärm um diesen »Vorfall« rationale Positionen herauszudestillieren, kommt man zu zwei Hauptstandpunkten: Die einen meinen, dass es irgendwie ungehörig für die Staatssekretärin sei, eine solche Uhr zu tragen. Die anderen finden wiederum, in dieser Ablehnung äußere sich lediglich Neid. Da in den deutschen Medien jeder Anlass zu mehrfachen konfligierenden Meinungsäußerungen »Debatte« heißt und es oft Debatten gibt, bei denen behauptet wird, diese seien durch Neid motiviert, ist auch schnell ein Schlagwort zur Hand: Eine Google-Suche nach »Chebli Neiddebatte« liefert 16 500 Treffer.

Doch was verbirgt sich überhaupt hinter dem Begriff »Neid«? Ein Blick ins Lexikon verrät, dass es eine weitgehend akzeptierte Arbeitsdefinition gibt, die sich unter anderem auf Klassiker der philosophischen Ethik wie Aristoteles, Immanuel Kant oder Adam Smith stützt: Neid ist eine Emotion, die man hegt, weil eine andere Person etwas hat, was man selbst nicht hat. Dieses Etwas ist dabei ausdrücklich keine Beziehung zu einer dritten Person – das macht den Unterschied zwischen Neid und Eifersucht aus. Außerdem ist es meistens Teil der Definition, dass die Emotion verschwinden muss, wenn irgendwie Gleichstand entsteht, also die neidende Person selbst das erhält, was die beneidete Person hat – oder wenn die beneidete Person es verliert. Es gibt in der Literatur unter anderem eine Unterscheidung, die sich an Letzterem orientiert: Gutartiger Neid gönnt der anderen Person das Geneidete und zieht sich nur daran hoch, dass es einem selbst fehlt; bösartiger Neid hingegen enthält den Wunsch, die beneidete Person möge das Geneidete verlieren.

Sind diejenigen, die Chebli wegen ihrer Uhr angreifen, nach dieser Definition nun neidisch? Es ist ganz sicher so, dass sie eine negative Emotion zeigen – die Staatssekretärin musste nach eigenen Angaben schließlich sogar ihren Facebook-Account deaktivieren, weil sie im Zusammenhang mit dem Vorfall so viele Hassbotschaften bekam, dass sich die Flut nicht mehr beherrschen ließ. Es geht auch definitiv um ein Gut, das Chebli hat, nämlich um die besagte Uhr. Ob diejenigen, die die Politikerin angreifen, selbst eine Rolex (oder vergleichbare Luxusartikel) besitzen, lässt sich in diesem Fall schon nicht mehr genau sagen. Aber gehen wir mal davon aus, dass sie keine Luxusuhr am Handgelenk tragen.

»Quotenfrau« und »Quotenmigrantin«

Dann sollten die mutmaßlichen Neider zumindest besänftigt sein, wenn sie selbst eine 7000-Euro-Uhr besitzen würden – oder wenn Chebli ihre Uhr verlieren würde. Doch dafür gibt es in meinen Augen kaum Indizien. Wer ein wenig darauf geachtet hat, wie die Angelegenheit von denjenigen kommentiert wird, die den Besitz der Uhr für verwerflich halten, stößt auf einige Hauptargumente, die immer wieder genannt werden, und sie alle kreisen darum, Chebli habe die Uhr nicht verdient. Und zwar wegen Eigenschaften, die mit dem Besitz der Uhr gar nicht unmittelbar in Verbindung stehen: So wird ihr etwa vorgeworfen, sie leiste in ihrem Beruf nichts, sei lediglich eine »Quotenfrau«, eine »Quotenmigrantin« oder »bloß ein schönes Gesicht« – und diese Vorwürfe gehen häufig fließend in Frauen verachtende und rassistische Beschimpfungen über.

Auch das Verschenken von Uhren würde das Problem nicht beheben

Ich vermute, dass kaum einer der mutmaßlichen Neider verstummen würde, wenn man ihm eine Luxusuhr schenken würde – oder wenn man Frau Chebli ihre abnähme. Den beliebten Vorwurf, die Uhr sei ein Symbol für Kapitalismus und Ungleichheit, weswegen sie am Arm einer Staatssekretärin einer sozialdemokratischen Partei nichts zu suchen habe, kann ich hier aus Platzgründen leider nicht ausführlich beleuchten. Auch in diesem Fall lässt sich das Problem jedenfalls nicht durch das Verschenken von Uhren beheben.

Die Emotionen kochen in diesem Fall also nicht allein darum hoch, weil irgendjemand eine Uhr hat, die jemand anderes sich nicht leisten kann, sondern darum, weil gerade diese spezifische Person sie hat. Hinter dem Missgönnen der Uhr mag sich in dem einen oder anderen Fall ein echtes Ungerechtigkeitsempfinden verbergen, meistens werden es aber eben lediglich mehr oder minder offene Vorurteile sein. Eine Sache blanken Neids ist es sicher nicht. Es wäre meines Erachtens sogar verharmlosend zu behaupten, diejenigen, die Sawsan Chebli wegen ihrer Uhr beschimpfen, seien bloß neidisch.

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