Gute Nacht – die Kolumne für besseren Schlaf: Mental Load hält wach – und macht müde
Ihr Schlafzimmer sei aufgeräumt, kühl und dunkel, berichtet meine Klientin in der Schlafberatung. Vor ihrem Fenster sei es still, die Bettwäsche kuschelig. Gute Bedingungen, denke ich. Sie sagt: »Aber sobald ich zur Ruhe gekommen bin, schießt mir eine unerledigte Aufgabe in den Sinn und knallt wie ein Stromschlag durch meinen Körper.« »Dann sind Sie wach«, sage ich, und sie presst die Lippen zusammen.
Ich kenne dieses Gedankenkarussell von mir selbst. Ist das Kind noch verschnupft oder schon krank? Wenn ja: Wie lösen wir das morgen? Habe ich eigentlich genug fürs Frühstück im Kühlschrank? Wollte die Nachbarin mir ihren Schlüssel zum Blumengießen morgen vorbeibringen oder erst übermorgen? Und wer kümmert sich um den Termin für die Winterreifen?
Früher nannte man das nächtliche Aufgabenwälzen »Grübeln«. Doch das klingt so, als sei die Person selbst schuld, denn Grübeln könnte man ja auch bleiben lassen. Seit einiger Zeit hat das Phänomen einen anderen Namen: Mental Load oder auch mentale Belastung. Damit ist die kognitive und emotionale Arbeit gemeint, die wir leisten, wenn wir viele unterschiedliche Rollen zu managen haben. Mental Load ist wissenschaftlich nicht leicht zu erfassen und im Alltag schwer zu bekämpfen. Er schafft einen ständigen Alarmzustand im Körper. Der Körper tut dann, was bei Alarm angemessen ist: Er schützt sich, indem er uns wach hält. Alles andere wäre tödlich. Aber Übermüdung ist anstrengend.
Wohin mit dem Mental Load?
Frauen schlafen laut einer Studie der Techniker Krankenkasse schlechter, wenn sie in traditionellen Beziehungen leben. Ihr Schlaf wird deutlich häufiger von Familienangelegenheiten gestört als der ihrer Partner, berichten Forschende im »Journal of Marriage and Family«. Das liegt an den Kindern, am Alltag – und am Partner. In Gesellschaften, in denen Frauen ökonomisch und politisch unterstützt und gestärkt werden, schlafen sie besser.
Noch in der gleichen Sitzung erzählt meine Klientin mir, ihr Partner sei schon mal mitten in der Nacht hochgeschreckt mit den Worten: »Wie kann ich helfen?« Geschichten wie diese mögen in die richtige Richtung weisen. Ganz nach dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Insgesamt könnte die Lösung für guten Schlaf aber lauten: weniger denken müssen. Das ist nicht einfach, doch es gibt Wege dorthin.
Zwei Strategien sind besonders interessant. Oft wird empfohlen, sich am Abend aufzuschreiben, was am nächsten Tag zu tun ist. Falls später noch Gedanken um die Ecke kommen, sollen Block und Stift neben dem Bett liegen, um sie aufzuschreiben und damit beiseitezuschieben. Ein gedimmtes Smartphone mit aktiviertem Blaulichtfilter ist als Notizbuch auch in Ordnung – wenn es so eingestellt ist, dass spätabends keine Nachrichten mehr angezeigt werden. Diese Idee ist gut erforscht und funktioniert für viele Menschen. Sie hat nur einen Haken: Einige gewöhnen sich vielleicht daran, am Abend ihre Gedanken rauszukramen. Im Gehirn entsteht dann die Assoziation: Bett – Aufgaben. Und genau das wollen wir vor dem Einschlafen nicht.
Gehen Sie den längeren Weg
Deshalb schlage ich einen längeren, auf Dauer allerdings aussichtsreicheren Weg vor. Gedanken und Aufgaben bekommen ihren Platz am Tag. Gern auch zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, zum Beispiel zum beruflichen Feierabend und nach dem Abendessen. Überlegen Sie bewusst, was Sie für morgen gern auf einer To-do-Liste stehen haben wollen. Im »Journal of Experimental Psychology: General« berichten Schlafforschende, dass eine solche Liste die Einschlafzeit messbar verkürzen kann.
Auch das expressive Schreiben kann helfen. Dabei schreiben Menschen auf, was sie bewegt. Wenn es nicht nur Aufgaben sind, die Sie wach halten, sondern auch Sorgen oder Erinnerungen, könnte es die passendere Methode sein. Das Konzept wird seit vielen Jahren erforscht und wurde mehrfach für wirksam befunden. Der Psychologe James Pennebaker hat ein Buch darüber geschrieben: »Heilung durch Schreiben«. Die Schreibaufgabe kann in Anlehnung an Pennebakers Studiendesign so aussehen:
»Schreiben Sie über Ihre tiefsten Gedanken und Gefühle zu einem emotionalen Thema, das Ihr Leben beeinflusst hat. Erforschen Sie diese Gedanken und Gefühle dabei und bringen Sie Ihre Beziehungen zu anderen mit ein. Fragen Sie sich auch, wer Sie sind und wer Sie sein wollen. Sie können, müssen aber nicht, jeden Tag über das gleiche Thema schreiben. Legen Sie die Zeitspanne fest, in der Sie schreiben, zum Beispiel fünf oder zehn Minuten lang.«
Weisen Sie dem Grübeln einen Ort und eine Zeit zu
Dieser Weg ist länger als der, bei dem Sie sich neben dem Bett Notizen zu den unerledigten Aufgaben machen. Ich halte ihn jedoch für aussichtsreicher, weil Sie sich daran gewöhnen, dem Grübeln einen Ort und eine Zeit zuzuweisen – außerhalb des Betts. Auch in der kognitiven Verhaltenstherapie wird empfohlen, zum Grübeln das Bett zu verlassen, damit Kopf und Körper die Verbindung zwischen Bett und Nachdenken verlernen.
Den Mental Load kriegen wir damit nicht weg, den gibt uns das Leben vor. Doch wir können ihn in Schach halten. Wir grübeln dann zwar immer noch – im Idealfall aber kürzer und zu Zeiten, die wir selbst gewählt haben. Und vielleicht ist das schon alles, was Sie für eine ruhige Nacht brauchen.
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