Warkus' Welt: Was ist die Urform von Wissen?
In der Philosophie ist man sich über eines so ziemlich einig: Es existieren verschiedene Arten von Wissen. Einerseits so etwas wie »Wissen, dass …« (Know-that, Tatsachenwissen), zum Beispiel das Wissen, dass der Eiffelturm oben spitz zuläuft oder dass Butter in der Pfanne bei 175 Grad Celsius anfängt zu qualmen. Andererseits »Wissen, wie« (Know-how, prozedurales Wissen): das praktische Wissen, wie man mit dem Zug nach Paris kommt oder wie man ein Filetsteak brät – eine Form des Könnens also. Diesen Unterschied brachte Gilbert Ryle (1900-1976) im Jahr 1949 in die Diskussion ein.
Bereits über das Verhältnis dieser Wissensarten zueinander kann man jedoch in Streit geraten. Es gibt die Position, dass jedes Know-that eigentlich ein Know-how ist. Ihre Anhänger würden behaupten: Wenn ich weiß, dass der Eiffelturm oben spitz ist, bedeutet das lediglich, dass ich bestimmte praktische Fähigkeiten habe. Nämlich zum Beispiel die Frage »Ist der Eiffelturm oben spitz?« korrekt zu beantworten oder es zu vermeiden, mich auf ein Modell des Turms zu setzen.
Umgekehrt behaupten andere, dass jedes Know-how bloß ein Know-that ist. Sie würden sagen: Wer weiß, wie ein Steak zu braten ist, verfügt über Wissen über viele Tatsachen (»Pfannen sind zum Braten geeignet«, »Wenn ich diesen Knopf am Herd drehe, wird die zugehörige Platte heiß«) und handelt in deren Kenntnis. Eine dritte Position bestreitet, dass die verschiedenen Wissensarten sich überhaupt aufeinander reduzieren lassen.
Wer zufällig Recht hat, weiß noch lange nicht Bescheid.
Man kann noch weitere Arten von Wissen unterscheiden – zum Beispiel Wissen über eine andere Person, das aus deren vertiefter Kenntnis hervorgeht (»Ich weiß, was Ulf in dieser Situation tun würde«), oder Wissen darüber, dass man sich an einem bestimmten Ort befindet (»Ich bin in Kiel«). Bezüge zwischen den Wissensarten zeigen sich teils in der Sprache: Im Englischen kann »to know« sowohl »etwas wissen« als auch »eine Person kennen« bedeuten, wohingegen der Unterschied zwischen »Wissen« und »Erkenntnis« schwer zu übersetzen ist. Im Französischen wiederum verwendet man für »etwas wissen« und »eine Tätigkeit beherrschen« dasselbe Wort (»savoir«).
Selbst wenn wir nur über Tatsachenwissen reden, das sich in Behauptungen pressen lässt, stellen sich Fallen. Was man weiß, muss wahr sein, sonst wäre es kein Wissen. Aber seit jeher unterscheidet man es auch von bloßer Meinung. Ich habe beim Schreiben dieser Kolumne erstmals erfahren, dass Butter bei zirka 175 Grad Celsius zu qualmen beginnt, hätte aber vermutlich eine ähnliche Zahl geraten. Dass ich zufällig meine, Butter würde bei dieser Temperatur qualmen, bedeutet jedoch noch kein Wissen.
Anfangs des 20. Jahrhunderts definierte man Tatsachenwissen daher häufig als begründete wahre Meinung: Ich muss etwas meinen; ich muss Gründe dafür haben; und stimmen muss es auch noch. Edmund Gettier (* 1927) ist in der Philosophie nun durch einen einzigen, drei Seiten langen Aufsatz aus dem Jahr 1963 berühmt geworden, in dem er nachwies, dass bestimmte Arten von Irrtümern dazu führen können, dass man ohne jedes Wissen zu begründeten, wahren Meinungen kommen kann. Wenn ich weiß, dass Frau X gern das Kellerlicht anlässt und Papiermüll in die Biotonne wirft, und schließe, die Person, die heute das Kellerlicht angelassen hat, hat auch vorhin den Papiermüll in die Biotonne geworfen, obwohl es in Wirklichkeit ausnahmsweise in beiden Fällen Herr Y war, dann ist das eine begründete wahre Meinung, die aber nur durch Zufall zu Stande gekommen ist.
Über die Relevanz von Gettiers Aufsatz wurde genauso erbittert gestritten, wie versucht wurde, die klassische Wissensdefinition zu retten. Interessanterweise sind bereits aus der Antike Zweifel daran überliefert, ob man überhaupt sinnvoll von begründeten Meinungen reden kann. Mir persönlich (aber längst nicht allen Philosophen!) ist bei alledem daher die Position am sympathischsten, dass Wissen eigentlich immer Know-how ist, oder wie einmal ein weiser Mann gesagt hat: Entscheidend is' aufm Platz.
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