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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn das Silicon Valley gar nicht so smart wäre?

Algorithmen kennen uns besser als wir selbst und bestimmen immer mehr unseren Alltag. Aber ist das wirklich sinnvoll? Der Wissenschaftskabarettist Vince Ebert über Vision und Wirklichkeit.
Der Kabarettist Vince Ebert

Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, es wäre toll, wenn man die Gedanken anderer Menschen lesen könnte. Jetzt haben wir Twitter und sehen schwarz auf weiß, was den Leuten Tag für Tag so durch den Kopf geht. Das ist nicht toll.

Im Silicon Valley sieht man das anders. Allein der Facebook-Konzern speichert und analysiert täglich vier Millionen Gigabyte an Daten von seinen 2,5 Milliarden Nutzern. Dadurch weiß Marc Zuckerberg mehr über meine Reisegewohnheiten, meine Zukunftspläne, meine finanzielle Situation und meine sexuellen, religiösen und politischen Einstellungen als Trump und Putin. Sogar mehr als meine Mutter.

Gegründet wurde das Silicon Valley von IT-Hippies, die von einer gerechten Welt träumten. Die ersten Computerspezialisten vor etwa 40 Jahren waren von der Idee begeistert, dass Informationen für alle frei zugänglich sein sollten. Es ist eine große Ironie, dass das kapitalistische Amerika mit dem Internet etwas erschaffen hat, was den Marxisten in Europa nie gelungen ist.

Von Hippies zu Hipstern

Auch heute noch redet die kalifornische Hightech-Elite gerne davon, die Welt zu verbessern. Doch man hat den Eindruck, dass es ihnen mittlerweile um etwas ganz anderes geht. Denn die Technologie dort führt fast zwangsläufig dazu, dass Monopole entstehen. In digitalen Märkten entscheiden sich Kunden in der Regel für den Anbieter mit dem größten Netzwerk. Egal, ob sie dort höhere Preise oder schlechteren Service vorfinden. Denn in Netzen hat nicht der bessere Anbieter einen Vorteil, sondern der größere. Genau wie ein Schwarzes Loch zieht ein Konzern immer mehr Masse an sich, verschluckt alle anderen um sich herum und sorgt für eine Art Highlander-Effekt: Es kann nur einen geben!

Was als idealistisches Hippieprojekt anfing, hat sich so zu einer Kultur aus hocheffizienten Hipstern gewandelt, die von der Macht der Algorithmen träumen und alle fünf Minuten davon reden, dass Daten das »neue Gold« seien.

Auf dem Papier mag Google vielleicht das wertvollste Unternehmen der Welt sein. Aber Google produziert nichts. Keine Frühstücksflocken, keine Duscharmaturen und keine Schmerzmittel. Das Silicon Valley betreibt Taxiunternehmen ohne Taxis, Hotelketten ohne Hotels und Suchmaschinen ohne eigene Inhalte. Seit Neuestem macht Facebook sogar Politik ohne Politiker.

Zweifellos haben sich Algorithmen zu unschätzbaren Werkzeugen entwickelt. Mit ihrer Hilfe können wir Unwetter vorausberechnen, wir können Krebstumore im Frühstadium erkennen, wir können Logistikketten optimieren und mit Leuten aus aller Welt Handel treiben.

Klug angewendet ergeben viele Tools aus dem Silicon Valley durchaus Sinn. Doch jede Medaille hat zwei Seiten. Inzwischen kann ein Computer besser beurteilen, ob Sie kreditwürdig sind, als ein Bankangestellter. Der Algorithmus analysiert dabei Unmengen von Daten und weist Ihnen dann einen bestimmten Score-Wert zu. Ist der zu schlecht, verweigert die Bank Ihnen den Kredit. Doch kein Mensch weiß, warum. Vielleicht hat der Algorithmus etwas auf Instagram über Sie gefunden oder etwas in Ihrer Lebensgeschichte, was ihm nicht passt. Es gibt irgendetwas an Ihnen, was der Computer nicht leiden kann. Aber er kann Ihnen nicht sagen, was es ist. Denn sonst könnten Sie ja Abhilfe schaffen, ein Missverständnis aus dem Weg räumen oder dagegen klagen.

Kampf um die Deutungshoheit

Da Maschinen kein Bewusstsein haben, wissen sie nicht, was sie tun und vor allem: warum sie etwas tun. Daher ist es ziemlich heikel, ihnen so viele Entscheidungsbefugnisse einzuräumen. Inzwischen gibt es mehrere Fälle, in denen ein NSA-Algorithmus vollkommen selbständig sechsjährige Kinder auf die Terrorliste gesetzt hat. Was man bei manchen Sechsjährigen sogar verstehen kann. Neulich habe ich bei Ikea eine Durchsage gehört: »Der kleine ›Leck-mich-du-blöde-Kuh-mein-Name-geht-dich-gar-nichts-an« möchte aus dem Kinderparadies abgeholt werden …«

Für solche ethischen Spitzfindigkeiten interessieren sich im Silicon Valley erstaunlich wenige. Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Punkt. Dabei ignoriert man, dass viele Dinge in unserem Leben für Daten unsichtbar sind: kritisches Denken, Fantasie, Neugier, persönliche Entwicklung. Eine Maschine ohne Bewusstsein kennt keine Schönheit. Sie ist wie Mireille Mathieu: Sie singt glühende Liebeslieder auf Deutsch – und versteht kein Wort davon.

Derzeit überlassen wir die Deutungshoheit über die Zukunft einer technologiegläubigen Nerd-Elite aus Start-up-Unternehmern, Tech-Konzernen und Investoren an der amerikanischen Westküste. Für altmodische abendländische Zweifel ist kein Platz mehr. Doch dadurch erleben wir ein gefährliches intellektuelles Ungleichgewicht.

Es wäre wichtig, die intellektuelle Deutungshoheit von den Hightech-Hipstern zurückzugewinnen. Denn die großen Ideen der Welt werden auch in Zukunft nicht digital, sondern analog gedacht. Von Gehirnen und nicht von Algorithmen.

Als der deutsche Bauingenieur Konrad Zuse 1941 den ersten Computer erfand, sagte er: »Ich fürchte mich nicht davor, dass Computer so werden wie Menschen. Ich fürchte mich viel mehr davor, dass wir Menschen so werden wie Computer.«

Mehr über den Kabarettisten, Autor, Moderator und Physiker unter: www.vince-ebert.de

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