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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn Kinder das gleiche Gehirn hätten wie Erwachsene?

Warum tut Kindermund Wahrheit kund? Vince Ebert erklärt, wie freche Fragen und gesunde neuronale Entwicklung zusammenhängen.
Der Kabarettist Vince Ebert

Wissen Sie, was ich an Kindern mag? Kinder sind so gnadenlos ehrlich. Letzte Woche wartete ich an einer Bushaltestelle. Neben mir stand ein total goldiges, fünfjähriges Mädchen – Typ Pippi Langstrumpf – mit Zöpfen und Zahnlücke. Die Kleine mustert mich von oben bis unten und frage mich schließlich: »Wieso hast'n du so'n kleinen Kopf?« Ich war wie vom Donner gerührt. Die umstehenden Passanten blickten mich aus den Augenwinkeln an, kicherten und feixten.

Punktgenau hatte mich Pippi Langstrumpf an meiner empfindlichsten Stelle getroffen. Seit ich denken kann, schäme ich mich nämlich für meine etwas zu klein geratene Birne. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr war mein Kopf sogar so schmal, dass ich fast mit beiden Augen gleichzeitig durch ein Schlüsselloch gucken konnte. In der Pubertät jedoch hat sich das glücklicherweise etwas verwachsen. Also eigentlich genau zu dem Zeitpunkt, an dem ich diese Fähigkeit zum ersten Mal sinnvoll hätte einsetzen können.

Der Vorstandschef des Gehirns

Aber trotzdem erinnerten mich die Worte des kleinen Mädchens mit der Zahnlücke schmerzhaft an meine jugendlichen Komplexe. Ich rang also nach Luft, sammelte mich kurz und zischte ihr dann zu: »Warum ich so einen kleinen Kopf habe? Damit die Zähne nicht so weit auseinander stehen wie bei dir!« Ungläubig blickte sie mich an, um dann besserwisserisch zu erwidern: »Aber meine Mama hat gesagt, da wachsen noch zwei.« Diabolisch grinsend beugte ich mich zu ihr hinunter, sah ihr lange in die Augen und antwortete: »Du darfst deiner Mama nicht alles glauben …«

Warum sind Kinder eigentlich so direkt? Die Antwort liegt im präfrontalen Kortex, auch Stirnlappen genannt. Er liegt unmittelbar hinter der Stirn und ist quasi der »Aufpasser« oder »Vorstandschef« unseres Gehirns, also eine Art Hemmungsmechanismus, der uns unter anderem leise bis zehn zählen lässt, bevor wir die Politesse als »dumme Kuh« beschimpfen.

Bei Kindern und Jugendlichen hingegen befindet sich der Stirnlappen noch in der Feinabstimmungs- und Entwicklungsphase. Neurobiologisch gesehen war Pippi an der Bushaltestelle also nicht rotzfrech, sondern sie hat einfach nur begonnen, ihren präfrontalen Kortex warmlaufen zu lassen. Und der ist für unseren geistigen Reifeprozess extrem wichtig. Ein intakter Stirnlappen hilft uns, vorauszuplanen, Impulsen zu widerstehen und ganz allgemein – erwachsen zu werden. Verfällt der Stirnlappen am Ende des Lebens, beginnen alte Männer zunehmend sich wieder wie Teenager zu verhalten, indem sie beispielsweise nach der Krankenschwester grapschen, Cabrios kaufen oder mitten im Sommer mit Skistöcken durch die Gegend laufen.

200 shades of green

Natürlich gibt es auch Gebiete, in denen das junge, unfertige Gehirn dem gesunden, erwachsenen haushoch überlegen ist. Ein Kind mit drei Jahren hat zum Beispiel doppelt so viele neuronale Verbindungen wie ein Erwachsener. In dieser Lebensphase hat das menschliche Gehirn nicht die geringste Schwierigkeit, so etwas Hochkomplexes wie Sprachen, Verhaltensweisen und Lebensstile zu erlernen. Die Kinder der Eingeborenen des Amazonas-Regenwalds können bis zu 100 verschiedene Grüntöne unterscheiden, die der Inuit im nördlichen Polarkreis sind fähig, ein Dutzend verschiedene Formen von Schnee auseinanderzuhalten.

Bis zum Jugendalter allerdings wird ungefähr die Hälfte der Verknüpfungen wieder aufgelöst. Ein großer Teil der Hirnentwicklung bei Kindern besteht also darin, die für den Alltag notwendigen neuronalen Verbindungen zu intensivieren und die, die nicht gebraucht werden, abzubauen.

Einen weiteren Wachstumsschub erlebt das junge Gehirn dann in der Pubertät. In dieser Phase bauen sich viele Nervenverbindungen innerhalb kürzester Zeit komplett um. Diese Neustrukturierung ist vermutlich der Grund für die wechselnden Launen und Gemütslagen der Jugendlichen. Außerdem haben Pubertierende extreme Schwierigkeiten, die Gefühle anderer richtig einzuschätzen, da der neuronale Umbau auch in Teilen des Gehirns vonstattengeht, in denen Schuldgefühle und Einfühlungsvermögen verarbeitet werden. Wahrscheinlich hatte ich deswegen auch kein schlechtes Gewissen, als ich damals unseren Wellensittich bei Gewitter auf den Balkon gestellt habe. Ich wollte ja nur das Prinzip des faradayschen Käfigs überprüfen.

Vince Ebert ist noch bis Mitte 2019 mit seinem Erfolgsprogramm »Zukunft is the Future« auf Tournee. Termine und Tickets finden Sie unter www.vince-ebert.de

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