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Schröders Mobilitäts-Check: Warum schon wieder so hässlich?

In Sachen Bahnfahren ist Deutschland ein Hort der Glückseligkeit. Aber in einem Punkt gibt es fassungslos erheblichen Verbesserungsbedarf.
Selten schönes Exemplar:: Die Forth-Eisenbahnbrücke

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, nicht mehr über die Bahn zu schimpfen. Spätestens seit mir ein alter Bekannter erzählt hat, dass die Eisenbahn in Dänemark eine Katastrophe ist. Ich dachte immer, dass in Skandinavien alles besser sei, aber er sagte, dass die Züge dort nicht nur unpünktlich, sondern auch alt und schrappelig seien. Und – das weiß ich von eigenen Reisen – auch in den Niederlanden sind die Waggons nicht sonderlich schön. In der Schweiz finde ich die Schaffner arrogant, und in den USA kann man von einem Schnellbahnnetz wie dem unseren nur träumen. Also, kein Gemecker, wenn es am Freitag im ICE mal voll wird. In Sachen Bahnfahren ist Deutschland ein Hort der Glückseligkeit. Auch als man im Dezember mit viel Tamtam die neue Schnellbahnstrecke zwischen Berlin und München eröffnete und alle schimpften, weil sich die Züge verspäteten, dachte ich: In Ordnung, das sind Anlaufschwierigkeiten, die muss man einem Großprojekt zugestehen.

Doch eines macht mich fertig: die Brücken, die man entlang der neuen Strecke in die Landschaft gebolzt hat. Fast ausnahmslos sind es Albträume in Beton – schnöde Balkenbrücken, lange uniforme Betontröge, die auf mächtigen grauen Stelzenbeinen über der Landschaft thronen. Die Unstruttalbrücke hat sich auf ewig wie ein monströser Tausendfüßer direkt neben dem kleinen Ort Karsdorf in Sachsen-Anhalt über ein Flusstal gelegt, das noch vor wenigen Jahren beschaulich war. Diese architektonischen Entgleisungen machen mich vor allem deshalb so fassungslos, weil die Planer es hätten besser wissen müssen.

"Wenn man eine Brücke sieht, die man nicht sieht, ist sie von uns"Jörg Schlaich

Ich hatte vor einigen Jahren für einen Artikel DEN deutschen Brückenbauingenieur, Jörg Schlaich, in seinem Berliner Büro besucht, sein Motto: "Wenn man eine Brücke sieht, die man nicht sieht, ist sie von uns." Schlaich besitzt die Gabe, aus Stahl und Beton luftig leichte Brücken zu bauen, die man gerne ansieht, die das Landschaftsbild bereichern – die Humboldthafenbrücke in Berlin zum Beispiel, direkt am Hauptbahnhof. Für Schlaich ist weniger mehr. Er ist davon überzeugt, dass sich eine "gute Brücke gegen jede Dekoration wehrt". Schlaich sagte mir damals auch, dass eine Brücke eine Landschaft nicht nur bereichern, sondern vor allem auch zerstören könne. Er schimpfte, dass angehende Ingenieure Bauvorschriften, Industrienormen und numerische Mathematik büffelten – und dass dabei die Kreativität auf der Strecke bliebe.

Eben dies ist ganz offensichtlich auch bei der neuen Schnellstrecke Berlin-München passiert. Dabei hatte Jörg Schlaich der Deutschen Bahn erst 2008 ihre Brückenplanung um die Ohren gehauen: Sie hatte die Bausünden der ersten Phase des ICE-Streckenbaus produziert, in den späten 1980er und 1990er Jahren. "Zu langweilig, zu schwer, zu viel Beton", mahnte er damals. Die Bahn hatte sich einsichtig gezeigt und prompt ihren "Leitfaden – Gestalten von Eisenbahnbrücken" veröffentlicht. Darin legten Schlaich und einige Fachkollegen den Finger in die Wunde – beispielsweise auf die fast schon rührend hässliche Perleberger Eisenbahnbrücke in Berlin Moabit, die Schlaich mit "Ringelsocken, dekorieren statt gestalten" zutreffend beschreibt. Man hatte versucht, die Pfeiler mit grauen Ringeln zu verschönern. Dabei weiß doch jeder, dass Querstreifen dick machen.

"Zu langweilig, zu schwer, zu viel Beton"Jörg Schlaich

Auf der neuen Schnellstrecke hat man es leider nicht besser gemacht: Die neue Ilmtalbrücke in Thüringen ist ein Trumm und sieht der alten osthessischen Wälsebachtalbrücke von 1988 zum Verwechseln ähnlich. Schlaichs Kommentar schon damals zum 1988er-Modell: "Zu viele und zu schwere Bögen."

Ilmtalbrücke | Es fällt schwer, aus der Vielzahl "funktioneller" Brückenbauten ein Modellexemplar herauszupicken. Vielleicht macht dieses Porträt der Ilmtalbrücke deutlich, was geschieht, wenn Ästhetik keine Rolle bei der Infrastrukturplanung spielt?

Moderne Brücken sollen wenig kosten, schnell fertig werden und wartungsarm sein. Doch das geht heute fast immer auf Kosten des Landschaftsbilds. Es könnte anders sein. In Schlaichs Brückenbau-Leitfaden von 2008 heißt es: "Der Brückenbau darf und muss deshalb für sich in Anspruch nehmen, was jedem anderen öffentlichen Bau – Museum, Theater, Bahnhof, Krankenhaus, Schule und so weiter – mit größter Selbstverständlichkeit auch zugebilligt wird: dass er Teil unserer Baukultur ist und dass deshalb sein Anspruch auf gestalterische Qualität gleichberechtigt neben seiner Funktion und seinen Kosten steht. Die Baukunst ist unteilbar!"

Geholfen hat dieses Plädoyer offenbar wenig. Denn auf der neuen Schnellstrecke ist es bei den billigen, schnellen und wartungsarmen Stelzbauten aus Beton geblieben. Wer einmal bei einem Spaziergang unter einem solchen schwebenden Betonsarkophag gestanden hat, kennt das beklemmende Gefühl – grauer Popanz, ein Fremdkörper, der niemals eins mit der Landschaft sein will, aus dem leblosesten aller Werkstoffe, dem Beton, der Fifi zum Beinchenheben animiert und im Menschen nur den einen Impuls auslöst: zur Spraydose greifen zu wollen. Vor einigen Jahren warb die Betonindustrie mit dem Slogan "Es kommt darauf an, was man daraus macht." Das ich nicht lache.

Es geht doch auch anders. Als ich klein war, entdeckte ich irgendwann in irgendeinem Englischbuch ein Foto von der Brücke über den Firth of Forth in Schottland, der Hammer, auch ein Monster, aus Stahl, aber ein faszinierendes, kein abstoßendes. Es gibt viele andere Schönheiten, die die Landschaft bereichern: die Golden Gate Bridge, die Göltzschtalbrücke in Sachsen. Schönheiten, die gern Jahrhunderte überdauern dürfen. Aber im frühen 21. Jahrhundert kloppen wir aschgraue Brücken aus der Retorte in Wald und Heide.

Göltzschtalbrücke | Ästhetik im Brückenbau? Es ginge doch: Die Göltzschtalbrücke im Vogtland, fertiggestellt 1851, ist die größte Ziegelsteinbrücke der Welt.

Meine Frau sagt immer: "Du darfst nur dann kritisieren, wenn du einen besseren Lösungsvorschlag hast." Den habe ich tatsächlich: Bitte macht es einfach so wie Jörg Schlaich – schlanker, schöner; weniger ist mehr. Und übrigens, das muss gar nicht viel teurer werden: Die Gestaltung einer Brücke schlägt mit einem knappen Prozent bei den gesamten Baukosten zu Buche. Vielleicht lohnt es sich einfach, ein wenig länger nachzudenken, ehe man die Betonmischer anrollen lässt? Und selbst wenn der fertige Entwurf teurer werden sollte, soll es mir recht sein. Dafür werfe ich dann auch gern eine Münze mehr ins Steuersäckel. Der Anblick ist es mir allemal wert.

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