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Krebs verstehen: Bye-bye, Tastuntersuchung?

Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern. Lange war die Tastuntersuchung fester Bestandteil der Vorsorge – und vielen Männern ein Graus. An ihre Stelle tritt nun wohl ein Bluttest.
Ein Arzt in blauen Handschuhen zeigt einem sitzenden Patienten auf einem Tablet die männlichen Fortpflanzungsorgane. Der Patient sitzt mit gefalteten Händen auf einem Stuhl.
Derzeit können Männer ab 45 Jahren kostenlos am gesetzlichen Früherkennungsprogramm teilnehmen und sich jährlich die Prostata abtasten lassen.

Statistisch gesehen erkrankt fast jeder zweite Mensch im Lauf seines Lebens an irgendeiner Art von Krebs. Weil man selbst betroffen ist oder eine betroffene Person kennt, geht das Thema damit alle etwas an. Gleichzeitig wissen viele Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen sehr wenig über die Erkrankung. Was passiert dabei im Körper? Warum bekommt nicht jeder Krebs? Und wie individuell läuft eine Krebstherapie eigentlich ab? Diese und weitere Fragen beantwortet die Ärztin Marisa Kurz in ihrer Kolumne »Krebs verstehen«.

Gerade lese ich einen Roman, in dem sich der Protagonist – ein bekannter Autor – daran erinnert, wie sein Urologe ihn fragt, was für Bücher er gerne liest. Und zwar ausgerechnet in dem Moment, als der Arzt ihm einen Finger in seinen Hintern einführt, um seine Prostata abzutasten. Eine Art des Smalltalks, auf die der Autor gerne verzichtet hätte.

Für viele Männer ist die Tastuntersuchung eine unangenehme Vorstellung oder Erinnerung. Für sie gibt es nun gute Nachrichten: Die Deutsche Gesellschaft für Urologie empfiehlt keine Prostata-Tastuntersuchung zur Krebsfrüherkennung mehr. Stattdessen rückt ein Bluttest in den Fokus.

Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern in Deutschland, jährlich erkranken rund 65 000 Männer daran. Zwar wachsen viele Prostatatumoren langsam und verursachen über Jahre keine Beschwerden, doch gerade das macht Prostatakrebs so tückisch. Zudem gibt es aggressive Formen, die früh erkannt deutlich bessere Heilungschancen haben. Entscheidend für die Prognose eines Prostatakarzinoms ist, in welchem Stadium es diagnostiziert wird.

Bislang sieht die gesetzliche Krebsfrüherkennung für Männer ab 45 Jahren eine jährliche Tastuntersuchung vor: Dabei tastet der Arzt über den Enddarm die Prostata ab und untersucht das äußere Genital und die Lymphknoten in der Leiste. Studiendaten zeigen aber, dass diese Untersuchung ungenau ist. In einigen Fällen wird dabei Krebs nicht erkannt, in anderen werden harmlose Befunde fälschlicherweise als auffällig eingestuft.

Deswegen haben Fachleute die Empfehlungen zum Prostatakrebs-Screening nun grundlegend verändert: In der im Juli 2025 erschienenen S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom spielt die Tastuntersuchung keine Rolle mehr. Stattdessen empfehlen die Experten einen Bluttest, der den Prostata-spezifischen Antigen-Wert (PSA-Wert) misst. Dieser Test wird heute schon zur Früherkennung genutzt, muss allerdings von den Patienten selbst bezahlt werden. Ob die Kassen die Kosten für den PSA-Test künftig übernehmen, entscheidet nun der Gemeinsame Bundesausschuss.

»Um durch das Screening einen Todesfall zu verhindern, werden etwa 14 Männer überdiagnostiziert«

Vor- und Nachteile des PSA-Tests

Die neuen Empfehlungen sehen vor, dass sich Männer ab 45 Jahren mit einer Lebenserwartung von mindestens zehn Jahren zunächst über die Vor- und Nachteile einer PSA-Bestimmung beraten lassen, wenn sie eine Prostatakarzinom-Früherkennung wünschen. Doch warum sollte es nachteilig sein, den PSA-Wert zu kennen?

Um durch das Screening einen Todesfall zu verhindern, werden etwa 14 Männer überdiagnostiziert. Sie haben zwar einen auffälligen Wert, aber womöglich wachsen ihre Tumoren so langsam, dass diese nie Beschwerden verursacht hätten und somit keine Behandlung nötig wäre. Ein erhöhter PSA-Wert führt zu weiteren Untersuchungen, die psychisch belastend sein können. Dabei zeigt in sieben von zehn Fällen ein aufgrund eines erhöhten PSA-Werts durchgeführtes Prostata-MRT keinen auffälligen Befund. Ist das MRT dagegen verdächtig, erfolgt eine Biopsie; bei rund jedem vierten Mann findet man keine bösartigen Zellen, zudem kann ein solcher Eingriff Komplikationen verursachen, beispielsweise Infektionen oder Blutungen.

Auf der anderen Seite sorgt das Screening bei zirka drei von 1000 Männern dafür, dass sie nicht an Prostatakrebs sterben. Bei rund vier von 1000 Männern bilden sich durch die rechtzeitige Erkennung keine Metastasen und die Erkrankung bleibt gut behandelbar. Außerdem sind durch das PSA-basierte Screening weniger Früherkennungsuntersuchungen notwendig. Bei neun von zehn Männern ist der PSA-Wert im Alter von 45 Jahren nämlich so niedrig, dass erst nach fünf Jahren eine erneute Kontrolle nötig ist.

Bei einer familiären Vorbelastung – etwa wenn ein Bruder oder der Vater erkrankt sind – sollte der PSA-Test in jedem Fall angeboten werden. Männer mit einer bekannten erblichen Veranlagung für Prostatakrebs sollten sich individuell beraten lassen und erhalten unter Umständen schon frühzeitig PSA-Tests und MRTs.

Höhe des PSA-Werts bestimmt weitere Diagnostik

Lassen Männer ab 45 Jahren ihren PSA-Wert bestimmen, hängt das weitere Vorgehen vom Ergebnis ab: Liegt der Wert unter 1,5 Nanogramm pro Milliliter, genügt eine Kontrolle alle fünf Jahre. Werte zwischen 1,5 und 2,99 Nanogramm pro Milliliter erfordern eine Überprüfung alle zwei Jahre, ab drei Nanogramm pro Milliliter sollte der Wert nach drei Monaten erneut gemessen werden. Wichtig zu wissen: Der PSA-Wert kann sich durch Ejakulationen, Fahrradfahren oder andere mechanische Belastungen der Prostata erhöhen. Deshalb sollte man solche Aktivitäten vor der Kontrolle vermeiden.

Bleibt der PSA-Wert bei mehr als drei Nanogramm pro Milliliter, sollte ein Urologe das Prostatakrebsrisiko genauer beurteilen. Dazu fragt er den Patienten nach Beschwerden, führt eine Tast- und Ultraschalluntersuchung durch und berücksichtigt das Alter sowie die familiäre Vorbelastung. Sieht der Urologe ein Risiko für ein Karzinom, empfiehlt er ein MRT der Prostata. Auffällige MRT-Befunde werden nach der sogenannten PI-RADS-Klassifikation bewertet. Je höher der Wert, desto wahrscheinlicher ist das Risiko für bösartige Tumoren. Ab einem Wert von vier sollten die auffälligen Stellen der Prostata biopsiert werden. Bei einem Wert von drei ist eine Biopsie nur bei weiteren Risikofaktoren nötig. Liegt der Wert unter zwei, ist keine Biopsie erforderlich.

Wenig aggressiven Prostatakrebs überwachen statt behandeln

Männer mit auf die Prostata begrenzten Tumoren brauchen laut Leitlinie nicht zwingend eine Krebstherapie. Und zwar, wenn der PSA-Wert unter zehn Nanogramm pro Milliliter misst, der Tumor klein und der sogenannte Gleason-Score niedrig ist. Pathologen bestimmen den Score, indem sie Tumormaterial unter dem Mikroskop analysieren. Ein niedriger Wert weist darauf hin, dass der Krebs nur langsam wächst und selten Metastasen bildet. Das Risiko, ohne Behandlung an der Erkrankung zu sterben oder Metastasen zu entwickeln, liegt dann bei unter einem Prozent. Statt einer Krebstherapie erhalten Betroffene engmaschige Kontrollen. Der PSA-Wert wird alle drei Monate gemessen, ein MRT mit Biopsie nach 12 bis 18 Monaten wiederholt. Je nach Ergebnis folgen weitere Untersuchungen oder eine Therapie.

Dass die Leitlinie zu Prostatakrebs sich nun darauf fokussiert, Übertherapie und Überdiagnostik zu vermeiden, finde ich sehr erfreulich. Patienten sollten dabei umfassend über die Vor- und Nachteile einer PSA-Bestimmung aufgeklärt werden, um eine informierte Entscheidung treffen zu können. Wird tatsächlich Krebs festgestellt, muss nicht in jedem Fall behandelt werden. Prostatakarzinome können ganz unterschiedliche Verläufe nehmen: von langsam wachsend bis hochaggressiv. Deshalb ist es wichtig, Betroffene individuell zu behandeln.

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