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Hirschhausens Hirnschmalz: Im Gefühlsstau

Fahrradfahren beugt negativen Gefühlen im Verkehr vor.
Dr. Eckart von Hirschhausen

Als Komiker zählt man automatisch zum fahrenden Volk. Denn es gehört zum Beruf des Bühnenmenschen, dass er nicht zu Hause warten kann, bis die Zuschauer zu ihm kommen, sondern sich auf sie zubewegt. Trotz Digitalisierung und Youtube ist das Liveerlebnis nicht zu schlagen. Und ich hätte auch ein Problem, 2000 Leuten in meinem Büro oder Vorgarten unterzu­bringen. Deshalb sitze ich notgedrungen viel, aber auch gerne in der Bahn, weil mich Autofahren schnell aus der Bahn wirft. Umso erstaunlicher finde ich, wie viel Lebenszeit Menschen jeden Tag für ihre Arbeit in der Blechkara­wane verpendeln, um nicht zu sagen verdödeln. Was macht das mit dem Menschen, von der CO2-Bilanz mal ganz abgesehen?

Eine jüngst erschienene Arbeit über die Lebensqualität von Pendlern stammt von den Forschern der University of California in Davis. Die machten es ein bisschen wie ich, nur umgekehrt: Sie ließen die Probanden zu sich kommen, was sich gut traf, denn sie untersuchten die Mitarbeiter der eigenen Universität. Kalifornien liegt im Engagement für Nachhaltigkeit weit vorne und versucht, US-typische Rituale zu hinterfragen, wie das Autofahren selbst auf kürzesten Distanzen.

Aus früheren Studien war bekannt, dass sich Menschen an viele Stressoren in ihrem Leben gewöhnen, nur nicht an »im Stau stehen« – das nervt jeden Tag aufs Neue. Und während man sich beim Umzug aufs Land immer vorgestellt hat, wie viel Zeit man ab jetzt in der Natur verbringt, heißt das im Alltag meistens: noch früher aufstehen, später nach Hause kommen und über die ganze Fahrerei die Zeit zur Erholung verlieren – oder Montagmorgen die gute Laune vom Wochenende. Denn auch die Gefühle stauen sich im Stau, und deshalb überrascht das erste Ergebnis der Kalifornier kaum: Die Reisezeit erscheint vielen als vergeudet. Am wohlsten fühlen sich Radfahrer, weil sich die ihre negativen Gefühle gleich abstrampeln können. Mit dem Zug fahren ist auch erquicklicher als mit Bus oder Auto.

Ein ausschlaggebender Faktor ist das Gefühl von Kontrolle. Und als Radfahrer kenne ich das Gefühl, erhobenen Hauptes an der Autokolonne vorbeirollen zu können. Stau ist ja nur blöd für die, die drinstehen. Na gut, ein bisschen auch für jene, die auf dem Rad die gesammelten Abgase einatmen müssen. Die relative Zufriedenheit der Bahnfahrer kommt wohl daher, dass man sich unterwegs auf anderes konzentrieren kann. Und dass ein Sekundenschlaf bei 200 km/h im Zug viel weniger Stress verursacht als hinter dem Steuer.

Die Forscher diskutieren weiter, wie man mehr Pendler zu den Pedalen bewegen und damit zufriedener und gesünder machen kann. Indem man zum Beispiel für mehr Sicherheit der Fahrräder sorgt, damit man nicht doch zu Fuß nach Hause laufen muss. Auch die Politik ist gefragt, Wohnen und Arbeiten näher zusammenzubringen und Straßen fahrradtauglicher zu gestalten, so wie das vorbildlich in Kopenhagen passiert. Und was machen wir in Deutschland? Zahlen den Pendlern eine Kilometerpauschale! Ich möchte die nicht pauschal verurteilen – aber eine Glücksstrategie ist das nicht.

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