Direkt zum Inhalt

Sex matters: Selbstbefriedigung macht gesund und glücklich

»Sex darf auch ohne eine andere Person stattfinden«, sagt der Sexualtherapeut Carsten Müller. Masturbieren tue nicht nur Körper und Geist gut, sondern könne auch den gemeinsamen Sex bereichern. Eine Kolumne
Symbole vor rotem Plüsch: Vibrator, Orgasmus, Ohrstöpsel, Herzschlag
Sex ist ein bisschen wie Musik hören: Es kann allein ebenso Spaß machen wie gemeinsam.

»Ich bin verheiratet und habe eigentlich auch gern Sex mit meinem Mann. Aber mich selbst anzufassen – das geht irgendwie nicht. Ich habe noch nie Selbstbefriedigung ausprobiert. Das war für mich immer ein Tabu, weil ich so erzogen wurde, dass man sich da unten nicht anfasst. Aber neulich hat eine Freundin von mir ganz offen erzählt, dass sie sich selbst befriedigt. Sie hat sich sogar ein spezielles Sextoy dafür gekauft – unvorstellbar für mich. Selbstbefriedigung ist doch wie Fremdgehen, oder etwa nicht?« (Violeta, 34*)

Willkommen im Dschungel der Mythen und Glaubenssätze, die rund um das Thema Selbstbefriedigung wuchern. »Das tut man nicht«, ist da noch eine vergleichsweise harmlose Überzeugung. Generationen wurde weisgemacht, dass es unmoralisch sei, ein Laster oder ein Zeichen von Schwäche. Dass dabei irgendwas von den Händen abfalle, dass nach 1000 Schuss Schluss sei oder dass häufige Masturbation die Denkleistung schwäche. In China soll laut einer Studie sogar der Irrglaube verbreitet sein, dass Samenergüsse, die durch die eigene Hand herbeigeführt werden, die Lebensdauer verkürzen. Und dass sich weibliche Selbstbefriedigung negativ auf die Qualität der Eizellen auswirke.

Nichts davon stimmt. Es hat auch nichts mit Fremdgehen zu tun. Im Gegenteil, es gibt viel gute Gründe, auch allein Sex zu haben. Ich vergleiche den Solosex gerne mit Dingen, die wir ganz selbstverständlich ohne unseren Partner oder unsere Partnerin machen – weil sie uns einfach guttun. Zum Beispiel Musik mit Kopfhörern genießen. Eine Runde im Park joggen oder einen Abend Wellness machen. All das wirkt sich positiv auf unser Wohlbefinden und damit auf unsere Beziehungen aus.

Warum also nicht auch Sex allein haben? Falls es Hemmungen gibt, dann wäre es gut, einmal genauer hinzuschauen. Wo kommen sie her, und wie gelingt es, sich von ihnen zu lösen? Meine Klientin Violeta hatte als Vorschulkind eine Situation erlebt, in der sie sich selbst angefasst hatte und die Eltern darauf mit großen Ärger reagierten. Ihr Verständnis von Sexualität war seitdem geprägt von der Vorstellung, dass Lust nur mit dem Partner erlebt werden darf.

Dabei geht es beim Solosex auch darum, den eigenen Körper kennen zu lernen und zu erfahren, was man persönlich gut findet. Wie fühlt es sich für ihn an, während des Onanierens die Prostata zu stimulieren? Wie ist es für sie, wenn sie ihre Brüste dabei streichelt? Ist es unangenehm oder steigert es die Lust, dabei zu stöhnen? Wenn ich all das eigenhändig ausprobiert habe, kann auch meine Partnerin oder mein Partner davon profitieren.

Selbstbefriedigung hat eine ganze Reihe von weiteren Vorteilen. Sie ist ein Garant für lustvolle Höhepunkte, denn wir wissen selbst am besten, was dort hinführt. Mit jedem Orgasmus schütten wir eine Extraportion der Botenstoffe Dopamin, Endorphin und Oxytozin aus. Sie bringen Glücksgefühle und aktivieren das Belohnungszentrum im Gehirn. Das so genannte Kuschelhormon Oxytozin fördert Beziehungen: Beim Sex mit Partner ist es gut für die Bindung, beim Solosex für die Selbstliebe.

Masturbation ist auch Sport. Wenn wir selbst Hand anlegen, trainieren wir das Herz-Kreislauf-System auf entspannte Art. Das ist ideal, um morgens in die Gänge zu kommen. Wir fahren den Kreislauf sanft hoch: Mit der sexuellen Erregung steigt der Herzschlag, und beim Orgasmus erreicht die Anzahl der Schläge pro Minute ihren Höhepunkt. Beim Liebesspiel, ob allein oder zu zweit, wird außerdem Stickstoffmonoxid ausgeschüttet, das die Gefäße schützt.

Orgasmen lindern Schmerzen

Selbstbefriedigung hilft darüber hinaus auch bei Schmerzen. Bei Migräne, Regel- oder Rückenschmerzen wirkt ein Orgasmus krampflösend, und die ausgeschütteten Glückshormone lindern auf natürliche Weise den Schmerz. Für Männer ist Solosex noch auf eine andere Weise gesundheitsförderlich. Regelmäßige Ejakulationen sollen das Risiko für Prostatakrebs deutlich senken, so das Ergebnis einer britischen Studie an jungen Männern.

Überhaupt soll sexuelle Aktivität den Körper jung halten, und tatsächlich spricht vieles dafür, dass das auch für Solosex gilt. Befriedigt sich ein Mann selbst, produziert er vermehrt Testosteron. Wenn Frauen masturbieren, wird die Östrogenproduktion angekurbelt. Beide Hormone sorgen dafür, dass wir jünger und fitter wirken. Auch für die körpereigene Abwehr ist Sex förderlich. Zwei US-Forscher fanden bei Studentinnen und Studenten, die mindestens ein- bis zweimal pro Woche sexuell aktiv waren, ein deutlich höheres Level des schützenden Immunoglobulins A.

Jede und jeder tut also gut daran, Solosex zu praktizieren – wobei eine selbstbestimmte Entscheidung dagegen selbstverständlich ebenso in Ordnung ist. Der nächste Schritt wäre, mit dem Partner oder der Partnerin darüber zu sprechen. Manche Paare sind in dieser Hinsicht eher zurückhaltend. Aus unterschiedlichen Gründen: Den einen fällt es schwer, etwas für sich selbst einzufordern. Andere fürchten, den Partner oder die Partnerin damit zu verletzen. Doch viele dieser Sorgen lösen sich auf, wenn man miteinander ins Gespräch kommt.

Meine Klientin zum Beispiel war davon überzeugt, ihr Mann würde es schlimm finden, wenn sie masturbieren würde. Deswegen habe ich angeregt, dass sie ihn fragt. Seine Antwort war sehr klar: Er fand es völlig in Ordnung. Seine Absolution war hilfreich, wenn auch für sich genommen nicht ausreichend. Die Haltung von Violetas Eltern und der Einfluss ihrer Erziehung hatten so viel Gewicht, dass es die Ermunterung von Freundinnen, ihres Mannes und obendrein einer Beratung bedurfte, bis sie bereit war, ihren Körper im Alleingang zu erkunden – und dabei Lust zu empfinden.

Und nun sind Sie dran: Falsche Glaubenssätze

Mit welchen Glaubenssätzen sind Sie in Bezug auf Selbstbefriedigung oder Solosex aufgewachsen? Schreiben Sie alles auf, was Ihnen einfällt. Streichen Sie durch, was Sie mit einem sicheren Gefühl ins Reich der Mythen und Legenden packen können. Sollte etwas übrig bleiben, dessen Wahrheitsgehalt Sie nicht ergründen können, schreiben Sie mir.

* Name des Fallbeispiels von der Redaktion geändert

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.