Freistetters Formelwelt: Warum fliegen Insekten zum Licht?

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Wenn es jetzt langsam wieder wärmer wird, verbringen wir mehr Zeit im Freien – und müssen uns mit Insekten auseinandersetzen. Gerade nachts sammeln sich die Tierchen an Lampen und Lichtern.
Dass das so ist, weiß die Menschheit, seit es künstliche Lichtquellen gibt. Schon im antiken Rom hat man diese Tatsache genutzt, um Insekten zu fangen. Aber erst 1884 ist das Phänomen wissenschaftlich erwähnt worden. Von der US-amerikanischen Entomologin Mary Murtfeld stammt die folgende kurze Notiz in einer Fachzeitschrift: »Ich erinnere mich an keine veröffentlichte Beschreibung darüber, dass tagaktive Lepidoptera von Lampenlicht angezogen werden«, schrieb sie und erzählte dann, dass sie zwei Schmetterlinge beobachtet habe, die nachts in ihr Wohnzimmer geflogen seien, nachdem sie dort die Lampen entzündet habe. Sie endete mit der Feststellung, dass es keinen Hinweis darauf gebe, weshalb die Tiere das täten.
140 Jahre später hat ein internationales Forschungsteam offenbar die Antwort gefunden. Die Forschenden haben nicht nur Insekten in freier Wildbahn beobachtet, sondern auch in einem Computermodell simuliert. Um das Verhalten in der Nähe einer Lichtquelle zu modellieren, wurden unter anderem diese Gleichungen verwendet:
Bisherige Vermutungen gingen davon aus, dass Insekten auf das Licht zufliegen, weil es ihnen den besten Fluchtweg anzeige: In dichten Baumkronen weise es auf Lücken zwischen den Blättern hin. Oder aber die Tierchen orientierten sich am Mond und würden durch die künstlichen Lichter irritiert. Es könne auch sein, dass sie sich an der Wärme einer Lichtquelle orientierten oder dass ihre Augen durch das helle Licht gestört würden.
Die drei Gleichungen beschreiben die »dorsale Lichtreaktion«. Insekten müssen in der Lage sein, parallel zum Boden zu fliegen; müssen also wissen, wo oben und unten ist. Der Himmel ist – auch in der Nacht – heller als der Boden. Wenn Insekten ihre Oberseite diesem Licht entsprechend ausrichten, sind sie demnach gut orientiert. Eine Lichtquelle, die nicht aus Richtung Himmel kommt, kann sie durcheinanderbringen. Was dann passiert, hat man in der Studie bei echten Insekten untersucht. Sie wurden markiert, damit ihre Flugbahn mit hochauflösenden Kameras exakt zu verfolgen war.
Ein Insekten-Computermodell
Die Forschenden beobachteten drei unterschiedliche Verhaltensweisen: Kommen die Insekten aus einer bestimmten Richtung, fangen sie an, um die Lichtquelle herumzufliegen. Bewegt sich das Tier aber von der Lichtquelle weg, dann fliegt es wegen der dorsalen Reaktion steil nach oben, verliert Geschwindigkeit und kommt fast zum Stillstand. Fliegt es oberhalb des Lichts, dann dreht es sich um und fällt nach unten.
All das lasse sich, so die Hypothese, allein durch die dorsale Lichtreaktion erklären. Je nachdem, wie die Tiere zur Lichtquelle orientiert sind, drehen sie ihre Oberseite in unterschiedliche Richtungen, was zum beobachteten Verhalten führt. Um das zu überprüfen, haben die Fachleute die Insekten in einem Computermodell simuliert, beschrieben durch obige Gleichungen. θ ist dabei der Winkel zwischen der Längsachse der Tiere und der Sichtlinie zur Lichtquelle, β der Winkel zwischen der Längsachse und der Vertikalen und γ der Winkel zwischen der Körperachse und der Bewegungsrichtung. Die Parameter k1, k2 und k3 geben an, wie stark die Insekten jeweils reagieren, wenn sie die Richtung korrigieren.
Das Resultat der Simulationen zeigt klar, dass sich die beobachteten Flugmuster allein durch die dorsale Reaktion erklären lassen. Es braucht keine weiteren Annahmen wie die Orientierung am Mond (die auch nicht zum beobachteten Verhalten gepasst hätte). Offenbar sind Insekten evolutionär darauf geprägt, ihre Oberseite zum Licht zu drehen – und das wird ihnen in einer Welt, die mittlerweile voller künstlicher Lichtquellen ist, zum Verhängnis.
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