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Warkus' Welt: Warum Politiker nicht von der Sternenflottenakademie kommen

Das wäre doch eine ideale Welt, in der nur noch die Besten von uns an die Macht kämen und der Dauerwahlkampf endlich ein Ende hätte. Wäre da nicht ein klitzekleines Problem.
Die Bestausgebildeten an die Macht?

Nachdem kürzlich der Vertreter der kleinsten Fraktion im Thüringer Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt wurde – aus mindestens fragwürdigen Gründen – und wenig später zurückgetreten ist, hat die Bundesvorsitzende der CDU, die als kommende Kanzlerkandidatin gehandelt wurde, ihren Rückzug angekündigt und die Diskussionen dazu eröffnet, wer ihr nachfolgen soll. Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer musste gehen. Zwischendurch galt auch der Sessel des FDP-Bundesvorsitzenden als wacklig. Es ist absehbar, dass in den kommenden Monaten einiges neu besetzt und verteilt wird. Alles in allem also kein schlechter Anlass, um einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, wie der Zugang zu Ämtern in unserer Gesellschaft funktioniert.

In Deutschland kann zumindest theoretisch jede und jeder Erwachsene in jedes politische Amt gelangen, es muss nur die entsprechende Wählerschaft oder das entsprechende Gremium für sie oder ihn stimmen. Es gelten zwar geringfügige Ausnahmen etwa für verurteilte Verbrecher, aber man muss zum Beispiel nicht nachweisen, dass man ein größeres Vermögen oder ein Grundstück besitzt; und auch keinen bestimmten Schul- oder Hochschulabschluss. Einige Schritte sind für das Erreichen höherer Ämter fast unabdingbar (einer Partei beitreten, die hochdeutsche Sprache erlernen, sich regelmäßig waschen und so weiter), und manche machen es zumindest ein gutes Stück wahrscheinlicher (Jura studieren), aber gesetzlich vorgeschrieben ist keine besondere »Laufbahn«.

Stellen Sie sich nun vor, es wäre ganz anders. Politische Macht erhalten nur ausgewählte Spitzenbeamte: unerschütterlich tapfere und gerechte Gesetzeshüter. Und für den Staatsdienst kann man sich nicht einfach bewerben, sondern man wird von Kindheit an gezielt dafür ausgebildet – geisteswissenschaftlich und naturwissenschaftlich, im Sinne einer ganzheitlichen Erziehung, bei der unter anderem die Medieninhalte, die die künftigen Amtsträger konsumieren, genau darauf abgeklopft werden, ob sie eine Entwicklung zum tugendhaften Menschen fördern. Natürlich gehört auch Sport zur Ausbildung. Mutig, weise, in jungen Jahren ausgewählt, umfassend gebildet – wir dürfen uns die Angehörigen dieser Elite vielleicht so ähnlich vorstellen wie Kadetten auf der Sternenflottenakademie und das Ziel des ganzen Systems so, dass die höchste Macht im Staate bei Männern und Frauen liegt, die wie der Captain der »Enterprise« Jean-Luc Picard und seine Kolleginnen und Kollegen sind. In einer solchen Gesellschaftsordnung sind keine Wahlen mehr vorgesehen, sondern nur noch Eignungsprüfungen. Man könnte sogar diskutieren, ob es überhaupt noch Politik in dem Sinne gibt, wie wir es verstehen, oder nicht bloß eine Verwaltung – dafür allerdings eine sehr, sehr gute. Dass zumindest in der Kommunalpolitik in Deutschland oft parteilose Verwaltungsbeamte zu Bürgermeistern gewählt werden (und dann auch beliebt sind), lässt darauf schließen, dass die Idee nicht ganz abwegig ist. Wer eine perfekte Verwaltung hat, wer braucht dann noch Wahlen, Parteien und das ganze anstrengende Getöse?

Was ist eigentlich gut und richtig?

Die Idee des in idealer Weise von tugendhaften »Wächtern« und ganzheitlich hochgebildeten Herrschern geleiteten Staates finden wir beim antiken Philosophen Platon, vor allem in seinem Hauptwerk »Der Staat« (Politeia). Aus heutiger Sicht mag es wahlweise besonders romantisch oder besonders fahrlässig anmuten, dass die Herrscher nach Platons Ansicht selbst Philosophen sein sollten. Allerdings gab es in der griechischen Antike keine anderen nennenswerten wissenschaftlichen Spezialisierungen. So oder so steht und fällt das ganze Konzept mit der Fähigkeit der mutmaßlichen Eliten, klar zu erkennen, was gut und schlecht, wahr und falsch, nötig und unnötig ist. In den demokratischen Staaten herrscht jedoch – und dies aus gutem Grund – der Konsens, dass es nicht möglich ist, solche Fragen abschließend von Experten klären zu lassen, sondern dass an einem gewissen Punkt immer irgendeine direkte oder indirekte Form von Eingriffsmöglichkeit für die breite Bevölkerung bestehen muss.

Dennoch taucht ein gewissermaßen »platonisches« Denken auch hier und heute regelmäßig auf – wann immer wir so tun, als wäre das, was politisch getan werden muss, ganz offensichtlich und völlig zwingender gesunder Menschenverstand; wann immer wir so agieren, als wären Politikerinnen und Politiker im besten Fall nichts als Verwaltungsbeamte im Dienste der Wahrheit, die bloß durch ihre eigene Charakterschwäche davon abgehalten werden, das Richtige zu tun. Ein wenig schimmert es in dem Vorschlag durch, jetzt in Thüringen eine »unparteiische Expertenregierung« einzusetzen, am besten von einem Richter geleitet. Aber leider haben wir keine Sternenflottenakademie, die zuverlässig Jean-Luc Picards hervorbringt, mit denen wir unsere Spitzenposten besetzen könnten; und selbst wenn wir sie hätten, gäbe es die objektive Erkenntnis nicht, nach der sie handeln könnten. Wir sind darauf angewiesen, Organisationsformen zu entwickeln, in denen unvollkommene Menschen an die Macht kommen und wieder abgesetzt werden können und in denen tagein, tagaus Politik gemacht werden kann – und muss.

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