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In Bestform: Was steckt hinter dem Runner’s High?

Hatten Sie schon mal das Gefühl, ewig weiterlaufen zu können? Dann waren Sie vermutlich im Runner's High. Der Körper produziere dabei eine Art eigenes Cannabis, erklärt der Mediziner Johannes Fuß im Interview.
Drei junge Leute joggen in winterlicher Landschaft

Wer längere Strecken läuft, kann dabei regelrecht high werden, heißt es. Ist das wirklich so und falls ja, woran liegt es? Womöglich an vielen Endorphinen, die der Körper beim Sport ausschüttet? Der Psychiater Johannes Fuß vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf klärt auf.

»Spektrum.de«: Gibt es das Läuferhoch oder Runner's High tatsächlich?

Ja. Manche Menschen berichten, sie würden eine gewisse Euphorie wahrnehmen, wenn sie für längere Zeit Ausdauersport treiben. Sie spüren weniger Schmerzen und haben das Gefühl, sie könnten noch stundenlang weiterrennen – ein bisschen wie auf Drogen. Das ist auch durchaus sinnvoll. In unserer Entwicklungsgeschichte war es wichtig, dass Menschen lange Strecken zurücklegen können.

Kann jeder Mensch diesen Zustand erreichen?

Nicht unbedingt. Schaut man sich die subjektiven Berichte der Menschen an, gibt es deutliche Unterschiede: Manche erzählen fast jedes Mal, wenn sie Ausdauersport treiben, von einem Runner's High. Andere erleben das deutlich seltener. Sie beschreiben den Zustand mehr als etwas Flüchtiges, was sie nur einige Male in ihrem Leben überkommen hat. Es gibt sicherlich auch Menschen, die so etwas nie erleben.

Wie lässt sich Muskelkater vermeiden? Wie viel sollten Sportler trinken? Diesen und weiteren Fragen widmet sich die Biochemikerin Annika Röcker in ihrer Kolumne »In Bestform«. Mit Expertinnen und Experten aus der Sportmedizin diskutiert sie, was beim Sport im Körper vorgeht und wie ein gesundes Training aussieht.

Woran liegt das?

Zunächst einmal daran, dass sie nicht gerne Ausdauersport treiben. Selbst wenn es aus medizinischer Sicht durchaus sinnvoll wäre. Für manche Menschen fühlt sich Joggen total gut an, anderen gibt das nicht viel. Sie probieren es vielleicht mal aus, sind dann aber eher abgeschreckt durch die Schmerzen oder die Erschöpfung, die sie dabei empfinden. Deshalb lassen sie es auf Dauer sein.

Theoretisch können sie ebenfalls ein Runner's High erleben? Oder ist das genetisch bedingt?

Natürlich kann es genetische Unterschiede geben, die dazu führen, dass die biochemischen Systeme, die in die Vorgänge involviert sind, bei manchen Menschen aktiver sind als bei anderen. Vielleicht reagieren sie auch sensibler auf Veränderungen in ihrem Körper und nehmen diese stärker wahr. Es ist aber noch nicht wissenschaftlich geklärt, warum manche Menschen ein Runner's High erleben und andere nicht.

Es wird oft gesagt, beim Sport würden Endorphine ausgeschüttet. Sind diese verantwortlich für das Runner's High?

Johannes Fuß | Der Psychiater interessiert sich vor allem für Endocannabinoide und Sport. Zudem arbeitet Fuß seit 2018 als Oberarzt am Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Das ist eine der wissenschaftlichen Erkenntnisse, die ins allgemeine Bewusstsein gelangt ist und sich total verfestigt hat. Durch Sport steigt das Level an Endorphinen im Blut. Das haben Forscher schon in den 1980er Jahren nachgewiesen. Dabei handelt es sich um körpereigene Opiate. Sie wirken über dieselben Rezeptoren wie zum Beispiel Morphium, was ja auch schmerzlösend wirkt und euphorisch machen kann. Es schien darum total plausibel, dass Endorphine dafür verantwortlich sind, dass Menschen sich gut fühlen, wenn sie Ausdauersport treiben.

Aber sie sind es nicht?

Der Haken ist: Die Endorphine, die wir im Blut messen können, sagen gar nichts über das Endorphinlevel im Gehirn aus. Denn Endorphine sind relativ große Peptide, die nicht durch die Blut-Hirn-Schranke gelangen. Erst sehr viel später wurde entdeckt, dass der Körper zudem Endocannabinoide produziert, quasi körpereigenes Cannabis. Das sind Lipide, die einfach durch die Blut-Hirn-Schranke durchgehen. Die Konzentration im Blut sagt also auch etwas darüber aus, wie viel im Gehirn ankommt. Deshalb sind sie mindestens ebenso gute Kandidaten, um zu erklären, warum Menschen ein Runner's High erleben.

Was sind Endocannabinoide?

Schon lange ist bekannt, dass Bestandteile der Hanfpflanze, Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), den menschlichen Körper beeinflussen. 1992 haben Forscher der Hebräischen Universität in Jerusalem herausgefunden, wie THC und CBD wirken: über das Endocannabinoid-System. Der Körper produziert selbst so genannte Endocannabinoide (altgriechisch endo = innen). Über ihre physiologische Bedeutung ist allerdings noch recht wenig bekannt. Endocannabinoide werden nicht nur beim Sport ausgeschüttet, sondern auch bei anderen schönen Erlebnissen, etwa nach einem guten Essen. Auch bei Menschen, die sich bis zum Höhepunkt selbst befriedigt haben, haben Fuß und seine Kollegen erhöhte Endocannabinoid-Konzentrationen festgestellt.

Ihr Team hat bereits Studien durchgeführt, um herauszufinden, welches dieser beiden Systeme nun für das Runner's High verantwortlich ist. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Wir haben Mäusen Laufräder in den Käfig gestellt und sie rennen lassen. Die Tiere machen das freiwillig, oft für viele Stunden. Einem Teil der Tiere haben wir die Laufräder wieder weggenommen. Die anderen durften weiterrennen. Anschließend haben wir beide Gruppen verglichen, dazu haben wir verschiedene Verhaltenstests durchgeführt. Dabei kam heraus: Die Tiere, die weiterrannten, waren weniger ängstlich und weniger schmerzempfindlich. Das sind zwei der Kernmerkmale eines Runner's High.

Konnten Sie auch sehen, ob die Tiere euphorisch waren?

Nein, dafür gibt es keinen Test bei Mäusen.

Und wie haben Sie nun festgestellt, welche Moleküle die Verhaltensänderung verursacht haben?

Wir haben den Mäusen ein Medikament gegeben, das die Opioid-Rezeptoren und somit die Wirkung der Endorphine blockiert. Das hatte überhaupt keinen Effekt: Die Tiere empfanden nach dem Laufen weiterhin weniger Angst und Schmerzen. Wenn wir hingegen die Cannabinoid-Rezeptoren mit einem Medikament geblockt haben, waren die positiven Effekte verschwunden. Das und weitere Experimente haben uns gezeigt: Man braucht die Endocannabinoide, um bei Mäusen ein Runner's High beobachten zu können.

»Nach dem Rennen waren die Versuchspersonen euphorischer und weniger ängstlich als nach einer Stunde Gehen«

Ist das bei Menschen genauso?

Das untersuchen wir in einer aktuellen Studie, die wir bald veröffentlichen möchten. Dafür haben wir Menschen eingeladen – die meisten geübte Ausdauersportler – und sie auf einem Laufband jeweils für eine Stunde rennen oder entspannt gehen lassen. Anschließend sollten sie berichten, wie euphorisch sie sich gefühlt haben. Außerdem haben wir mittels Virtual Reality ihr Verhalten in einer Angst auslösenden Situation getestet. Dabei kam heraus, dass die Versuchspersonen nach dem Rennen euphorischer und weniger ängstlich waren als nach einer Stunde Gehen.

Haben Sie das auch pharmakologisch untersucht, wie bei den Mäusen?

Ja, dabei gibt es allerdings ein Problem: Für Menschen ist kein Medikament zugelassen, das an die Cannabinoid-Rezeptoren dockt. Darum konnten wir bislang nur die Wirkung der Endorphine blockieren. Das hatte – genau wie bei den Mäusen – keinen Effekt: Die Menschen, die das Medikament bekommen hatten, fühlten sich genauso euphorisch und weniger ängstlich als jene, die stattdessen ein Placebo erhalten hatten. Die Endorphine scheinen also keine kritische Rolle zu spielen.

Was bewirken die Endocannabinoide denn im Gehirn – wirkt das wie nach dem Konsum von Cannabis?

Endocannabinoide verlangsamen die neuronale Transmission, das heißt: Die Signalverarbeitung im Gehirn wird langsamer. Ob man diese Verlangsamung tatsächlich auf subjektiver Ebene spürt, ähnlich wie manche Menschen es vom Kiffen berichten, kann ich nicht sagen. Bei diesem Konsum werden ja ganz andere Mengen von außen zugeführt, das hat sicherlich einen anderen Effekt. Cannabis und die selbst hergestellten Endocannabinoide wirken aber über dieselben Rezeptoren im Gehirn.

Es gibt Menschen, die während des Sports Cannabis konsumieren. Erhöht das die Wahrscheinlichkeit, ein Runner's High zu erleben?

Das ist meines Wissens noch nicht untersucht. Genauso wenig wie mögliche Spätfolgen. Es wäre zum Beispiel denkbar, dass es dadurch langfristig schwieriger wird, auf natürliche Weise ein Runner's High zu bekommen. Aber dazu gibt es keine Daten.

Wie kann ich meine Chance auf ein Runner's High erhöhen? Gibt es etwa eine optimale Laufdauer?

Unsere bisherigen Experimente haben gezeigt, dass die Menschen mindestens 45 Minuten rennen mussten, bis sich ein Anstieg der Endocannabinoide nachweisen ließ. Interessanterweise haben wir aber auch bei den Menschen, die nicht gerannt, sondern nur gemütlich gegangen sind, nach dieser Zeit eine leichte Endocannabinoid-Ausschüttung festgestellt.

Also kann man durch Gehen auch ins Runner's High gelangen?

Wohl eher nicht. Die Menschen, die nur gegangen sind, haben bei unseren Tests keine Euphorie wahrgenommen. Scheinbar müssen die Endocannabinoide einen gewissen Schwellenwert überschreiten, damit man das volle Maß spürt.

Von Sportler zu Sportlern

Man muss nicht unbedingt laufen, um ein Läuferhoch zu bekommen, sagt Johannes Fuß. Er selbst sei überhaupt kein Ausdauersportler, sondern bevorzuge Rudern oder Boxen: Sportarten mit kurzen, intensiven Impulsen. Das gebe ihm mehr Glücksgefühle als eine konstante Belastung über längere Zeit. Er ist sich sicher, dass auch dabei biochemische Systeme angeworfen werden, die ein Hochgefühl verursachen können.

Was kann ich sonst noch tun, um möglichst schnell in das Hoch zu kommen?

Das scheint von Mensch zu Mensch verschieden zu sein: Manche Probanden berichteten, dass sie Musik hören müssen. Andere sagten, es hänge stark mit Kontextfaktoren zusammen, etwa einer schönen Umgebung. Auch die Gesellschaft anderer kann helfen, schneller ein Hochgefühl zu erlangen. Es ist also nicht nur das Rennen und der Anstieg der Endocannabinoide, sondern das Gesamtpaket. Da spielen viele Faktoren mit. Ich würde empfehlen, das für sich selbst auszuprobieren.

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