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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn Diätversprechen sinnlos wären?

Der Urlaub steht vor der Tür, und nun muss am besten heute die Strandfigur her. Und so glauben wir gerne den »Schlank in nur zwei Wochen«-Versprechen und hoffen, dass wir schnell eine gute Figur machen. Der Wissenschaftskabarettist Vince Ebert wirft einen Blick auf Diättipps.
Der Kabarettist Vince Ebert

Laut Umfragen finden sich viele Männer und Frauen zu dick. 37 Prozent der Frauen und sogar 59 Prozent der Männer hätten damit sogar Recht. Es ist zum Verzweifeln: Wir Deutschen werden tatsächlich immer fülliger. Während in vielen Entwicklungsländern die Menschen auf Grund ihrer Armut nicht genügend Kalorien zu sich nehmen können, essen die Menschen in den Industrieländern wegen des reichhaltigen Nahrungsangebots zu viel.

Den größten Teil unserer Entwicklungsgeschichte waren wir gezwungen, lange Phasen ohne genügend Nahrung durchzuhalten. Jeder Nahrungsentzug erzeugte eine Stresssituation, auf deren mögliche Wiederkehr wir uns mit allen Mitteln vorbereiten mussten.

Männliche und weibliche Organismen reagieren auf Nahrungsentzug ganz unterschiedlich. Männer schütten bei dieser Art von Stress vermehrt Adrenalin aus. Dadurch werden sie aufmerksamer, fokussierter, teilweise auch aggressiver: eine Topvoraussetzung bei der Mammutjagd. Bei hungrigen Frauen dagegen wird vermehrt Kortisol ausgeschüttet. Und das wirkt unter anderem appetitsteigernd, damit im Falle eine Schwangerschaft das Baby auch genug Nährstoffe abbekommt.

War der Göttergatte auf der Jagd, blieb der Dame des Hauses nur die Möglichkeit, in der Höhle herumzusitzen und allenfalls ein paar Beeren oder Wurzeln zu suchen. Der einzige Zeitvertreib war warten und ab und an mal ein Scheibchen Obst essen. Wenn dann aber das Mammut erlegt wurde und plötzlich genug Fleisch in der Höhle herumlag, folgte auf eine entbehrungsreiche Zeit des Fastens ein wildes Schlingen. Alles, was reinging, musste auch rein, ohne Rücksicht auf Cholesterinwerte und Body-Mass-Index. Denn was man als Fett auf den Rippen hatte, konnte einem keiner mehr wegnehmen. Die Kernbotschaft der Steinzeit lautete: »Friss dir genügend Reserven an – die nächste Hungerperiode kommt bestimmt.« Auch heute noch ist dieses Prinzip unter der Bezeichnung »Grillsaison« bekannt.

Als Reaktion auf den Verzehr von energiereicher Nahrung wie Fleisch oder Zucker hat unser Gehirn ein körpereigenes Belohnungssystem entwickelt und schüttet das Glückshormon Dopamin aus. Wir werden sozusagen mittels Drogen auf Rahmschnitzel und Sachertorte konditioniert.

Vor diesem Hintergrund wirken die tausendfach angepriesenen Glücks-, Low-Carb-, Fatburner- oder Friss-die-Hälfte-Diäten ziemlich hilflos. Denn sie gehen im Grunde alle davon aus, dass wir unser Essverhalten einfach nur verstehen lernen müssen, damit wir es dann rational steuern können. Aber genau das ist in hohem Maße eine Illusion. Wenn es um so fundamentale Dinge wie die Kalorienzufuhr geht, spult unser Hirn ein evolutionäres Programm ab. Und das lautet eben nicht: »Och, ich nehm heute mal 'nen kleinen Salat ohne Dressing«, sondern: »Tu ordentlich was von der Béchamelsoße auf die Nudeln!«

Die Großhirnrinde, der Sitz unseres Verstandes, wird bei dem ganzen Prozess vielleicht mal kurz beteiligt, darf aber höchstens Dinge entscheiden wie: »Nehm ich heute Ketchup oder Majo zu den Fritten?«

An dieser Stelle ein kurzer Blick in unser Verdauungssystem: Wir Menschen haben einen langen Dünndarm, der zuständig für die schnelle Resorption von leicht verdaulichen, gekochten Speisen ist. Der Dickdarm dagegen ist für den Aufschluss der kalorienarmen Ballaststoffe zuständig. Und der ist bei uns Menschen extrem kurz. Unser Körper ist also eher an Pommes, Knödel und Wurst angepasst als an Salatteller und Obst.

Alle seriösen Untersuchungsergebnisse sprechen dafür, dass die meisten von uns auf lange Sicht kaum etwas in Hinblick auf Figur und Gewicht unternehmen können. Inzwischen sind sogar einige Wissenschaftler der Auffassung, jeder Mensch habe ein individuelles Set-Point-Gewicht, eine genetisch festgelegte Körpermasse, die willentlich nicht entscheidend verändert werden kann. Tests mit Mäusen haben ergeben: Pflanzt man ihnen Gewichte ein, hungern sie sich herunter, bis sie wieder zu ihrem ursprünglichen Normalgewicht zurückgekehrt sind. Vielleicht ist das ja sogar die Lösung: Statt 5000 Euro auszugeben, um fünf Kilogramm Bauchfett absaugen zu lassen, sollten sich die Patienten lieber einen dezenten Bleigürtel implantieren lassen. Das Abnehmen geht dann ganz von selbst.

Vielleicht müssen wir aber auch einfach damit leben, den Kalorienbomben unserer Zeit ein Stück weit ausgeliefert zu sein. Denn was wäre die Alternative? Menschenaffen zum Beispiel haben zwar keine großen Gewichtsprobleme, andererseits benötigen sie für den Erhalt ihres Idealgewichts einen Darm, der mehr wiegt als ihr Gehirn. Bei uns Menschen dagegen ist es umgekehrt. Mit dem Kochen kalorienhaltiger Speisen tauschten wir einen großen Darm gegen ein großes Gehirn. Auch wenn man sich das bei Sendungen wie dem »Perfekten Promidinner« nur schwer vorstellen kann.

Vince Ebert ist Diplomphysiker und Kabarettist. In seinen Bühnenprogrammen, Vorträgen und Büchern vermittelt er naturwissenschaftliche Themen mit den Gesetzen des Humors in deutscher und seit Neuestem auch in englischer Sprache. Mehr Infos und alle Termine unter https://www.vince-ebert.de.

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